Streuobstbestände gehören im Gäu an vielen Stellen zum Landschaftsbild. Foto: Thomas Fritsch (Archiv)

Für die einen ist es ein wichtiger Schritt in der Ortsentwicklung und für den Zuzug, für die anderen Anlass zur Kritik: Der BUND Nordschwarzwald spricht sich klar dagegen aus, wertvolle Streuobstwiesen für Baugebiete zu opfern.

Simmozheim - Um neuen Wohnraum zu schaffen, sind Eingriffe in die Natur nötig, auch wenn diese an anderer Stelle wieder ausgeglichen werden müssen. In Simmozheim stehen derzeit zwei große Bauprojekte auf der Agenda: die Neue Ortsmitte im Schillerareal, für die am Donnerstagnachmittag Spatenstich gefeiert wurde, und das neue Baugebiet "Mittelfeld". Letzteres ist Mitgliedern des BUND aus dem Gäu ein Dorn im Auge. Darauf machten sie unlängst mit einer ungewöhnlichen "Todesanzeige" im Schwarzwälder Boten aufmerksam.

In welchem Stadium die BUND-Mitglieder sich beim neuen Baugebiet eingeschaltet haben, woran es liegt, dass – nicht nur in Simmozheim – alte Streuobstbestände immer wieder für Bauprojekte weichen müssen und ob sich überhaupt noch Menschen finden, die Streuobstwiesen pflegen, erläutert Maier, der Regionalgeschäftsführer des BUND Nordschwarzwald ist, auf Anfrage unserer Redaktion.

In welchem Stadium der Planungen zum neuen Baugebiet hat sich die BUND-Ortsgruppe eingeschaltet?

"Wir, das sind neben den Ortsgruppen des Nabu und BUND auch die beiden Regionalverbände, haben uns schon im Sommer 2021 mit dem Fall befasst und im November unsere Stellungnahmen im Bebauungsplanverfahren zu Mittelfeld III abgegeben. Aus Dialogsicht wäre ein deutlich früherer Austausch schön gewesen", so Maier. Man habe schon von Beginn an darauf hingewiesen, dass ein Eingriff in den Streuobstbestand verhindert werden müsse und dass das Wohnraumkonzept der Gemeinde – es seien vor allem Einfamilien- und Doppelhäuser geplant – nicht mehr zeitgemäß sei und extrem viel Fläche verschwende. Es bleibe die Frage, "wie stark dieser bekannte Hinweis in die Planung eingegangen wäre und sie zugunsten der Natur verändert hätte". Dass dieser Zweifel zumindest nicht unbegründet sei, würden die schweren Mängel bei den ursprünglichen Ausgleichsmaßnahmen zeigen: "Man musste zu dem Ergebnis kommen, dass es vor allem darum ging, mit teuren und naturschutzfachlich unsinnigen Ausgleichsmaßnahmen viele Ökopunkte zu generieren. Letztendlich musste die Kommune nacharbeiten und neue Ausgleichsmaßnahmen vorlegen."

Fühlen sich die Naturschützer auf verlorenem Posten, nachdem sie fast gebetsmühlenartig auf die Wertigkeit dieses Streuobstbestands hingewiesen haben und trotzdem alle 100 Exemplare gefällt wurden?

"Einfache Antwort: Ja." Die Wiese mit ihren vielen alten und gepflegten Obstbäumen sei ein Paradis für zahlreiche Arten. Nun seien die Bäume gefällt, die meisten schon entsorgt und das Leben sei verschwunden. Und weiter: "Der Fall Simmozheim tut dabei wirklich weh. Wir hatten die Hoffnung, dass das Biodiversitätsstärkungsgesetz, das im Sommer 2021 verabschiedet wurde, wirklich zum Schutz von Streuobstwiesen beiträgt. Das Gesetz war ein Hoffnungsschimmer, weil es unmittelbar wirksam sein sollte. Unmittelbar bedeutet, es gibt keinen Übergangszeitraum für eine bereits begonnene Planung. Es ist also laut Gesetz nicht relevant, wie viel Zeit und Gelder bereits in ›Mittelfeld III‹ geflossen sind."

Es habe Fehler in den Ausgleichsmaßnahmen gegeben, das geltende Baurecht sei extrem gedehnt worden. Es sei zu einer Verschärfung der Gesetzeslage gekommen "und trotzdem ist die Streuobstwiese heute weg". Die vielen Naturschutz-Aktiven beim BUND und Nabu vor Ort und auch kreisweit seien enttäuscht und verärgert. "Zukünftig werden sie sicherlich wachsamer sein und deutlicher für den Erhalt unserer Kulturlandschaft eintreten."

Woran liegt es, dass – und nicht nur in Simmozheim – alte Streuobstbestände immer wieder für Bauprojekte weichen müssen?

Ortsrandlagen seien attraktive Baugebiete, die Enkelgrundstücke im Innenbereich oft ohne Bauzwang. "Eine Mobilisierung dieses Baulands ist oft mit großem Aufwand verbunden. Also gehen Politik und Verwaltung den einfacheren Weg, überplanen Streuobstwiesen und können sich dafür als Ermöglicher und Macher präsentieren. Wir sollten uns ernsthaft die Frage stellen, wie wir damit umgehen", äußert sich der Regionalgeschäftsführer.

Es finden sich kaum noch Menschen, die bereit sind, Streuobstwiesen zu pflegen. Warum also nicht alte Bestände fällen und dafür andernorts Ausgleichsmaßnahmen umsetzen?

Es sei zu beobachten, dass es immer weniger Menschen gibt, die heute noch eine Streuobstwiese pflegen und nutzen wollten. Streuobstwiesen seien kulturhistorische Lebensraum-Hotspots und stünden unter besonderem Schutz. Sie seien vergleichbar mit anderen vom Menschen geschaffenen und ökologisch hochwertigen Flächen "wie die Grinden im Nordschwarzwald oder unsere Blühwiesen". Genau wie bei den Grinden und Blühwiesen gehe die Verantwortung für die Streuobstwiesen zunehmend in eine gesellschaftliche Verantwortung über. "Es ist erschreckend, wie viele solcher Blühflächen im Landkreis Calw und rund um Simmozheim seit Anfang der 2000er-Jahre verschwunden sind. Auch im Bereich Mittelfeld III befindet sich eine damals vom Regierungspräsidium Karlsruhe kartierte und nun unbeachtete Blühwiese. Angemerkt sei, dass Deutschland gerade von der EU verklagt wird, weil wir unsere Blühwiesen nicht ausreichend schützen", so Maier.

Wie sieht es mit dem Bedarf für neuen Wohnraum in Simmozheim aus?

Wie hoch der Bedarf für das neue Baugebiet sei, gehe aus den Aussagen der Gemeinde nicht hervor, so Maier. Mathematisch betrachtet löse die Planung in Simmozheim das Wohnungsproblem nicht, denn es seien vorrangig Einfamilien- und Doppelhäuser geplant. Dazu sage Markus Müller, Präsident der Architektenkammer, im Interview mit den Stuttgarter Nachrichten vom 21. Mai 2021: "Wir haben bereits genügend Einfamilienhäuser." Der historisch gewachsene Wunsch nach einem Einfamilienhaus mag laut Maier zwar da sein. Diesen subjektiv geprägten Punkt stelle auch Architektenkammervertreter Thomas Sixt Finckh dar: "Laut Umfragen ist diese Eigentumsform die beliebteste der Deutschen." Objektiv betrachtet, so Architektenkammervertreter Michael Scheider, "ist das Einfamilienhaus in der heutigen Zeit überholt, weil es keine allgemein verträgliche Bau- und Wohnform ist. Ökonomisch und ökologisch, energetisch und in der Summe auch infrastrukturell sind Einfamilienhäuschen nicht mehr vertretbar."

Wird in Simmozheim ein neues Baugebiet nur deshalb ausgewiesen, um im Wettbewerb mit umliegenden Gemeinden attraktive Baugrundstücke anbieten zu können?

"Wir haben in Deutschland strukturell den Zwang, Flächen zu entwickeln, um kommunale Gelder zu generieren. Das ist ein großes Problem und muss endlich gelöst werden", betont Maier. Im Koalitionsvertrag stehe als Flächenziel 2,5 Hektar pro Tag und dass spätestens ab 2035 ein Netto-Null-Flächenverbrauch erreicht ist. In den vergangenen Jahren sei der Verbrauch aber gestiegen. "Heute liegen wir bei 6,2 Hektar pro Tag." Ein Lösungsweg könnte laut Maier sein, "dass wir feste Flächenkontingente haben und sie über Zertifikate handeln. Das führt automatisch zu einer Verbrauchsreduktion und stellt gleichzeitig sicher, dass weiterhin Entwicklungsmöglichkeiten und die kommunale Planungshoheit bestehen bleiben. Außerdem werden Kommunen für Rückbau von versiegelten Flächen und das Flächensparen belohnt. Wie stark eine Konkurrenzsituation in die Planung einfließt, kann nur spekuliert werden."

Welche Alternativen zum Mittelfeld sieht der BUND zur Schaffung von Wohnraum?

"Das Einfamilienhaus war einmal sinnvoll, als drei Generationen darin gewohnt haben und eine Familie viele Kinder hatte. Die heutige Realität sieht in vielen Fällen aber komplett anders aus", erklärt der Regionalgeschäftsführer. Man brauche kleinen Wohnraum für junge Menschen, die selbstständig in ihrer eigenen Wohnung leben wollen. "Wir brauchen größeren Wohnraum für Familien mit im Schnitt zwei Kindern und wir brauchen kleineren und barrierefreien Wohnraum für ältere Menschen. Gerade beim altersgerechten Wohnen sollten wir schon lange zukunftsfähige Konzepte entwickelt und umgesetzt haben. Aktuell ist es leider oft so, dass unsere Rentner in ihren großen Einfamilienhäusern beinahe verloren gehen und oft vereinsamen."

Man brauche leistbaren und flexiblen Wohnraum für alle Einkommens- und Altersstufen. Viele Kommunen und Planungen würden das aus Angst davor ignorieren, das Richtige und Sinnvolle zu tun. Stattdessen würden sie die Vergangenheit kopieren und sich wundern, dass ihr Konzept nicht aufgeht.

"Wenn man durch Simmozheim läuft, sieht man einige Baulücken und man findet auch ein paar leerstehende Häuser. In einigen Einfamilienhäusern wohnt zum Teil auch nur eine Person. Wäre es nicht sinnvoll, erst darüber zu diskutieren, wie man den Leerstand verhindert und Anreize schafft, die vorhandenen Strukturen zu nutzen, ohne dafür Flächen außerhalb zu erschließen?", fragen sich Maier und seine Mitstreiter.

Info: "Todesanzeige" im Wortlaut

"100 Obstbäume, Mittelfeld Simmozheim, gepflanzt um 1950 – gefällt am 25. Oktober 2022. Nach langem Kampf wurdet ihr aus dem vollen Leben im Heckengäu gerissen. Ihr wart Wohnung und Nahrung von Tieren – habt uns Menschen Schatten, Luft und eure Früchte geschenkt. Wir werden euch vermissen: Insekten und Reptilien, Vögel und Fledermäuse, Simmozheimer Bürger, unsere Kinder und Enkelkinder, Patrick Maier im Namen des BUND", war der Wortlaut der BUND-Annonce.