Thorsten Klein (links) und Wolfgang Zehnder vor dem Richtspruch des Hotel Ewerts. Foto: Schweizer

Der Onstmettinger Bauingenieur Wolfgang Zehnder hat nach der Flutkatastrophe im Ahrtal beim Aufräumen geholfen. Nun hat sich der 69-Jährige dort einen persönlichen Wunsch erfüllt: Noch einmal einen Richtspruch zu sprechen.

Albstadt-Onstmettingen - Richtsprüche von frisch aufgerichteten Dächern zu sprechen gehörte zu der Arbeit von Zimmermann und Bauingenieur Wolfgang Zehnder wie das tägliche Brot. Ob im heimischen Onstmettingen, in der näheren und weiteren Umgebung oder bei Häusern auf Mallorca erfüllte ihn Zerschmetterten von Glas seine ganze Berufslaufbahn lang mit Zufriedenheit. Seinen ersten Richtspruch hat er im Alter von zehn Jahren gehalten. Jetzt, 59 Jahre später, hat er seinen wohl letzten gesprochen.

2016 hat er sein Zimmerergeschäft an seine beiden Nachfolger übergeben. Wenige Wochen vor seinem 70. Geburtstag erzählt er, dass es in seinem Rentnerdasein noch nie einen langweiligen Tag gegeben hat. Doch etwas fehlt ihm: noch einmal in seinem Leben möchte er einen Richtspruch sprechen. Diesen Wunsch hat er sich nun im Ahrtal erfüllt.

Parallelen zum Erdbeben von 1978

Im Juli 2021 zerstörte eine verheerende Flut viele Häuser, Brücken und Straßen in der Region. Danach ging eine Welle der Hilfsbereitschaft durch Deutschland. Helfer machten sich auf ins Ahrtal; es wurde viel gespendet. Die Situation im Ahrtal erinnerte Zehnder an das bislang stärkste Erdbeben von 1978 in Albstadt. Er leitete damals einen Bergungszug des THW, ging mittags mit den Helfern in die Zollern-Alb-Halle zum Essen.

Zehnder fasste im vergangenen Sommer den Entschluss, dass auch er vor Ort mit anpacken möchte. Im Internet stieß er auf die Zimmerei von Thorsten Klein in Reifferscheid im Ahrtal. Zehnder kontaktierte Klein und fuhr Anfang September vergangenen Jahres ins Ahrtal, um sich einen Überblick zu verschaffen. Klein war zugleich der "Haus-Zimmermann" des bekannten Hotels Ewerts in Insul, wo der Onstmettinger unterkam. Er musste in der oberen Etage schlafen, weil im Erdgeschoss alles von der Flut verwüstet wurde.

Große Solidarität

Angetan war der 69-Jährige von der Solidarität, die während des Aufräumens im Krisengebiet herrschte. Täglich trafen sich die Helfer beim gemeinsamen Mittagsessen von DRK und THW in einer alten Schule. "Es war wie vor 44 Jahren beim Erdbeben bei uns", verglich Zehnder.

Sein Team setzte die bekannte "Ahrhütte", das vom Hotel Ewerts als Eventhütte genutzt wird, instand.

In seiner zweiten Woche im Ahrtal galt es im Ort Ahrhütte, in einem alten Haus, Baujahr 1600, mit einer unvorstellbaren schlechten Bausubstanz neues Gebälk einzuziehen. Selbst der Onstemttinger Zimmerermeister sah das als eine Herausforderung an – schließlich galt es, einen Höhendifferenz von elf Zentimentern irgendwie auszugleichen. Eine weitere Herausforderung war das Aufstellen eines großen Balkons mittels eines Autokrans.

Echter schwäbischer Richtspruch

In den Monaten Dezember, Februar und März machte Wolfgang Zehnder auf der Fahrt zu den Enkelbesuchen in Düsseldorf jeweils Abstecher ins Ahrtal, um sich ein Bild über den Fortschritt zu verschaffen. In der ersten Juliwoche folgte sein dritter Ahrtalaufenthalt – die Wiederaufbauarbeiten dauern immer noch an.

Die Sanierung des Hotel Ewerts befand sich mittlerweile in den letzten Zügen. Er arbeitete im letzten Bauabschnitt mit und brachte die Holzfassade am Gebäude an. Für ihn war es eine besondere Ehre, den Richtspruch halten zu dürfen – für Zehnder soll es sein letzter sein. Von der heimischen Alb hatte er bunte Bänder und Zunft-Taschentücher mitgebracht und damit den großen Fichtenbaum geschmückt. Zuvor wurde er schon einmal zu einem Richtfest mitgenommen, doch die Form, wie sie in Mitteldeutschland üblich ist, gefiel ihm nicht so. "Da war nichts Schwäbisches dabei."

Anstoßen mit Ahrwein

Voller stolz sagte er beim Richtfest: "Die Feierstunde hat geschlagen, es ruhet die geübte Hand nach harten arbeitsreichen Tagen, grüßt stolz der Richtbaum nun ins Land." Mit Ahr-Wein wurde angestoßen, das leere Weinglas zerschmetterte am Boden.

Man sollte viel zufriedener sein

Aus seiner mehrwöchigen ehrenamtlichen Arbeit im Krisengebiet hat Zehnder auch für sich eine wichtige Lehre mitgenommen: "Wenn man sieht, wie die Menschen im Ahrtal Hab und Gut verloren haben, Not und Elend herrscht, sollte man viel zufriedener sein."

Dann stellt er noch einen Vergleich mit dem Erdbeben 1978 an. Dort war kein Toter zu beklagen, die Württembergische Gebäudeversicherung übernahm alle Schäden. Im Ahrtal sind viele Tote zu beklagen, eine Solidarversicherung wie einst in Albstadt gebe es nicht.