Sexueller Missbrauch in 138 Fällen wurde vor dem Landgericht Konstanz verhandelt. Foto: © JK2507 - stock.adobe.com

Der 59-jährige Angeklagte aus Villingen-Schwenningen zeigt, während die eineinhalbstündige Videovernehmung seiner Tochter im Gerichtssaal des Landgerichts Konstanz abgespielt wird, nur wenige Gefühlsregungen.

VS-Villingen/Konstanz - Nur ab und zu erkennt man ein leichtes Kopfschütteln oder das Hochziehen seiner Augenbrauen. Ansonsten blickte der Angeklagte vor sich hin und vermied in Richtung der großen Leinwand zu blicken. Die Videovernehmung seiner Tochter, die über Jahre von ihm teils schweren sexuellen Missbräuchen ausgesetzt war, wurde nun bereits zum zweiten Mal der Öffentlichkeit vorgespielt.

Prozess muss neu aufgerollt werden

Nachdem der erste Anlauf zur Aufarbeitung der schweren Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs seiner Tochter im Februar 2022 gescheitert war, erfolgte am Donnerstag die Neuaufnahme des Verfahrens vor der Großen Jugendkammer. Der 59-Jährige war beim ersten Prozess dem zweiten Verhandlungstag ferngeblieben. Als er anschließend wegen eines daraufhin erlassenen Haftbefehls festgenommen worden war, musste der Prozess letztlich wegen verschiedenen Corona-Erkrankungen neu angesetzt werden.

Angeklagter sieht sich einer bösen Intrige ausgesetzt

"Das ist alles gelogen. Ich hatte immer das Beste Verhältnis zu meiner Tochter." Mit den gleichen Äußerungen, wie bei seiner Anhörung im Februar, reagierte der 59-Jährige auf die verlesene Anklageschrift. Diese umfasste 138 Fälle des sexuellen Missbrauchs seiner zur Tatzeit acht bis vierzehn Jahre alten Tochter in den Jahren 2010 bis 2016. Die Tatorte waren beim ersten Fall das Kinderzimmer und bei den folgenden, auch schweren Missbräuchen, verschiedene Lager- oder Nebenräume von zwei Gaststätten in der Villingen Innenstadt. Immer dann, wenn er sich mit seiner Tochter dort alleine aufgehalten hatte. Die Missbräuche hörten erst im Jahr 2016 auf, als die Ehe des Angeklagten gescheitert und seine Ehefrau mit den Kindern von Villingen weggezogen war.

Verfahren ins Rollen gebracht

Vier Jahre später, die Tochter inzwischen in einer Partnerschaft lebend und hochschwanger, offenbarte sie sich ihrer Familie und brachte dadurch das Verfahren ins Rollen. Während seiner über eine Stunde andauernden Aussagen schweift der Angeklagte immer wieder ab und der Vorsitzende Richter Dospil muss viel Geduld aufbringen die Befragung strukturiert durchführen zu können. "Ich habe niemals etwas gemacht und meine Tochter hat gelogen." Im Kern sieht sich der 59-Jährige einer geplanten Intrige seiner Familie ausgesetzt. Es folgten unendliche wirkende und sich wiederholende Erklärungen die darstellen sollen, wie gut er zu seiner Familie und zu seiner Tochter war.

Gutachterin bewertet die Glaubwürdigkeit des Opfers

Einen breiten Raum nahm die Bewertung der Aussagen des Opfers während der Beweisaufnahme ein. Die Tochter war für dieses Verfahren insgesamt dreimal ausführlich vernommen worden. Zuletzt durch eine Richterin beim Amtsgericht Ludwigsburg. Die bestellte Gutachterin schilderte umfassend die Grundlagen ihrer Bewertungen und kam zum Ergebnis, dass bei den Aussagen des Opfers keine Zweifel an deren Glaubwürdigkeit vorliegen. "Es sind keine plausiblen Gründe gegeben, dass das Opfer ihren Vater abstrafen will." Durch die Untersuchung der drei gemachten Aussagen konnte die Sachverständige eindeutig feststellen, dass in den Aussagen des Opfers eine hohe Konstanz vorhanden war und hohe Übereinstimmungen festzustellen sind. "Ihre Aussagen beziehen sich auf ein realistisches Erleben, ohne Erinnerungsverzerrungen", resümierte die Gutachterin.

Angeklagter lässt seine Tochter als Lügnerin dastehen

Eindrücklich war anschließend das Plädoyer der Nebenklage. Rechtsanwalt Bohr kritisierte das Prozessverhalten des 59-jährigen Angeklagten. "Es ist ihr gutes Recht die Taten abzustreiten, aber Sie hätten die Chance gehabt, die Schuld auf sich zunehmen, anstatt Ihre Tochter als Lügnerin dastehen zu lassen." Rechtsanwalt Bohr wies daraufhin, dass der Angeklagte das Leben seiner Mandantin zerstört habe. Er appelliert an den Angeklagten, dass er am Ende seines Versagens doch die Verantwortung übernehmen soll. "Es gibt hier im Gerichtssaal keinen der ihrer Tochter nicht glaubt." Die Nebenklage schloss sich der Strafforderung der Staatsanwaltschaft an.

Gericht von der Glaubwürdigkeit des Opfers überzeugt

Die Kammer trat nach fünfundvierzigminütiger Beratung zur Urteilsverkündung zusammen. Sechs Jahre Haft lautet das Strafmaß der Großen Jugendkammer und folgte damit punktgenau der Anklagevertretung. "Wir mussten entscheiden, wem wir glauben." So die einleitenden Worte des Vorsitzenden Richters Dospil. Seine folgende Begründung brachte zum Ausdruck, dass die Kammer keinen Grund gesehen hat, dem Opfer nicht zu glauben. "Wir gehen auch davon aus, dass es mehr Fälle waren als die, die in das Urteil eingeflossen sind."

Keine Entschuldung gezeigt

Die Kammer wies auch noch daraufhin, dass der Angeklagte keine Reue gezeigt und keine Entschuldigung geäußert hat. Mit dem Hinweis, dass der Haftbefehl bestehen bleibt, schloss die Kammer den Prozess. Dass in der Familie eine tiefe Wunde bleibt, zeigte sich, als der in Fußfesseln dastehende Verurteilte sich wüsten, in griechischer Sprache ausgesprochenen Beschimpfungen ausgesetzt sah, als die anwesenden Familienangehörigen den Gerichtssaal verließen.