Eigentlich ist CDU-Chef Friedrich Merz der erste Mann in der Union – aber eben nur eigentlich.
Der ärmste Hund bei einer Ordensverleihung ist der Ausgezeichnete. Im Fall von Angela Merkel – die Ausgezeichnete. Orden für Merkel sind in Mode. Am Mittwoch hat ihr Markus Söder den Bayerischen Staatsorden verliehen. Im Mai hatte Ministerpräsident Hendrik Wüst ihr die nordrhein-westfälische Variante überreicht. Davor war Frank-Walter Steinmeier mit dem Bundesverdienstkreuz an der Reihe.
Man sollte aber nicht glauben, dass es bei der Verleihung ausschließlich um die geehrte Person geht. Es sind oft Nebeninteressen im Spiel. Mit der Verleihung eines Ordens stellt sich auch – manchmal vor allem – der Verleihende ins rechte Licht.
Ich bin nicht Merz, ich bin anders
Steinmeiers Laudatio war nicht frei von Selbstlob. Interessanter ist der Fall Hendrik Wüst. Als er Angela Merkel lobpreiste („eine starke Frau und ein großes Vorbild für viele Menschen“), mag er seiner ehrlichen Überzeugung Ausdruck verliehen haben. Vielleicht. Aber es wird ihm ein höchst angenehmer Nebenaspekt gewesen sein, dass er sich mit dem Dank an Merkel so hervorragend abgrenzen konnte – gegen Friedrich Merz. Der hatte sich angesichts der Bundesverdienstkreuz-Verleihung an Merkel nicht zu dem schmallippigsten Lob hinreißen lassen. Wüst – der Anti-Merz. Der Nordrhein-Westfale fand das – ausgezeichnet. So konnte er symbolisch verdichtet eine Botschaft senden: Ich bin nicht Merz, ich bin anders. Ich vertrete eine andere politische Agenda. Wer das bis zum vergangenen Wochenende nicht verstanden hatte, bekam von Wüst eine schriftliche Nachhilfe. In einem Gastbeitrag für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb er kurz vor dem Kleinen Parteitag der CDU, auf dem Friedrich Merz seine Machtstellung zelebrieren wollte, erneut einen politischen Gegenentwurf zu Merz.
Ein Schlüsselsatz: „Wer nur die billigen Punkte hervorhebt und sich mit den Populisten gemein macht, legt die Axt an die eigenen Wurzeln und stürzt sich selbst ins Chaos.“ Klar war das gegen Merz gerichtet. Der Vorsitzende hat das auch sofort verstanden. Massiv kofferte er am Sonntag im ZDF gegen Wüst und seine schwarz-grüne Landesregierung zurück. Der Machtkampf ist eröffnet. Er wird mit klaren Strategien geführt. Natürlich weiß Wüst, dass die Frage, wer CDU-Kanzlerkandidat ist, im Normalfall längst entschieden ist. Wenn Merz es will, wird er es, jedenfalls solange die politische Großwetterlage für die Union einigermaßen verheißungsvoll ist. Aber – die CDU muss bei der kommenden Bundestagswahl Wählergruppen für sich erschließen: junge Wähler, berufstätige Frauen in den Städten, Menschen mit Migrationshintergrund. Merz hat die CDU hervorragend konsolidiert. Aber womöglich kommt er nun nicht mehr weiter, weil er genau diesen Gruppen zu, nun ja, merzig ist. Wüst stünde bereit. Bis dahin wäre es ihm dienlich, wenn der Vorsitzende sich als besonders konservativ anpreist. Sein Kalkül: Je altbackener, konservativer, populistischer Merz wahrgenommen wird, desto hermetischer die Wagenburg der CDU. Desto größer der Bedarf an einer Alternative. Also reizt er Merz. Das wirkt. Dass der Parteichef Claudia Pechsteins ultrakonservative Rede auf dem Grundsatzkonvent als „brillant“ bezeichnet hat, wird Wüst sehr gefallen haben.
Wüst soll als wetterwendischer Opportunist dargestellt werden
Das Merz-Lager weiß sich zu wehren. Die Strategie: Wüst soll als wetterwendischer Opportunist dargestellt werden, der seine Positionen den Umständen chamäleonhaft anzupassen weiß. Seine Unterstützer streuen in diesem Tagen Hinweise auf einen anderen Text, den Wüst zusammen mit einer kleinen Gruppe Konservativer im September 2007 verfasst hatte: „Moderner bürgerlicher Konservatismus“ hieß die Schrift. Untertitel: „Warum die Union wieder mehr an ihre Wurzeln denken muss.“ Einer der Schlüsselsätze: „Nur mit einem klaren Profil, das bürgerlichem und konservativem Denken eine Heimat gibt, kann die Union ihr Wählerpotenzial voll ausschöpfen. Schließlich ist das Bürgerlich-Konservative das wesentliche Alleinstellungsmerkmal der Union.“
Das Papier erregte Aufsehen, die Autoren profilierten sich durch eine bewusste Abgrenzung nach rechts vom Merkel-Kurs. Wird da eine „Methode Wüst“ erkennbar? Wer ihm übel will, streut nun diese Sicht.
Das Papier hat vier Unterzeichner. Neben Wüst auch Stefan Mappus, gescheiterter Ministerpräsident in Baden-Württemberg, der inzwischen verstorbene damalige Chef der Jungen Union, Philipp Mißfelder, und – Markus Söder. Der hat eine Landtagswahl im Herbst vor Augen. Wenn er die strahlend gewinnt, sähe er sich zu allem bereit. Die CDU wird ihn sicher nicht rufen – außer die Not wäre groß. Ähnlich wie bei Wüst also. Die beiden verstehen sich gut. Merz sollte das unruhig machen.