Die Gremienarbeit im Bundestag ist weniger ihr Fall als die Auftritte in TV-Talkshows: Sahra Wagenknecht. Foto: dpa/Michael Kappeler

Noch will sich die Linken-Politikerin nicht festlegen, ob sie eine neue Partei gründen wird. Sie scheut wohl auch die Mühen der Organisationsarbeit.

In der Linkspartei ging seit langem das Gespenst der Spaltung um. Inzwischen bekommt dieses Gespenst präzise Umrisse, denn Sahra Wagenknecht, die stets im Verdacht stand, Pläne außerhalb ihrer Partei zu verfolgen, hat eingeräumt, sich mit dem Projekt einer Parteigründung zu befassen. Hätte eine solche neue Formation eine Chance – und was bedeutete das für die Linkspartei? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.

 

Was hat Wagenknecht genau gesagt?

Sie hat mit zwei Äußerungen aufhorchen lassen. Zum einen hat sie nun ganz klar gesagt, dass sie zur Bundestagswahl 2025 nicht mehr für Linke kandidieren werde: „Eine erneute Kandidatur für die Linke schließe ich aus.“ Außerdem hat sie sich in Hinblick auf eine Parteigründung festgelegt, „dass innerhalb des nächsten Dreivierteljahres die Entscheidungen fallen“.

Wie reagiert die Parteiführung?

Sehr lange hat die Parteispitze den Konflikt bewusst nicht weiter zugespitzt. Nun scheint der Geduldsfaden gerissen. „Sie muss sich jetzt eindeutig von ihrer Idee der Gründung einer Konkurrenzpartei distanzieren – sonst muss sie die entsprechenden Konsequenzen ziehen“, sagt Parteichef Schirdewan. Ihre Pläne seien „respektlos“ – und „parteischädigend“. Das hat der Vorsitzende mit Bedacht gesagt, denn wer sich eindeutig parteischädigend verhält, kann ausgeschlossen werden. Deutlicher wird der Ex-Vorsitzende Bernd Riexinger. „Sobald es konkrete Schritte zu einer Neugründung gibt, darf es für sie keinen Platz mehr in Partei und Fraktion geben“, sagt er.

Was droht den Linken?

Die Partei landete bei der vergangenen Bundestagswahl bereits unter fünf Prozent und kam nur aufgrund drei gewonnener Direktmandate in den Bundestag. Von diesem Rückschlag hat sie sich bislang nicht wirklich erholt. Sicher würde Wagenknecht eine gewisse Anzahl ehemaliger Linkswähler zu ihrer neuen Formation mitnehmen können. Für die Linke wäre das lebensbedrohlich. Aktueller ist die Gefahr, dass die Partei ihren Fraktionsstatus im Bundestag verliert. Würden mit Wagenknecht nur drei weitere Bundestagsabgeordnete die Fraktion verlassen, könnten die verbliebenen Abgeordneten keine Fraktion mehr bilden, sondern hätten nur noch Gruppenstatus, was mit weniger parlamentarischen Rechten verbunden ist. Nach Recherchen unserer Zeitung könnte Wagenknecht nach Einschätzungen aus Fraktionskreisen „relativ sicher mit sechs Gefolgsleuten“ rechnen.

Welche Chancen hätte eine Wagenknecht-Partei?

Nach einer repräsentativen Untersuchung des Meinungsforschungsinstituts Forsa könnten sich 19 Prozent aller Wahlberechtigten vorstellen, einer von Sahra Wagenknecht gegründeten Partei ihre Stimme zu geben. Zwischen „vorstellen können“ und tatsächlich wählen liegen aber Welten. Interessant ist folgende Forsa-Erkenntnis: 55 Prozent der Anhänger der Linke könnten sich ein Kreuz bei der neuen Partei vorstellen. Aber größer wäre die Attraktivität einer von Wagenknecht gegründeten Partei bei den Anhängern der AfD. Dort können sich 74 Prozent die Wahl vorstellen. Ganz überraschend ist das nicht. Im Forsa-Politiker-Ranking im Februar kam Wagenknecht bei allen Befragten auf 26 von 100 möglichen Vertrauenspunkten. Bei den Anhängern der Linke waren es 54 – bei den AfD-Anhängern jedoch 67 Punkte. Die Wagenknecht-Partei würde also mit ziemlicher Sicherheit der AfD erheblich schaden.

Warum zögert Wagenknecht?

Da gibt es objektive und subjektive Gründe. Neugründungen, erst recht mit einem populistischen Unterton, ziehen neben seriösen Mitstreitern in der Regel auch ein Gemisch jedweder Couleur an – von Gescheiterten in anderen Parteien über Schwurbler bis hin zu Radikalen und Wirrköpfen. Wagenknecht hat ähnliches schon erlebt, als sie die Bewegung „Aufstehen“ ins Leben gerufen hatte. Ein anderer Grund liegt in der Art Wagenknechts, Politik zu machen. Sie lebt von der Wirkung ihrer Reden und Auftritte. Parteiarbeit ist ihre Sache nicht. Aber die Organisation einer tragfähigen Parteistruktur ist eine grundlegende Aufgabe. Bei einer Bundestagswahl müsste die Partei 16 Landeslisten präsentieren. Dazu braucht es einen arbeitsfähigen Apparat. Sie braucht also erfahrene Parteimanager als Mitstreiter. Die sind bisher nicht gefunden. Nach Recherchen unserer Zeitung gibt es zwar nicht nur in Berlin Anwerbeversuche für die neue politische Kraft, aber nirgendwo zeigt sich bislang eine Persönlichkeit, die in der Lage wäre, eine Parteistruktur aufzubauen.