Der Mammut-Prozess am Landgericht Rottweil geht weiter. Insgesamt sind 41 Tage angesetzt. Foto: Ralf Graner Photodesign

Gericht lehnt Anträge auf Aussetzung der Hauptverhandlung ab. Kriminalkommissar sagt aus.

Kreis Rottweil - Neun Angeklagte, siebzehn Verteidiger und Zuschauer hinter der Glaswand: Der Prozess um die mutmaßliche Drogenbande, die im großen Stil Kokain, Heroin und Ecstasy nach Deutschland geschmuggelt haben soll, sorgt auch am dritten Verhandlungstag für Spannung im Gerichtssaal.

Zweieinhalb Stunden nach dem Beginn der Verhandlung am Rottweiler Landgericht ist immer noch unklar, ob diese fortgesetzt werden kann. Verteidiger von mehreren Angeklagten haben Anträge auf die Aussetzung der Hauptverhandlung gestellt.

Auch den geladenen Hauptermittler von der Kriminalpolizei wollten die Anwälte sämtlicher Angeklagten nicht im Zeugenstand hören. Der Grund: Wegen einiger fehlender Dokumente in der Akte sahen sie sich beeinträchtigt, da ihnen "unzureichende Akteneinsicht gewährt wurde".

Richter lehnt Anträge ab

Die beiden Anträge lehnte das Gericht allerdings ab. "Eine Aussetzung wäre nicht angemessen. Eine Unterbrechung wäre ausreichend", erklärte der Vorsitzende Richter Karlheinz Münzer. Und: Der Zeuge, der zuständige Kriminalkommissar, sollte an diesem Tag lediglich den Gang der Ermittlungen schildern, ohne konkrete Erkenntnisse darzustellen. Diese werden an einem anderen Verhandlungstag noch gesondert dargelegt.

Die Verteidiger zeigten sich aber auch sonst sehr aktiv. Es folgten noch weitere Anträge, Einwände – und viele kritische Fragen, vor allem zum Kronzeugen, der gegen die Bande ausgepackt und den Prozess richtig ins Rollen gebracht hatte. Viele Anwälte äußerten ihre Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen.

Tuttlingen als Schwerpunkt des Drogenhandels?

"Der Fall ist sehr komplex", gab der zuständige Kriminalhauptkommissar zu, bevor er die Chronologie der Ermittlungen schilderte. Eine der vielen Herausforderungen: Die Staatsanwaltschaft Rottweil hat die Akten Ende 2017 von Kollegen aus Bayern übernommen, nachdem der Hauptzeuge Tuttlingen als einen Schwerpunkt des von der Bande betriebenen Drogenhandelns bezeichnet hat.

Laut Erkenntnissen aus Bayern bekamen es die Rottweiler Ermittler mit einer Gruppierung zu tun, die im großen Stil Betäubungsmittel aus Holland eingeführt und verkauft haben soll – auch unter Waffeneinsatz.

Es folgten viele Vernehmungen des Kronzeugen, Observationen, Überwachungen in Pkws der mutmaßlichen Bandenmitglieder und Auswertungen von GPS-Daten. Auch verdeckte Ermittler der Polizei waren im Einsatz und haben Scheinkäufe gemacht. 3000 Euro betrug etwa der Preis für 50 Gramm Kokain. Die Geschäfte wurden unter anderem im Hinterzimmer eines Cafés in Tuttlingen abgewickelt.

Den Ermittlern gelang es auch, eine Hierarchie im Drogennetzwerk auszumachen. Der Bandenchef soll von Rotterdam aus agiert haben. Er wurde bis jetzt noch nicht gefasst. Von Holland sollen die Drogen mit Lkws in Zwei-Kilogramm-Chargen an Gebietsverantwortliche gegangen sein, unter anderem auch nach Tuttlingen, Stuttgart und Neustadt an der Weinstraße.

Viele Verbindungen in andere Länder

Festgenommen wurden alle Täter – bis auf einen, der immer noch flüchtig ist und im Ausland vermutet wird – am 2. Dezember 2018. Bei Durchsuchungen in Wohnungen, Fahrzeugen und an Arbeitsplätzen wurden unter anderem Digitalfeinwaagen mit Kokainspuren gefunden. Bei einem Angeklagten wurde eine Mauser-Pistole sichergestellt.

Davon, wie umfangreich die Ermittlungen waren, zeugen folgende Zahlen: Die Audiomitschnitte aus den Pkw-Innenräumen würden aneinandergereiht 19 Tage und 16 Stunden dauern, die Mitschnitte der Telefongespräche 14 Tage und 23 Stunden. Rund 40.000 Gespräche mussten ausgewertet und zum Teil auch übersetzt werden.

Eine besondere Herausforderung stellten auch die vielen Verbindungen in andere Länder dar. "Alle Erkenntnisse wurden an Europol weitergegeben", versicherte der Kriminalkommissar.

Viele offene Fragen bleiben nach wie vor in Bezug auf den Kronzeugen, der derzeit unter Zeugenschutz steht. Dieser hat in den Vernehmungen angegeben, früher als Vertrauensperson (VP) der bulgarischen Polizei gearbeitet zu haben. Er hat sich wohl erhofft, auch in Deutschland als VP arbeiten zu können. Nicht endgültig geklärt ist seine Identität. Er besitzt einen libanesischen Reisepass und eine Aufenthaltserlaubnis aus Bulgarien – beide Dokumente haben das gleiche Bild, sind aber auf unterschiedliche Namen ausgestellt. Diese Frage wird das Gericht in der Verhandlung sicher noch beschäftigen.