Kreis Rottweil - Die Zeit heilt nicht alle Wunden, das weiß Hanna aus eigener Erfahrung. Aber die junge Frau aus dem Kreis Rottweil hat gelernt, mit solch einer Erfahrung zu leben. Und dass es hilft, wenn Betroffene zusammenkommen, um sich zu unterstützen.

Vor drei Jahren war Hanna noch Jana Müller. Unter diesem Pseudonym schilderte die junge Frau damals ihre Geschichte. Erzählte von einer komplizierten Beziehung, einer ungewollten Schwangerschaft und einer Entscheidung, die ihr Leben für immer verändert hat. Hanna entschied sich – des Mannes wegen – zur Abtreibung.

"Ich hab für ihn die richtige Entscheidung getroffen", sagte sie damals, "nur war es für mich die falsche." Nach dem Eingriff litt sie unter Schuldgefühlen und tiefer Trauer. Was ihr damals Halt gab, das waren ihr Glaube, ihre Familie und ihre Freunde. Sie merkte, wie wichtig es ist, jemanden zum Reden zu haben.

Psychische Folgen kaum thematisiert

Zwar müssen Frauen vor einem Schwangerschaftsabbruch ein gesetzlich vorgeschriebenes Beratungsgespräch in Anspruch nehmen. Erst danach erhalten sie einen entsprechenden Beratungsschein und können die Abtreibung vornehmen lassen. Vor allem die körperlichen Folgen eines solchen Eingriffs seien dabei thematisiert worden, die psychischen dagegen kaum, sagt Hanna. Hätte sie geahnt, wie gravierend sie sind, dann hätte sie sich damals anders entschieden.

Der Schwangerschaftsabbruch ist seit mehr als drei Jahren Teil ihres Lebens. Inzwischen kann sie damit offener umgehen. "Wenn es sich ergibt, dann habe ich schon davon erzählt" – nicht nur in ihrem engesten Umfeld. "Ich will auch kein Geheimnis daraus machen, weil es zu mir gehört", sagt Hanna über den Eingriff. Das Pseudonym Jana Müller braucht sie deshalb nicht mehr. Und sie möchte andere ermutigen, mit diesem Tabuthema ebenfalls offener umzugehen.

Darüber hinaus will Hanna noch einmal versuchen, anderen Betroffenen zu helfen. Davon gibt es viele: Rund 101.000 Schwangerschaftsabbrüche gab es 2018 laut Statistischem Bundesamt in Deutschland, knapp 9100 davon wurden in Baden-Württemberg vorgenommen. Das lässt erahnen, wie groß die Zahl der Betroffenen auch im Kreis Rottweil, einem von 44 Land- und Stadtkreisen, sein dürfte.

Mit anderen Frauen ins Gespräch kommen

Bereits vor drei Jahren hatte Hanna einen Anlauf genommen, mit anderen Frauen, die sich gegen ihr Baby entschieden haben, ins Gespräch zu kommen. DasLebenDanach@yahoo.com heißt die E-Mail-Adresse, unter der sie ihr schreiben können. Allerdings kann sie alleine kaum alle Anfragen beantworten. Außerdem hält sie den Kontakt per E-Mail zwar für gut, persönliche Treffen aber für noch besser.

Dass der Bedarf da ist, ist klar: Gerade in jüngster Zeit hat Hanna wieder neue Anfragen erhalten. Die junge Frau berichtet von einer Schreiberin, die noch fünf Jahre nach dem Eingriff damit zu kämpfen hat. "Ich denke, da fehlt der richtige Ansprechpartner." Hanna sucht nach Unterstützern, die eine Idee haben, wie sich eine Selbsthilfegruppe verwirklichen lässt. Und sie sucht nach Profis, die sich einbringen können. Sie berichtet von Frauen aus Zürich und Köln, die ihr geschrieben hatten und ebenfalls Selbsthilfegruppen gründen wollten. "Aber bei allen ist es gescheitert."

Wie die perfekte Lösung aussehen könnte, das weiß auch die junge Frau aus dem Südwesten nicht. Allerdings weiß sie, was ihr und anderen geholfen hätte: eine andere Beratung vor dem Abbruch und eine Betreuung danach. Denn noch einmal zu den Beratungsstellen zu gehen, wo sie als Schwangere waren, das fällt vielen Frauen schwer.

"Das Gefühl, selbst schuld zu sein"

Das gilt auch für den Besuch beim Frauenarzt – wer zuletzt schwanger dort war, traut sich kaum mehr hin. Trotz ihres stabilen Umfelds hat sich Hanna auch psychologische Hilfe gesucht. Doch auch die Hürde dafür war hoch. Weil sie das Gefühl hatte, "man hat es nicht verdient, Hilfe zu bekommen". Das Gefühl, selbst schuld zu sein an der Misere und der Gedanke, dass andere Kranke eher einen Anspruch hätten auf einen der raren Therapieplätze, überwiegen.

Umso nötiger findet es Hanna, dass sich an der Betreuungsituation für Betroffene etwas ändert. Erst kürzlich jährte sich der errechnete Geburtstermin von Hannas Baby wieder. Auch dieses Mal war es ein schwerer Tag. Die Entscheidung von damals kann sie nicht mehr rückgängig machen. Aber sollte es irgendwann doch eine Selbsthilfegruppe geben, dann hätte sie wenigstens doch noch etwas Positives.

Info: Förderung

Um Fördermittel von der Krankenkasse zu erhalten, muss eine Selbsthilfevereinigung Voraussetzungen erfüllen. Ziel soll es sein, chronische Krankheiten oder Behinderungen gemeinsam zu bewältigen, erklärt Elke Rauls von der Pressestelle der AOK Schwarzwald-Baar-Heuberg. Wenn ein ausreichender Gesundheitsbezug besteht "und die körperlichen und psychischen Folgeerkrankungen in den Gruppentreffen im Vordergrund stehen", dann könne die Kasse eine Selbsthilfegruppe fördern. Eine Gruppe muss aus mindestens sechs Mitgliedern bestehen, offen sein für weitere und ihr Angebot öffentlich bekannt machen. Die Selbsthilfearbeit muss von Betroffenen für Betroffene geleistet werden.