Im Notfall kann es um Minuten gehen. BI und OB Eggert fordern deshalb eine 24-Stunden-Bereitschaft für das Calwer Krankenhaus. Foto: Symbolfoto: © Monkey Business – stock.adobe.com

BI, OB Eggert und Kardiologen äußern Bedenken, wenn 24-Stunden-Versorgung wegfällt.

Kreis Calw - Die Medizinkonzeption "Szenario 2021" für das Calwer Krankenhaus schlägt hohe Wellen. In einem Pressegespräch formulierten die Bürgerinitiative (BI) Krankenhaus Calw und Ralf Eggert, Oberbürgermeister der Hesse-Stadt, nun nochmals ihre Forderungen – und schlugen auch eine Lösung vor.

Eingriffe bei Herzinfarkten, Schlaganfällen und Unfällen sollen in Calw künftig nur noch von Montag bis Freitag zwischen 8 und 16 Uhr möglich sein – so sieht es das neueste Medizinkonzept für die Kliniken im Kreis vor, das dieser Tage öffentlich bekannt gemacht wurde.

Bereits in der Kreistagssitzung am 23. April soll genau dieses Konzept beraten und vielleicht sogar beschlossen werden.

Ein Konzept, das an sich laut Calws OB Ralf Eggert "per se kein schlechtes" sei. Was nun noch fehle, damit es auch im nördlichen Teil des Landkreises Calw auf Gegenliebe stoße, sei überschaubar und "keine unverhältnismäßige Forderung". Dazu gehöre unter anderem eine Versorgung, die nicht nur während des Tagesdienstes (von 8 bis 16 Uhr) sondern auch abends, nachts und am Wochenende gewährleistet werden könne. Alles, was dazu nötig sei, sei ein eigener Bereitschaftsdienst für Calw, führten Eggert sowie Bernd Neufang und Eberhard Bantel von der BI in einem Pressegespräch aus.

Notdienst nur in Nagold?

Bislang sei angedacht, lediglich in Nagold einen Bereitschaftsdienst zu unterhalten, der von dort aus sowohl für Calw als auch für Nagold zuständig wäre. Eggert fürchtet, sollte es dabei bleiben, dass dieser Notdienst dann wohl nicht nach Calw fahren werde, da sonst Nagold unbesetzt bliebe. Alternativ müsste ein betroffener Patient dann jedoch nach Nagold gebracht werden. Neufang bewertet diese mögliche Situation als verheerend. Denn: "Beim Herzinfarkt zählt jede Minute", erklärte er.

Bantel sieht unterdessen noch eine weitere Gefahr: Sollte sich herumsprechen, dass Patienten bei Komplikationen wegen einer fehlenden 24-Stunden-Bereitschaft nach Nagold verlegt werden müssen, würden sich über kurz oder lang wahrscheinlich sowohl Patienten als auch Not- und einweisende Ärzte überlegen, ob das Calwer Krankenhaus überhaupt noch eine ausreichende Versorgung bieten könne. Vor allem Mediziner würden die Calwer Klinik dann kaum noch guten Gewissens empfehlen können.

Aber auch die Zukunft der Geburtshilfe und Gynäkologie sind der BI und Eggert ein Anliegen. Denn: Die Klinik gilt als gefährdet und soll wegen der chronisch defizitären Geburtshilfe geschlossen werden, sollte nicht bis Ende des Jahres ein ausgeglichenes Ergebnis unter dem Strich stehen. Neufang betonte jedoch, dass Geburtshilfeabteilungen zwangsläufig defizitär seien.

Das Krankenhaus in Herrenberg verzeichne beispielsweise rund 1200 Geburten im Jahr; dennoch fahre es etwa eine Million Euro Verlust jährlich ein. Es sei nötig, die Abteilung in Calw offen zu halten, da sonst – so hätten Geburtshelfer es errechnet – von den rund 500 Geburten (im Einzugsbereich des Calwer Krankenhauses) pro Jahr etwa 20 auf dem Weg zu einer geeigneten Klinik geschehen würden. Eggert fügte hinzu, dass zwar auch Nagold keine Geburtsabteilung mehr habe, dass die Betroffenen von dort aus jedoch schnell nach Herrenberg gelangen könnten.

Doch nicht nur die BI und Eggert fürchten, dass die Versorgung im Calwer Krankenhaus durch die derzeit bekannten Änderungen des Konzeptes schlechter werden könnte.

In einer Stellungnahme, die unserer Zeitung vorliegt, melden sich nun auch Christoph Dempe und Bernhard Plappert, niedergelassene Kardiologen in Calw, zu Wort. Ihr Urteil fällt dabei ernüchternd aus: Ein Abschied von der 24-Stunden-Bereitschaft werde eine dramatische Verschlechterung der Versorgungssituation von kardiologischen und neurologischen Patienten nach sich ziehen, erklären die Mediziner.

Der Hintergrund: Bislang hat das Calwer Krankenhaus eine Zertifizierung als Chest Pain Units (CPU) durch die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie. Eine CPU ist eine Diagnostik- und Therapieeinheit zur Versorgung von Patienten mit unklarem Brustschmerz, die bestimmten Kriterien genügen muss und somit einen gewissen Qualitätsstandard erreicht hat.

Sinkende Qualität

Sobald es jedoch keine 24-Stunden-Bereitschaft in Calw mehr gebe, verliere das Krankenhaus umgehend die CPU-Zertifizierung, erklären die Ärzte in ihrer Stellungnahme. Die Folge: Die Qualität der Herzinfarktversorgung werde nicht mehr regelmäßig überprüft und somit über kurz oder lang nicht mehr den erforderlichen Ansprüchen gerecht.

Darüber hinaus sei zu bedenken, dass eine Komplikation nach Eingriffen an den Herzkranzgefäßen (vereinfacht gesagt die Erweiterung von Herzkranzarterien und das Offenhalten mit einem Stent) eine Gerinnselbildung im Gefäß sein kann, welche sofort wieder zu beseitigen ist. Ein Transport solcher Patienten nach Nagold (sollte der Eingriff wegen der fehlenden 24-Stunden-Bereitschaft in Calw nicht mehr möglich sein) berge wegen des schlechten gesundheitlichen Zustands solcher Patienten enorme Risiken.

Nicht zuletzt sinke die Zahl der Eingriffe bei Herzinfarkten und in Folge auch sonstiger Koronareingriffe deutlich, wenn der Infarkt nicht mehr rund um die Uhr behandelt werden kann. Dieser Umstand sowie die wegfallende CPU-Zertifizierung könnten das Calwer Krankenhaus somit auch zu einem unattraktiven Arbeitsplatz machen; erfahrene Ärzte würden die Klinik dann möglicherweise verlassen oder erst gar nicht mehr als Wirkungsstätte wählen.

"Grob fahrlässig"

Werde die Zahl der geforderten Untersuchungen pro Untersucher nicht gehalten, werde das Herzkatheterlabor aber ohnehin über kurz oder lang vermutlich geschlossen. Denn: Sowohl die Deutsche Gesellschaft für Kardiologie als auch die Krankenkassen, so führen Dempe und Plappert aus, würden offen die Ansicht vertreten, dass nur Labore mit einer 24-Stunden-Bereitschaft notwendig und somit überlebensfähig seien.

Ähnlich verhalte es sich im Übrigen bei der Behandlung von Schlaganfällen. Auch hier müsse schnellstmöglich reagiert werden, um Hirnfunktionen retten zu können – was ebenfalls nur mit einer Versorgung rund um die Uhr möglich sei.

Für Bantel sind diese Ausführungen ein klarer Appell dafür, dass eine 24-Stunden-Bereitschaft nun mal nicht gekürzt werden könne. Und wenn führende Kardiologen dies bekräftigten und auf massive Gefahren hinwiesen, sei es seiner Meinung nach "grob fahrlässig", eine Abschaffung des 24-Stunden-Dienstes in Erwägung zu ziehen. Man könne einem Patienten darüber hinaus auch nicht sagen "hab deinen Herzinfarkt gefälligst um 14 Uhr".

Zudem teilt Bantel die Befürchtung von Dempe und Plappert, die Calwer Klinik könnte unter den derzeitig geplanten Bedingungen kein attraktiver Arbeitsplatz mehr sein. Und nicht nur das: Sollte es nur noch einen Bereitschaftsdienst für beide Häuser geben, könne dies bedeuten, dass – je nach Notfällen und entsprechendem Bedarf – immer eine der beiden Kliniken vernachlässigt werden müsste. Dies wiederum sei auch für Ärzte keine attraktive Berufsperspektive. Langfristig könne dies einen Verlust an qualifiziertem Personal nach sich ziehen, was dann früher oder später auch Auswirkungen auf Nagold hätte.

Neufang fügte hinzu, dass bei sinkenden Fallzahlen in Calw (was bei einem Wegfall der 24-Stunden-Bereitschaft wohl der Fall sei) auch die Weiterbildungsberechtigungen für die Mediziner vor Ort rückläufig wären. Ohne Weiterbildungen werde der Standort Calw weniger interessant für junge Ärzte – von denen sich in der Vergangenheit auch einige als Hausärzte in der Region niedergelassen hätten. Letztlich sei es somit möglich, dass auch der Hausarzt-Mangel weiter befördert werde.

Sowohl die BI als auch Eggert halten es nun für wichtig, dass der Kreistag nicht bereits am 23. April über das derzeit geplante Konzept beschließt, sondern vor einer Entscheidung die Überlegungen und Pläne den Bürgern vorzustellen. Gut sei, dass mittlerweile die BI und die Kreisärzteschaft ins Boot geholt wurden, nun gelte es aber noch, auch die Bevölkerung mitzunehmen. Erst am Ende solle der Beschluss des Kreistags stehen.

Seite 2: Das sagt das Landratsamt

Während BI und OB Eggert sich besorgt über die möglichen Konsequenzen der derzeitigen Medizinkonzeption äußern, zeigt man im Landratsamt durchaus Verständnis für die Hesse-Stadt. So sei es legitim, dass die Stadt Calw und der Gemeinderat Wünsche zur Ausgestaltung der Medizinkonzeption zum Ausdruck bringen. Die Entscheidungen hierzu treffe allerdings der Aufsichtsrat der Kreiskliniken und letztendlich der Kreistag.

"Beide Gremien befassen sich schon seit längerer Zeit sehr intensiv mit der Thematik", heißt es in einer Stellung des Landratsamtes. "Im Übrigen hat der Aufsichtsrat bereits vor den öffentlichen Forderungen der BI (zum Beispiel über die Anzeige im Schwarzwälder Boten vom 7. April) in seiner letzten Sitzung am 19. März verschiedene Prüfaufträge zur Ausgestaltung der Notfallversorgung an die Geschäftsführung erteilt." Deren Ergebnisse würden in der nichtöffentlichen Aufsichtsratssitzung am 11. April vorgestellt.