Gefahr für die Wasserversorgung? Der Ruhewald in Nordstetten gerät erneut in die Kritik. Foto: Schülke

Bestattungsart in Kritik. Kosten durch Sturmschäden, unerwünschten Bewuchs und Rückstände in Asche.

Horb-Nordstetten - Unter den Wipfeln herrscht Ruh’: So ließe sich frei nach Goethe die Idee der Ruhewälder beschreiben. In Horb ist es mit der Ruhe nicht weit her. Jetzt empfiehlt ein Experte, den Bestattungswald mittelfristig ganz aufzugeben. Seine Argumente: der Wald wird auf Dauer zum Pflegefall und könnte den Boden irreversibel belasten.

Von außen wirkt der von der Stadt Horb betriebene Ruhewald bei Nordstetten geradezu musterhaft: die dezente Gestaltung, der idyllisch wirkende Andachtsplatz, der Teich, die Wege. Das alles verströmt eine sanfte Werbeprospekt-Ästhetik und dürfte den Wünschen nach einer individuellen Bestattung entgegenkommen.

Nicht ins Bild passen die Konflikte rund um das Forststück. Seit etwa einem Jahr gibt es Beschwerden über die Entfernung von Grabschmuck, den die Stadt anfangs in ihrer Werbung zugelassen, dann aber verboten hatte. Der klammheimliche Rückzieher (Infos wurden aus dem Internet entfernt) hat ebenso für Unmut gesorgt wie Manipulationen an Gräbern. Es gab Beschwerden über Erdaufschüttungen, und der mysteriöse Fund eines menschlichen Beckenknochens an einem der Waldwege markierte einen Höhepunkt in dem Hick-Hack.

Berater rät zur Aufgabe von Ruhewald

Nachdem der Wald vor gut 14 Tagen wegen Schäden nach dem Sturm "Sabine" nicht begehbar war, meldete sich jetzt ein Experte zu Wort, der im Internet auf das Thema aufmerksam geworden war: der Hamburger Friedhofsberater und Landschaftsplaner Andreas Morgenroth, der bundesweit als Kritiker von Bestattungswäldern bekannt ist.

Morgenroth empfiehlt, dass der Betreiber gemeinsam mit den Grabpächtern einen einvernehmlichen Weg sucht, damit der Ruhewald mittelfristig aufgegeben und wieder der Natur überlassen werden kann.

Seine Argumente: Bestattungswälder haben eine "ungesunde" Struktur, weil die Waldböden gärtnerisch bearbeitet werden müssen, um den Zugang zu den Trauerbäumen zu gewährleisten und nicht erwünschte Pflanzen wie Brombeeren und Brennnesseln fernzuhalten. Diese breiten sich nämich aus, wenn es an Baumsetzlingen fehlt, so Morgenroth. "Wenn man aber die jungen Bäume wegnimmt, hat man auch noch ein anderes Problem", sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung und schildert: Die biegsamen Jungbäume und das Unterholz schützten bei Stürmen den Wald. Gerade Bestattungswälder in isolierter Lage leiden besonders stark unter Stürmen, argumentiert Morgenroth und verweist auf die Schließung des Nordstetter Waldes vor etwa zwei Wochen.

Gefahr durch Bodenbelastung

Weit schlimmer sei allerdings die Gefahr durch Bodenbelastung. Die Asche in Urnen könne giftige Chrom-VI-Verbindungen enthalten, die beim Kremierungsprozess entstehen können. Diese Substanz (sie muss nicht vom kremierten Körper stammen) könne Grundwasservorkommen irreversibel belasten.

Morgenrot beruft sich dabei auf eine im November 2019 veröffentlichte Studie des Bundesamtes für Umwelt.

Darin bekommt die Urne zunächst einen Freispruch: "Durch Schwermetalleinträge aus Urnen sind in der Regel keine schädlichen Bodenveränderungen zu erwarten. Auf Standorten mit bereits erhöhten Schwermetallgehalten im Boden allerdings kann es durch zusätzliche Einträge zur Überschreitung der Vorsorgewerte der Bundesbodenschutzverordnung kommen. Um solche Standorte zu meiden, sollte deshalb im Voraus eine Analyse der Schwermetallhintergrundbelastung erfolgen."

In der Branche wird das Risiko einer Bodenbelastung als äußerst gering eingestuft. Das Unternehmen "FriedWald", das nach eigenen Angaben bundesweit 68 Bestattungswälder betreibt, teilt auf unsere Anfrage mit: "Die Auswirkung von Kremationsasche-Einträgen in den Waldboden ist im Großen und Ganzen unproblematisch. FriedWald begrüßt die Initiative des Umweltbundesamtes und die daraus resultierenden Studienergebnisse der Universität Freiburg aus dem Jahr 2019, da sie eine wichtige Fragestellung mit klarem Ergebnis und konkreten Handlungsempfehlungen beantwortet."

"FriedWald" selbst (das Unternehmen betreibt auch den Bestattungswald Schönbuch) hatte bei der Universität Freiburg eine Studie in Auftrag gegeben. Diese habe bereits 2015 bestätigt: "Erneut wird belegt, dass die Bestattung von Urnen in Waldböden unter den für FriedWald typischen Standortbedingungen unproblematisch ist. Es werden - geeignete Bodenverhältnisse vorausgesetzt – keine Schadstoffe in das Grundwasser freigesetzt."

Der Studie zeige auch, unter welchen Bedingungen die Einrichtung eines "FriedWald"-Standortes oder Friedhofs allgemein nicht empfohlen werden könne. "Diese beso nderen Gegebenheiten (bestimmte pH-Werte oder Grundwasserhöhen) sind in den für FriedWald-Standorte interessanten Regionen eher selten anzutreffen."

Zum Argument der Wald-Gesundheit teilt "FriedWald" mit, dass seine Standorte "generell eher sehr widerstandsfähige Wälder" seien. "So werden sie ausgesucht und das bleiben sie auch im weiteren Betrieb. Sie bestehen zum weitaus größten Teil aus strukturreichen und stabilen Mischwäldern. Das sind also genau die Wälder, die aktuell im Rahmen des Waldumbaus gefördert werden."

Keine Schädigung des Wurzeltellers

Und schließlich: Eine nennenswerte Schädigung des Wurzeltellers bei Bestattungsgrabungen könne ebenfalls ausgeschlossen werden. "Die Graböffnungen werden in einem Abstand von mindestens 2,5 Meter zum Baumstamm von geschulten Mitarbeitern vorgenommen. Mit den jeweiligen Waldbesitzern wird für jeden Standort ein geeignetes Konzept erarbeitet, um Bodenverletzungen zu minimieren. Dazu gehören die Wahl des Zeitpunktes und die Art der Durchforstung, die Wahl von Wegebaumaßnahmen und die Material- und Maschinenwahl zur Grabaushebung. Es wird auf den Einsatz möglichst leichter Technik Wert gelegt. Grobe Starkwurzeln würden beim Einsatz dieser Technik meist spürbar und geben so die Möglichkeit, gegegenenfalls die Position des Grabes zu korrigieren. Wir haben im Übrigen die Unbedenklichkeit unserer Arbeitsweise vom renommierten Institut für Forstbotanik und Forstzoologie der TU Dresden (Prof. Dr. Andreas Roloff) begutachten und bestätigen lassen."

Was das Unternehmen "FriedWald" für seine Wälder ins Feld führt, muss allerdings nicht für alle Bestattungswälder gelten - auch nicht für die kommunal betriebenen.

Der bundesweite Verband für Gedenkkultur (VfG), der sich als unabhängige kulturelle und ökonomische Interessensvertretung aller am deutschen Friedhofswesen beteiligten Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen sieht, beurteilt die Ruhewälder jedenfalls kritisch. Der Verband hatte bereits 2018 darauf verwiesen, dass die Städte- und Gemeindetage in Sachsen und Bayern vor betrieblichen Risiken warnen, wenn sich "Gemeinden in einer Betreiberkonstellation über jahrzehntelange Vertragslaufzeiten (von Ruhewald-Gräbern, Anm.d.Red) binden."

Der VfG konstatierte, ebenfalls bereits 2018, bei den Bestattungswäldern einen bundesweiten "Ausbreitungsstopp" und sieht das als Erfolg der "fundierten Aufklärungs- und Vernetzungsarbeit" von Morgenroth. Dieser argumentiert, dass gerade in Horb mit seiner geologischen Struktur beim Wasserschutz Vorsicht geboten sei und deshalb der Ruhewald-Boden untersucht werden sollte.

Alles letztlich ein Streit zwischen zwei Lobbys? Diese Vermutung tauchte in Medienberichten auf. Gefolgt von der Frage, ob sich die Betriebe aus der traditionellen Bestattungsbranche gegen die Konkurrenz der Bestattungswälder-Firmen wehren. Morgenroth jedenfalls verwies in einem Beitrag für den NDR auf sein ausschließlich privates ehrenamtliches Engagement für die Bestattungskultur. Er warnt zudem vor einer Kostenexplosion bei der Bestattungswaldpflege - die ja seiner eigenen angeblichen Klientel ebenfalls zugute kommen müsste. So wird die Diskussion über Bestattungswälder wohl auch in den nächsten Jahren noch die Gemüter erregen - und das nicht nur in Horb.