Gerhard Fassnacht aus Altheim ist seit vielen Jahren Landwirt mit Leib und Seele. Foto: Müssigmann

Landwirt Fassnacht steht auch an Feiertagen im Stall. "Für Geschäftsrisiko Entlohnung zu gering".

Von Lena Müssigmann Horb-Altheim. In Brüssel demonstrierten kürzlich Bauern gegen das Ende der Milchquote, während Supermärkte in Werbeprospekten sinkende Preise bei Molkereiprodukten verkündeten. Die Entwicklung des Milchpreises ist die große Unbekannte in Geschäftsmodellen von Bauern wie Gerhard Fassnacht.Um halb zehn morgens steigt Gerhard Fassnacht (47) in Altheim aus seinen Stallstiefeln. Frühstückspause. Er hat schon dreieinhalb Stunden Arbeit in den Knochen – und ein Kännchen Milch in der Hand. Seine 85 Milchkühe haben über Nacht das wichtigste Produkt des Hofs produziert. Alle paar Tage leert die Großmolkerei Omira Fassnachts 6000-Liter-Milchtank. 28 Cent zahlt sie derzeit pro Liter. "Zu wenig", findet Fassnacht. "Die guten Molkereien zahlen gerade 34 Cent." Doch seine Milch an den Höchstbietenden zu verkaufen, ist nicht so einfach. Fassnachts Liefervertrag hat eine Kündigungsfrist von zwei Jahren. Nicht nur das zieht den Ärger des Bauern auf sich.

Sondern zum Beispiel auch die Regel, dass der gezahlte Preis nicht im Voraus bekannt ist, sondern erst bei der Abrechnung mitgeteilt wird. "Da erschreck ich dann schon, wenn Geld fehlt." Und Fassnacht ärgert, dass sein Risiko und seine steigenden Kosten, etwa für Strom und Diesel, die Macher des Milchpreises, die Molkereien und den Lebensmittelhandel, nicht interessieren. Die Milchpreislotterie stinkt ihm. "Das ist ein Spiel, das auf unserem Rücken ausgetragen wird", sagt der Milchbauer, der sich als Vorsitzender des Kreisbauernverbands engagiert.

Am Morgen im Stall mischt Fassnacht das Futter für die Tiere, Mais- und Grassilage mit Stroh, in einer Art Betonmischer, 2750 Kilo verspeisen die Milchkühe zum Frühstück. Oder etwas weniger – ein paar Spatzen fliegen durch den Stall und holen sich neben den dampfenden Kuhmäulern ihren Teil. Derweil wirft sein Mitarbeiter, Landwirt Daniel Funk aus Dornstetten, das Strohbett neu auf, in dem es sich die Wiederkäuer für Ruhephasen gemütlich machen können.

Außer dem einen Mitarbeiter hat Fassnacht einen Auszubildenden auf seinem Hof. "Die Mitarbeiter wollen zurecht unabhängig vom momentanen Milchpreis einen gleichbleibenden Lohn – meine Kosten sind also immer da." Außerdem stünden in seinem Betrieb ständig Investitionen an, zum Beispiel für neue, leistungsfähige Geräte und Schlepper. Die Molkerei halte ein gutes Preisniveau aber maximal ein dreiviertel Jahr, sagt Fassnacht aus Erfahrung. Dann gehe es wieder nach unten.

Kuh 99521 verursacht einen kleinen Stau

Für den Preisdruck macht er vor allem den Lebensmitteleinzelhandel verantwortlich, der seiner Ansicht nach von wenigen Ketteninhabern bestimmt wird. Dieser Macht müssten die Bauern etwas entgegensetzen. Doch was?

Der Produktionsfaktor Tier aber setzt Grenzen. "Eine Kuh gibt nur Milch, nachdem sie trächtig war. Eine kriegt meist drei, vier Kälber", sagt Fassnachts Frau Ulrike (47), während sie die Melkmaschine an diesem Morgen an insgesamt 340 Zizen pfropft. "Und das ist letztendlich zu wenig." Danach werden die Tiere geschlachtet. Bis dahin, sagt die Bäuerin, die jeden Tag sechs Stunden melkt, sollen sie ein angenehmes Leben haben. "Wenn es den Kühen nicht gut geht, geben sie keine Milch, das ist dann ja unser eigener Schaden", sagt Ulrike Fassnacht. Sie sieht jedes Tier zweimal täglich beim Melken. Kuh 99521, eine schwarz-bunte Hohenstein, bleibt nach dem Melken im Durchgang zum Stall stehen, schaut neugierig zur Bäuerin und verursacht einen kleinen Stau. Fassnacht, der draußen arbeitet, wüsste zu 99521 den Namen, den jede Kuh in seinem Stall neben der Ohrnummer hat.

Über die Masse kann die Rentabilität gesteigert werden – doch wenn Fassnacht von chinesischen Farmen mit 20 000 Tieren erzählt, schüttelt er den Kopf. Die Zahl seiner Tiere ist noch überschaubar, obwohl sie um mehr als das Siebenfache gestiegen ist, seit er 1984 mit 19 Jahren den Hof übernommen hat. Damals standen zwölf Kühe im Stall. Seit 1730 sind seine Vorfahren nachweislich Landwirte. Für den Bau eines großen Milchviehstalls hat er sich entschieden, weil es rund um das Dorf viel Grünland gibt und damit Futter für Kühe. Ironisch sagt Fassnacht: "Wir haben das nicht gemacht, weil wir an sieben Tagen pro Woche zweimal melken wollten." Seine Tiere kennen keine Sonn- und Feiertage. "Das Anstrengende für uns ist, dass die Arbeit gar nie aufhört." Vier Tage wegzufahren, das ist das Höchste der Gefühle für Fassnacht.

Obwohl ihm der schwankende Preis Sorgen bereitet, ist Fassnacht gegen Milchquoten, für deren Beibehaltung in Brüssel jüngst demonstriert wurde, die aber 2015 auslaufen sollen. Fassnacht ist für den freien Markt. Seine Forderung ist klar: "Man muss einen Milchpreis finden, der sich an den Kosten orientiert." Ein Mindestpreis für Milch könnte aber nur festgelegt werden, "wenn alle Marktbeteiligten bereit wären, fair miteinander umzugehen. 35 Cent wären als Untergrenze bei meinen jetzigen Kosten in Ordnung. Damit würde es uns schon besser gehen." Wohl aber nicht lange. "Die Kosten werden weiter steigen", ist Fassnacht sicher. Ebenso vorhersagbar ist, dass der Milchpreis diese Entwicklung nicht mitmachen wird.

Auch wenn er sich in diesem Punkt ärgert, scheint Fassnacht auf seinem Hof am richtigen Ort zu sein. Am frühen Morgen steigt er voller Elan auf seinen Trecker. Mit einer stoischen Ruhe erledigt er jeden Handgriff. Er strahlt Selbstbewusstsein aus, dass das, was er tut, richtig und wichtig ist. Dass er Nachwuchslandwirte ausbildet, ist für ihn keine Frage.

Fassnachts Feierabend beginnt um 19 oder 20 Uhr. Beim Abendessen sitzt die Familie zusammen. Wenn danach noch Zeit fürs "heute-journal" bleibt, ist Fassnacht glücklich. Er hat Arbeitszeiten wie ein Manager und nach seinen Berechnungen einen Stundenlohn von rund sieben Euro. Seine Stallstiefel stehen nie mehr als elf Stunden still.

u Voraussetzung

Jeder Milchviehbetrieb muss eine Milchquote erwerben, um überhaupt sein Produkt verkaufen zu dürfen. Bei der Eröffnung eines Hofs muss nicht nur in Stallungen, Geräte und Vieh investiert werden, sondern auch in eine entsprechende Quote.

u EU-Regelung

Die Milchquote soll eine Milchschwemme in den EU-Mitgliedstaaten verhindern. Das begrenzte Angebot sollte den Preis stabil halten. Die Quote wurde 1984 eingeführt und soll zum 1. April 2015 abgeschafft werden. Um den Markt auf diesen Moment vorzubereiten, wurde die Milchproduktion in den vergangenen Jahren langsam, aber stetig erhöht.

u Strafen bei Überschreitung

Produziert der Bauer mehr Milch, als ihm seine Milchquote erlaubt, werden Strafzahlungen fällig.