Die Vergnügensteuer-Einnahmen aus Spielautomaten steigen in Horb. Die Zahl der Spielsüchtigen steigt auch. Foto: Hopp

Zahl der pathologischen Spieler steigt. Stadt und Wirte verdienen kräftig an daran. Mit Kommentar.

Horb - Rauch liegt in der Luft – ganz normaler Abend, ganz normale Kneipe, eine von vielen in Horb. März 2012: Es ist ein Jahr her seit Tobi (Name von der Redaktion geändert) seine letzten Scheine in dem bunt flackernden Automaten vergraben hat.

Tobi ist spielsüchtig, Tobi war spielsüchtig. Ein Jahr ohne die Droge, ohne den Nervenkitzel. Der kurze Endorphinausstoß, wenn die Maschine etwas von dem eingesetzten Geld wieder ausschüttet – Tobi hatte sich von ihm befreit. Doch heute ist etwas anders.

Seine neue Freundin sitzt in der Kneipe am Automat – sie spielt. Der Automat neben ihr ist frei. Tobi hat getrunken. "Dann schieben wir halt einen Zwanziger rein." Es sollte nicht der letzte sein. "Nachdem ich zu Hause war, hab ich nur gedacht: ›Was machst Du da für nen Scheiß?‹"

Winter 2013, kalter Wind weht durch die Horber Innenstadt. Wir treffen Tobi in der Beratungsstelle der Diakonie in der Neckarstraße 29. Er erzählt seine Geschichte.

Als Teenager hat er zum ersten Mal gezockt, die ersten Kredite, die Depressionen, die beiden Therapien. Ein Jahr lang ohne Spielen, der Rückfall. Tobi hat einen langen Weg hinter sich. Heute sitzt er auf einem Schuldenberg von 45 000 Euro. In einem früheren Gespräch mit dem Schwarzwälder Boten im Jahr 2011 waren es noch 35 000 Euro. Damals dachte Tobi, er wäre frei.

Eine ganze Industrie, abhängig vom kurzen Adrenalinkick

Tobi ist in Horb nicht allein. Das Geschäft mit dem Glück floriert in Horber Kneipen und Spielhallen. Im Jahr 2007 waren es noch 37 Automaten, 2012 hat sich diese Zahl auf 141 fast vervierfacht. Es gibt beinahe keine Kneipe, in der nicht die drei vom Gesetzgeber erlaubten Geräte stehen. Auch die Wirte verdienen an dem Geschäft mit.

Eine ganze Industrie, abhängig vom kurzen Adrenalinkick, wenn durch einen Zufalls-Algorithmus auf dem Bildschirm drei gleiche Symbole auftauchen.

Weiterer Nutznießer der Glücksspieleinnahmen: die Stadt Horb. Waren es laut Angaben der Verwaltung im Jahr 2007 noch etwa 50 000 Euro Einnahmen aus der Vergnügenssteuer, hat sich die Summe im Jahr 2012 auf 490 000 Euro fast verzehnfacht. Der Löwenanteil kommt aus dem Spiel am Automaten. Grund sind zum einen geänderte Gesetzesvorschriften wie die Erhöhung der Vergnügensteuer von 10 auf 15 Prozent und zum anderen zwei neue Spielhallen (wir berichteten).

Dabei war das Geschäft mit den Spielautomaten in den Neunzigern fast tot. Die Automaten hatten eine Ausspielquote von etwa 60 Prozent – zu wenig, um zahlungskräftige Glücksritter bei der Stange zu halten.

Es kam eine neue Generation von Automaten: bis zu 80 Prozent Ausspielquote, gerade so viel, dass man als Spieler ab und zu gewinnt. Genug Erfolgserlebnisse hat, um immer weitermachen zu wollen. Doch 80 Prozent sind keine 100 Prozent und den Kampf gegen die Statistik kann man auf Dauer nur verlieren.

Die neue Automatengeneration war auch in der Fachstelle Sucht der Diakonie zu spüren. Ende der 90er-Jahre gab es im Kreis Freudenstadt fast keine Betroffenen mehr. Das hat sich geändert. 2012 waren es 17 Spielsüchtige, die nach Hilfe suchten. 2011 waren es noch 10. Die Spitze des Eisbergs – "es ist davon auszugehen, dass die Dunkelziffer sehr viel höher liegt. Nicht jeder, der süchtig ist, gibt einfach so zu, dass er ein Problem hat, um sich dann Hilfe zu suchen", weiß Susanne Henning, Suchtberaterin der Diakonie in der Außenstelle Horb.

Für Tobi waren es an dem Abend im März nur zwei Stunden und 50 Euro Einsatz. Sie wurden ihm zum Verhängnis. Seitdem spielt er wieder. 200 bis 300 Euro im Monat. Bei einem Nettolohn von 2000 Euro bleibt nicht mehr viel übrig. Miete, Auto und Nebenkosten verschlingen 800 Euro. Für den Abbau des Schuldenbergs muss er monatlich 600 Euro bezahlen. Bleiben 600 Euro für Lebensmittel, Bezin, Kleidung und – das Spiel. "Die Schulden machen mich psychisch fertig", sagt er. Im Gespräch wirkt er sichtlich erschöpft.

Doch es gibt Hoffnung: "Hinfallen kann jeder, es geht ums Wiederaufstehen", die Worte von Henning hört Tobi mit leicht gesenktem Kopf. Doch aufgegeben hat er noch nicht. In Freudenstadt gibt es eine neue Selbsthilfegruppe. Tobi will seine Freundin davon überzeugen, die Gruppe mit ihm gemeinsam zu besuchen. Er will loskommen von dem Zwang zu spielen, damit der Abend im März irgendwann nur noch ein dunkler Fleck in seiner Erinnerung ist.

Weitere Informationen:

Die Selbsthilfegruppe Spielsucht trifft sich jeden Dienstag von 18.30 bis 20 Uhr in der Diakonischen Bezirksstelle Freudenstadt, Herrenfelder Straße 26, im 2. Obergeschoss. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.

Seite 2: Wer verdient an den Automaten?

Ein Rechenbeispiel: Der Gesetzgeber erlaubt in Kneipen bis zu drei Spielautomaten. Bei einer Spieldauer von circa viereinhalb Stunden pro Tag, macht das fast 400 Stunden im Monat. Der durchschnittliche Verlust an einem Automaten liegt bei circa 15 Euro pro Stunde. Was bleibt ist ein Bruttoumsatz von 6000. Hiervon gehören 600 Euro Grundmiete (200 Euro pro Automat) den Automatenaufstellern, die Automaten im Normalfall von den Herstellern kaufen, und sie dann an Wirte weitervermieten. Vom Bruttoumsatz unterliegen 19 Prozent der Umsatzsteuer. Bleiben noch 4442 Euro. Die Stadt Horb verdient derzeit über die Vergnügensteuer für Spielautomaten 15 Prozent am Umsatz: Weitere 900 Euro. Was bleibt sind 3542 Euro, die unter Wirt und Automatenaufstellern geteilt werden, in dem Beispiel wird von einer hälftigen Aufteilung ausgegangen. Von den verbleibenden 1771 Euro müssen auf Seiten des Wirtes noch die Stromkosten und Einkommensteuer gezahlt werden.

Kommentar: Verbieten?

Von Benjamin Breitmaier

Automaten-Glücksspiel verbieten? Dann aber auch weg mit Zigaretten und Alkohol. Das funktioniert nicht. Allerdings sollte sich jeder, der an dieser Art legalem Drogenkonsum verdient, fragen: Wo liegt meine Verantwortung? Das machen die wenigsten freiwillig. Die Auflagen für Wirte reichen nicht aus, um auf das Spielsuchtproblem ausreichend hinzuweisen – geschweige denn sie zum Einschreiten zu bewegen. Der Gesetzgeber versucht naiv, mit erzwungenen Schulungsmaßnahmen für Spielhallenpersonal dem Problem beizukommen. Sinnlos, solange so viele so viel an den traurigen Glücksrittern verdienen. An die Industrie, die sich hinter den allgegenwärtigen Automaten verbirgt, hat sich die Politik nie wirklich herangewagt. Es ist Zeit für einen neuen Anlauf. Denn sicher ist: Eine gesellschaftlich sinnvolle Aufgabe erfüllt das massenweise Verbrennen von Geldscheinen nicht.