Mitte April tat sich unter der Staigstraße ein großer Hohlraum auf. Foto: Harter

Kürzlich berichtete unsere Redaktion von einem „Hohlraum mit gewölbeartigen Strukturen“, das sich bei den Bauarbeiten an der Staigstraße auftat. Diesen Hohlraum konnte man sich nicht recht erklären.

Inzwischen ist das Rätsel gelöst: Es ist kein ehemaliger Bergbaustollen, kein Bier- oder Eiskeller, sondern ein Relikt des Zweiten Weltkriegs, an das sich ältere Mitbürger noch erinnern konnten.

1944/45 war in Deutschland „Luftschutz“ angesagt, da alliierte Bomberverbände fast ungehindert einfliegen konnten und Fabriken, Verkehrsanlagen und Wohnviertel angriffen. Litten zuerst die Großstädte unter Zerstörungen und menschlichen Opfern, so war man später auch in Kleinstädten und Dörfern vor feindlichen Fliegern nicht mehr sicher – Grund für die nationalsozialistischen Machthaber, Schutzmaßnahmen zu ergreifen.

23 Jungen waren „Melder“

Schon 1942 wurden die Schiltacher in vier „Gefahrgemeinschaften“ mit je einem „Führer“ eingeteilt und Organisationen gebildet, die bei einem Luftangriff tätig werden sollten: Feuerlöschpolizei (100 Mann), Rotes Kreuz (45 Männer und Frauen), Alarm-, Bergungs-, Entgiftungs-, Sanitäts- und Instandsetzungstrupps (zusammen 22 Mann). Als „Melder“ waren 23 Jungen benannt. Schule, Kindergarten, Krankenhaus, Turnhalle und Martin-Luther-Haus bekamen „Luftschutz-Handspritzen“, in einem Schuppen lagerten Werkzeug und Sand.

„Befehlsstelle“ war das Rathaus, „Hauptverbandsplatz“ das Krankenhaus, das bereits seit 1938/39 einen „bombensicheren Luftschutzraum mit Operationseinrichtung“ besaß. Als „Luftschutzleiter“ fungierte Bürgermeister Groß, Fritz Arnold war „Untergruppenführer des Reichsluftschutzbunds“. Er befehligte jeweils 76 Luftschutzwarte, Haus-Feuerwehrleute, Melder und Helferinnen als geschulte „Selbstschutzkräfte“ in den straßenweise eingeteilten „Blöcken“. Sie hatten Löschgeräte bereitzuhalten und nächtens auf die Verdunkelung zu achten.

„Verdunkelungssünder“ trafen, wie der Bürgermeister 1944 bekanntgab, „strenge Strafen“, und er ermächtigte jeden Einwohner, „wenn feindliche Flugzeuge über unserem Luftraum sind, die Fensterscheiben von Räumen einzuwerfen, die nicht verdunkelt sind“.

1300 ungeschützte Personen

Die bedrohlich werdende Luftlage ließ auch nach öffentlichen „Luftschutzräumen“ Ausschau halten. Dafür wurden die großen Lagerkeller der Gasthöfe und Geschäftshäuser eingerichtet, dazu die alten Felsenkeller der Brauereien an der Kesslerhalde, in der Schramberger- und der Hohensteinstraße. Zusammen kamen hier 1200 Menschen unter, doch waren, wie im Oktober 1944 gemeldet wurde, noch „1300 Personen ungeschützt“.

Infolge der „Verstärkung der Luftgefahr“ wurden „in Gemeinschaftsarbeit“ am Bahnhof und bei der Firma Grohe nun „Splitterschutzgräben“ angelegt, in die die Menschen flüchten konnte. Ebenso begann man, beim „Rößle“ in den Hang zur Staig einen Stollen zu graben. Im November 1944 beantragte Bürgermeister Groß beim Forstamt für diesen „Luftschutzstollen“ 50 Festmeter Rundholz zur Abstützung, als „sehr dringlich“ und „raschestens benötigt“. Mitte Januar 1945 berichtete er, dass der Stollen noch „im Bau“ sei, aber schon eine Länge von 8 Metern, eine Höhe von 1,70 Metern und eine Breite von 1,20 Metern habe.

In die Bahntunnels geflüchtet

Da es keine archäologische Erkundung gab, ist nicht bekannt, ob an ihm noch weiter gebaut wurde – auch nicht, ob er seine Funktion überhaupt erfüllt hat. Als wenige Wochen später, in der Nacht vom 20. auf den 21. April 1945, die französische Armee von Schenkenzell mit Geschützen ins Städtle schoss und am anderen Morgen einmarschierte, hatte sich der Großteil der Schiltacher in jene Haus- und Felsenkeller geflüchtet, ebenso in die Bahntunnels und dort in dieser Nacht des Bangens und Schreckens Schutz gesucht. Daran hat das „Loch“ an der Staigstraße jetzt unvermittelt und eindringlich erinnert.