Nach Ansicht des Stuttgarter Baumstatik-Experten könnten die Bäume auf der Dammkrone erhalten bleiben. (Archivfoto) Foto: Cools

Wie geht es mit den Hochwasserschutzmaßnahmen in der Kernstadt weiter? Nachdem Bürgermeister Hermann Acker sich im Gemeinderat kritisch bezüglich des Plans des Baum-Sachverständigen Lothar Wessolly geäußert hat, meldet sich dieser nun zu Wort: "Ich weiß nicht, woher die Aufregung von Herrn Acker plötzlich kommt".

Oberndorf - Die Stadt werde keinen Experimenten zustimmen, hatte Oberndorfs Bürgermeister in der jüngsten Gemeinderatssitzung mitgeteilt und damit das Abweichen von DIN-Normen gemeint.

Ein solches mit einem erheblichen Eingriff in das Wurzelwerk war seinem Verständnis nach vom Baum-Sachverständigen Lothar Wessolly vorgeschlagen worden. Wessolly war von den Einwohnerantrag-Stellern ins Spiel gebracht worden (wir berichteten) und ist davon überzeugt, dass die Bäume auf der Dammkrone des Neckars für die Hochwasserschutzmaßnahmen nicht gefällt werden müssen.

Lothar Wessolly: "Wir machen keine Experimente"

Bei seiner Aussage hatte sich Acker auf einen Zwischenbericht des Ingenieurbüros bezogen. Stadtrat Dieter Rinker (FWV) hatte gesagt, er wolle ungern DIN-Normen über den Haufen werfen und ins Risiko gehen.

Acker hatte bekräftigt: "Wir werden als Verwaltung jedenfalls keinen Experimenten zustimmen, bei denen die Standsicherheit der Bäume nicht absolut gewährleistet ist. Zumindest solange nicht, bis feststeht, dass die Stadt in Schadensfällen nicht haftet und dass sich unsere Mitarbeiter keinen strafrechtlichen Risiken aussetzen."

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Daraufhin meldete sich Lothar Wessolly beim Schwarzwälder Boten. "Wir beide, das Ingenieurbüro Wald + Corbe und ich, möchten vom Bürgermeister wissen, worin wir von einer DIN abweichen und warum er plötzlich Panik bekommt. Wir machen keine Experimente", stellt er klar.

Vorneweg sei gesagt, dass die DIN-Normen, die besagen, dass Bäume unzulässig sind, auf reine Erdwälle bezogen seien. Mit einer Spundwand, wie sie in Oberndorf geplant ist, sei die Situation eine vollkommen andere, weil sich die Statik des Deiches verändere.

"Die bestehende DIN behandelt auf über 60 Seiten reine Erdwälle, die natürlich überströmt werden können mit einer Erosion der landseitigen Tragstruktur, wie bei der Steinbachtalsperre in NRW deutlich zu sehen war", erklärt der Ingenieur und Gutachter. Die Spundwand hingegen verhindere eine Durchströmung des Deiches mit rückwärtiger Erosion.

Am Rande erwähnt sei die DIN, die pauschal über alles drüber gelegt werde, im Grunde genommen auch nur ein Vorschlag und kein Gesetz. Da im Oberndorfer Fall aber keine verletzt werde, sei das nur eine Nebenbemerkung.

Das Büro Wald + Corbe war von der Notwendigkeit eines Deichverteidigungsweges ausgegangen, so Wessolly. Es gebe jedoch eine andere Lösung mit Seil und Pfeilern, die sozusagen auf der Spundwand "reiten". Dadurch würden links und rechts der Spundwand nur 1,50 Meter Platz benötigt. Seine Aufgabe sei die Beurteilung der Stand- und Bruchsicherheit. Er werde jeden Baum einzeln beurteilen.

"Ich bin der Begründer der an der Universität Stuttgart entwickelten wissenschaftlich fundierten Baumstatik (seit 1987) und Verfasser des Handbuchs der Baumstatik und Baumkontrolle 1998/2014. In diesem Sinn bin ich dafür bekannt, der hundertjährigen Angst der deutschen Deichbauer gegenüber Bäumen entgegen zu wirken", erklärt der Baumstatik-Experte.

Haftungsrechtlich verantwortete Sicherheitsgutachten

Sein juristisch belastbares Verfahren sei in der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau (FLL) anerkannt. Er habe es schon bei 15 000 Bäumen in Europa angewandt. "Für diese Bäume, darunter seit 25 Jahren etwa die Platanenallee in Tübingen, übernehme ich die Haftung. Und sie stehen alle noch."

Mit dem wissenschaftlich belastbaren Verfahren, der Elasto-/Inclino-Methode, stelle man fest, inwiefern ein Baum standsicher sei. Die Bruch- und Kipplast könne genau vorhergesagt werden.

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In Frankreich pflanze man seit 350 Jahren Millionen Bäume auf die Deiche der mehrere tausend Kilometer langen Kanäle. Wurzeln als zugbelastete Elemente sorgten für eine Stabilisierung des Grundes. Deshalb würden auch in den Alpen Bäume zum Verbau genutzt.

Wenn man bei der durchwurzelten Hanglage in Oberndorf nun die Bäume fällen würde, so würden die Wurzeln absterben, und eine hohe Erosion wäre zu befürchten, sagt Wessolly. "Gerade der Plan, die Bäume zu fällen, macht die Situation am Neckarufer unsicherer."

Er könne die Sorge angesichts der jüngsten Flutereignisse mit vielen mitgerissenen Bäumen verstehen, jedoch seien starke, gesunde Bäume bei einem Hochwasserereignis nicht gefährdet. So hätten auch in den Flutkatastrophengebieten viele Bäume auch noch gestanden.

"Wir wollen den Oberndorfern Gewissheit geben: Wir stehen für unsere Gutachten grade und sind haftbar. Wir tragen die Verantwortung für das sicherste und bestmögliche Ergebnis."