Schwäbischer Dialekt, begnadete Erzählkunst – Klaus Kinkel zuzuhören, machte Spaß. Foto: Stopper

In Hechingen aufgewachsen und Zollernstadt im Herzen getragen. Begnadeter Erzähler von Anekdoten.

Hechingen - Er liebte Hechingen, hing mit dem Herzen an dieser Stadt, in der er seine Jugend und eine der herbsten politischen Niederlagen erlebt hatte: Klaus Kinkel, als Arztsohn in der Zollernstadt aufgewachsen, ist am Montag im Alter von 82 Jahren gestorben.

Unvergessen: Im Januar 2013 nutzte er die Festrede beim Neujahrsempfang der Stadt Hechingen in der Stadthalle, um mitreißend lustig und nostalgisch zugleich jene Stadt wieder aufleben zu lassen, in der er Kindheit und Jugend verbracht hat. Eine Herkunft, die er nie verleugnete, auf die er im Gegensatz sogar stolz war. Nicht umsonst blieb Klaus Kinkel seinem schwäbischen Dialekt treu.

Dabei war der Vater Westfale, ein Internist und Kardiologe mit Praxis in Hechingen. Das bedeutete eine privilegierte Jugend mit Klavierunterricht (den er hasste) und Tennistraining (den Sport übte er bis ins hohe Alter aus).

Aber Klaus Kinkel war eher der raue Typ. Ein Schwabe, wie er gut nach Hechingen passte. Der als Straßenkicker mit "Baby Jetter", den Hellstern-Brüdern und "Mutsche" herumtobte, mit Herbert und Helmut Braun die Fürstengarten-Bande bildete, mit Dieter Hömig und Gerd "Pille" Wissmann zusammensteckte, mit den Abiturskameraden Uli Aufdermauer und Adolf Vees, und der sich hier als Schüler in Ursula Vogel verliebte, die er später heiratete. Zu den Kumpels von damals hielt er immer Kontakt. Für so etwas nahm sich Klaus Kinkel immer Zeit.

Ausgestattet mit einem "Elefantengedächtnis" erwies er sich bei den Treffen als begnadeter Erzähler von Anekdoten, die die damalige Zeit und Gesellschaft auf den Punkt brachten. Etwa die Nachbarin, die beim Spazierengehen stets kleine Fähnchen mit sich trug, um die als Gartendünger wertvollen Pferdeäpfel auf der Straße als die ihren zu markieren, die sie später abzuholen gedachte. Oder die Geschichte vom Bäckermeister, der stolz auf sein frühes Aufstehen morgens an der Ladentür stand, um alle Passanten mit einem "Au scho" zu begrüßen. Was heißen sollte: "Auch schon aufgestanden, ihre feinen Herrschaften". Das wurde eine stehende Redensart unter den Kumpeln.

Wer von 1944 an auch kurz unter den feinen Herrschaften in Hechingen weilte: Physik-Nobelpreisträger Werner Heisenberg, der mit seinem Berliner Forscherteam vor dem Bombenhagel nach Hechingen geflüchtet war, um weiter an der Atombombe zu forschen. Klaus Kinkel konnte sich noch an das Bild erinnern, wie sich der hochdekorierte Wissenschaftler seine Lebensmittelmarken abholte.

Wen Klaus Kinkel damals nicht mehr kennenlernen konnte, obwohl er ebenfalls als Hechinger Arztsohn nur wenige Häuser weiter aufgewachsen war: Markus Wolf. Der war 1933, also vier Jahre, bevor Klaus Kinkel nach Hechingen zog, aus der Zollernstadt vor den Nazis geflohen. Der Vater ein bekannter Kommunist, fand mit seiner Familie in der Sowjetunion Exil. Markus Wolf wurde später Leiter des DDR-Auslandsnachrichtendienstes, also Chef der DDR-Spione. Und damit der genaue Gegenspieler von Klaus Kinkel, der von 1979 bis 1982 als Präsident des Bundesnachrichtendienstes die westdeutsche Spionage lenkte.

Dass er diese Laufbahn einschlagen würde, war Klaus Kinkel nicht in die Wiege gelegt, denn eigentlich ging er immer davon aus, dass er wie sein Vater auch mal Arzt werden würde. Bis er im zweiten Semester im Seziersaal an Leichen herumschneiden sollte und merkte, dass er das kaum über sich brachte. Er wechselte auf Jura, promovierte 1964, fing als Verwaltungsjurist im Bundesamt für Zivilschutz an. Der Weg führte ihn 1966 ans Balinger Landratsamt.

Und fast hätte er nach Hechingen zurückgeführt. Denn dort wurde 1967 ein neuer Bürgermeister gesucht, und als Sohn der Stadt ging Kinkel sehr siegessicher in diese Wahl. Aber er verlor im zweiten Wahlgang gegen Norbert Roth. Das habe ihn mächtig geärgert, gab er später unumwunden zu, aber die Erfahrungen aus dem Wahlkampf habe er noch oft brauchen können in seiner späteren politischen Karriere.

Die führte bald wieder weg von Balingen, zunächst ins Innenministerium, dann zum Bundesnachrichtendienst und über das Amt des Justizministers weiter in das des Außenministers unter Helmut Kohl.

Dass ihn in diesem Amt seine alte Heimat Hechingen selbst im Ausland noch buchstäblich im Griff hatte, war eine Anekdote, die Klaus Kinkel gern erzählte. Da sei er in Südafrika im Kreis internationaler Außenpolitiker in ein Restaurant eingekehrt, als ihm plötzlich jemand "von hinten die Pranke auf die Schulter gehauen hat". Sein alter Jugendkumpel "Mutsche" war das, der ausgewandert war, dort das Restaurant führte. Und was der zur Begrüßung sagte, hat Klaus Kinkel hellauf begeistert: Es war ein kurzes und trockenes "Au scho".

Info: Klaus Kinkel

Klaus Kinkel wurde am 17. Dezember 1936 in Metzingen geboren. Bald nach seiner Geburt zog die Familie nach Hechingen, wo er 1956 am Gymnasium sein Abitur ablegte. Sein anschließenden Medizinstudium in Tübingen bracht er im zweiten Semester ab, anschließend studierte er Jura. Das Studium schloß er 1964 mit der Promotion ab. Berufliche Stationen führten über das Bundesamt für Zivilschutz von 1966 bis 1968 ins Balinger Landratsamt. In diese Zeit fällt auch die erfolglose Bewerbung um das Amt des Hechinger Bürgermeisters 1967. Von 1970 bis 1974 ist er im Innenministerium persönlicher Referent von Bundesinnenminister Hans-Dietrich Genscher, von 1979 bis 1982 Präsident des Bundesnachrichtendienstes, von 1991 bis 1992 Bundesjustizminister und von 1992 bis 1998 Außenminister. Von 1993 bis 1995 war er Bundesvorsitzender der FDP. 1998 schied er aus dem Deutschen Bundestag aus.

Stimmen aus der Bevölkerung

Hechingen (kla). Zum Tod von Klaus Kinkel haben uns mehre Zuschriften erreicht. Unter anderem drückt Stephan Link als Vorsitzender des FDP-Kreisverbands sein Bedauern aus. Dabei schreibt er: "Der Hechinger Dr. Klaus Kinkel hat bei all seinem politischen Wirken im In- und Ausland nie seine Heimat vergessen". Als Vorsitzender des Hechinger FDP-Ortsverbands schreibt Daniel Idelmann an unsere Redaktion: "Mit Dr. Klaus Kinkel haben wir eine herausragende liberale Persönlichkeit und großen Europäer verloren." Kinkel habe seine Heimatstadt Hechingen nie vergessen und sei bis zuletzt "in vielen gesellschaftlich und sportlich aktiven Vereinen hier vor Ort engagiert" gewesen.