Im Bundestag kursieren Pläne, die wichtigsten Punkte der Organisation des obersten Gerichts selbst grundgesetzlich zu regeln. Radikale und Populisten könnten sie so schwerer aushebeln.
Im Bundestag geht eine Sorge um. Was passiert, wenn rechtsradikale oder populistische Parteien so viel Einfluss und Mandate erringen, dass sie tatsächlich die Macht hätten, zentrale Institutionen der Demokratie zu beschädigen – etwa das Bundesverfassungsgericht? Und ist es angesichts der nicht von der Hand zu weisenden Gefahr nicht ratsam, rechtzeitig Vorkehrung zu machen, um unser System krisenfester zu machen? Genau diese Debatte beginnt gerade.
Warum könnte es Handlungsbedarf geben?
Das Grundgesetz, über dessen strikte Beachtung das Verfassungsgericht zu wachen hat, regelt in Bezug auf das Gericht nur den allgemeinen Rahmen. So heißt es in Artikel 94: „Das Bundesverfassungsgericht besteht aus Bundesrichtern und anderen Mitgliedern. Die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichtes werden je zur Hälfte vom Bundestage und vom Bundesrate gewählt. Sie dürfen weder dem Bundestage, dem Bundesrate, der Bundesregierung noch entsprechenden Organen eines Landes angehören.“ Auch das Recht der Bürger auf Verfassungsbeschwerde ist verfassungsrechtlich geschützt. Diese Vorschriften könnten deshalb nur mit einer Zweidrittelmehrheit des Bundestags geändert werden. Eine ganze Reihe wichtiger Einzelheiten ist aber nicht grundgesetzlich, sondern einzelgesetzlich festgelegt – und hier reichte für eine Änderung eine einfache Mehrheit im Parlament. Dazu zählen die Anzahl der Senate, ihre Größe, die Länge der Amtsdauer der Richter und die Geschäftsverteilung. Selbst die notwendige Zweidrittelmehrheit bei der Wahl neuer Karlsruher Verfassungsrichter steht nur im Bundesverfassungsgerichtsgesetz, könnte also mit einfacher Mehrheit geändert werden.
Sind die Befürchtungen übertrieben?
Etliche Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, das Populisten ganz gezielt die Institutionen lahmlegen oder ihren Einfluss begrenzen, die ihre Machtausübung kontrollieren können. In Ungarn hat Viktor Orban seine parlamentarische Zweidrittelmehrheit genutzt, um die Zahl der Verfassungsrichter zu erhöhen und mit eigenen Leuten nachzubesetzen. Gleichzeitig wurde die Amtszeit verlängert. Über wesentliche Themen wie den Haushalt darf das Verfassungsgericht nun nicht mehr urteilen. In Polen darf das höchste Gericht nun nicht mehr die behandelten Fälle der Dringlichkeit nach priorisieren, sondern muss die Beschwerden chronologisch abarbeiten. In Israel wollte Premier Netanjahu erreichen, dass das Parlament Entscheide des Verfassungsgerichtes mit absoluter Mehrheit überstimmen darf.
Unter den Rechtspolitikern des Bundestags kursiert ein Papier, das Optionen diskutiert. Im Prinzip gibt es zwei Wege. Man könnte wichtige Vorschriften des Verfassungsgerichtsgesetzes ins Grundgesetz aufnehmen. Damit könnten sie nur mit Zweidrittelmehrheit geändert werden. Dazu könnten etwa die Regeln zur Richterwahl, die Amtsdauer, der Ausschluss der Wiederwahl, die Gliederung in zwei Senate mit jeweils acht Richtern und die Bindungswirkung der Entscheidungen des Verfassungsgerichts zählen.
Ein anderer Weg wäre es, dem Verfassungsgericht im Grundgesetz ein Mitspracherecht bei wesentlichen Veränderungen seiner Arbeitsweise und Zuständigkeit einzuräumen. Die Juristen sprechen von einer „Einvernehmenslösung“. Aber selbst wenn Populisten über keine eigene Zweidrittelmehrheit verfügten, könnten sie doch so viele Stimmen haben, um eine Zweidrittelmehrheit jenseits von ihnen zu blockieren. Dann wären keine Richterernennungen mehr möglich. Diskutiert wird für diesen Fall die Einrichtung eines Wahlausschusses, der mit Richtern aus den obersten Bundesgerichten besetzt sein könnte.
Welche Möglichkeiten gibt es?
Was sagt die Union?
All diese Reformen bräuchten selbst eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Die Ampel müsste sich also mit der Union einig werden. Ist das realistisch? Von Fachpolitikern der Union gab es erste positive Signale. Dort teilt man die Befürchtungen. Thorsten Frei, der parlamentarischen Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, bremst aber. Gegenüber unserer Zeitung sagte Frei am Dienstag: „Wir sollten mehr Zutrauen in die Stärke unserer Verfassungsorgane haben. Auf die Schnelle die Gesetzgebung zum Bundesverfassungsgericht zu ändern, halte ich nicht für angemessen. Bei aller berechtigten Sorge über das Erstarken der politischen Ränder sollten wir in Ruhe und mit Augenmaß das bestehende Regelwerk überprüfen.“