Kläger Dietmar S. (links) forderte 150 000 Euro von Biontech. Foto: Kienzl Hinteregger (Archiv)

Diese Entscheidung wurde bundesweit mit Spannung erwartet: Die 2. Zivilkammer des Landgerichts Rottweil hat mit Urteil vom Mittwoch die Klage gegen den Impfstoffhersteller Biontech wegen eines behaupteten Impfschadens abgewiesen.

Das Gericht gab die Entscheidung am Mittwochvormittag bekannt. Der 58-jährige Kläger Dietmar S. hatte von der Beklagten unter anderem aufgrund einer massiven Verschlechterung der Sehkraft auf dem rechten Auge infolge eines Augeninfarkts Schmerzensgeld in Höhe von 150 000 Euro sowie die Feststellung verlangt, dass ihm sämtliche materiellen und weiteren immateriellen Schäden aufgrund der Gesundheitsbeeinträchtigung zu ersetzen sind. Er hatte zum Auftakt des Verfahrens im Juli zudem Wortfindungsstörungen, Schwindel und das Gefühl eines „Schleiers im Gehirn“ angeführt. All dies sei Folge einer zuvor erfolgten Corona-Impfung, so Dietmar S., weshalb er Biontech verklagte.

Am Mittwoch heißt es nun in der Mitteilung zum Urteil: „Ob der erlittene Augeninfarkt durch die Impfung mit dem Impfstoff der Beklagten verursacht wurde, hatte die Kammer nicht zu entscheiden. Denn sie lehnte die Voraussetzungen sämtlicher in Frage kommender Anspruchsgrundlagen ab.“

Einzelheiten zur Haftungsfrage

Das Gericht erläutert zum Thema Haftung: „Eine Haftung des Impfstoffherstellers bei Auftreten einer Nebenwirkung besteht nach Paragraf 84 Absatz 1 Arzneimittelgesetz (AMG), wenn entweder das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen (sogenanntes negatives Nutzen-Risiko-Verhältnis) oder der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist. Zu beiden Voraussetzungen sah die Kammer keinen ausreichenden Vortrag des Klägers.

Die Europäische Kommission, so heißt es weiter, habe in mehreren Zulassungsverfahren für den Impfstoff, zuletzt im August 2023 für den an die Omikronvariante angepassten Impfstoff, aufgrund der Stellungnahmen der zuständigen Arzneimittelbehörden, die unter Heranziehung von Sachverständigen und Auswertung sämtlicher bekannter Daten erfolgten, durchgängig ein positives Nutzen-Risiko-Verhältnis angenommen.

Nicht verifizierte Verdachtsmeldungen aus dem Internet

Vor diesem Hintergrund verlangte die Kammer Vortrag zu Fehlern im Zulassungsverfahren oder zu zwischenzeitlich neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die zu einer geänderten Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses führen würden. Der Vortrag des Klägers stützt sich nach den Ausführungen der Kammer allerdings nur auf nicht verifizierte Verdachtsmeldungen von Impfschäden, aus dem Internet übernommene Einzelmeinungen insbesondere zum Spike-Protein, vom Kläger beauftragte nicht wissenschaftliche Stellungnahmen von Ärzten oder sachlich unzutreffende Kritik an den Sicherheitsberichten des Paul-Ehrlich-Instituts.

Die Kammer sah die vom Kläger behauptete politische Einflussnahme auf die Zulassungsentscheidungen vor dem Hintergrund der Haftungsübernahme der Mitgliedsstaaten nicht näher dargelegt. Als unerheblich stufte die Kammer für die aktuelle Beurteilung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses ein, dass Langzeitstudien aufgrund des zeitlichen Ablaufs noch nicht vorliegen können.

Keine fehlerhafte Gebrauchsinformation

Einen ausreichenden Vortrag zu einer fehlerhaften Gebrauchsinformation der Beklagten bei Inverkehrbringen des Impfstoffs konnte die Kammer ebenfalls nicht erkennen. Der Kläger hat insoweit insbesondere auf eine behauptete besondere Gefährlichkeit des Impfstoffs abgehoben. Die Kammer sieht hierzu den Hinweis in der Gebrauchsinformation von Biontech zum Impfstoff, dass das Auftreten von bei Zulassung unbekannten Nebenwirkungen nicht sicher ausgeschlossen werden könne, als ausreichend an.

Kein Verschulden

Die Voraussetzungen der Anspruchsgrundlagen des allgemeinen Deliktsrechts hat die Kammer gleichfalls ausgeschlossen. Für Paragraf 823 Absatz 1 BGB, wonach eine Haftung bei einer fahrlässigen Gesundheitsbeeinträchtigung gegeben sein könnte, fehle es an einer pflichtwidrigen Handlung sowie am Verschulden. Auch der vom Kläger angeführte Paragraf 826 BGB, eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung, sei nicht erfüllt.

Der Kläger kann gegen das Urteil binnen eines Monats Berufung einlegen, über die das Oberlandesgericht Stuttgart entscheiden würde.

Aktuell sind am Landgericht Rottweil zwei weitere Impfschadenverfahren anhängig, über die im neuen Jahr entschieden werden soll. Das nun verkündete Urteil im ersten Fall gilt als richtungsweisend für weitere Verfahren.