Dietmar S. (links) sieht zwischen den Impfungen und seinem gesundheitlichen Schaden einen Zusammenhang. Foto: Kienzl Hinteregger

Brechend voll war der Sitzungssaal des Rottweiler Landgerichts am Montag. Kein Wunder, könnte die Verhandlungssache doch Vorbildfunktion für viele weitere haben. Dietmar S. verklagt den deutschen Impfstoffhersteller Biontech. Der Vorwurf: ein Gesundheitsschaden nach zwei Corona-Schutzimpfungen.

Wortfindungsstörungen, Schwindel, das Gefühl eines „Schleiers im Gehirn“, Sehstörungen und jetzt nur noch drei Prozent Sehkraft auf dem rechten Auge – Dietmar S. hat Furchtbares erlitten. Daran zweifelten bei der Verhandlung vor dem Rottweiler Landgericht am Montag weder das Gericht noch die Gegenseite, die den beklagten Impfstoffhersteller vertritt. Zweifel bestehen lediglich darin, ob die Leidensgeschichte des 58-jährigen Klägers unwiderleglich eine Folge seiner Corona-Impfung war.

 
Zahlreiche Medienvertreter versammeln sich vor dem Richtertisch und dem Tisch der Vertreter des Impfstoffherstellers Foto: Kienzl Hinteregger

Montag, 3. Juli, 13.30 Uhr. Der große Saal des Rottweiler Landgerichts ist zum Bersten voll. Zuhörer stehen in Schlange an, um einen Platz zu ergattern, Medienvertreter mit Fernsehkameras haben sich vor dem Richtertisch aufgereiht, verfolgen jede Bewegung des Klägers und der Vertreter des beklagten Impfstoffherstellers. Der Fall, der hier verhandelt wird, ist von bundesweiter Bedeutung, könnte Vorbild für viele weitere Prozesse werden.

Wortfindungsstörungen und Konzentrationsprobleme

Der Kläger Dietmar S. trägt eine Spezialbrille, bei der ein Glas dunkelgetönt ist. Die hat er sich anfertigen lassen, weil sein rechtes Auge nach einem erlittenen Augeninfarkt enorm lichtempfindlich ist, wie er vor Gericht erzählt.

Begonnen habe alles mit seinen beiden Corona-Schutzimpfungen im Mai und Juni 2021 in Freiburg. Am Morgen nach der zweiten habe er sich schwindelig gefühlt. Beim Frühstück mit der Schwester, bei der er übernachtet hatte, seien ihm plötzlich keine Namen mehr zu den Spielern der deutschen Nationalmannschaft eingefallen – ungewöhnlich, schließlich sei er großer Fußballfan, sagt er. „Die waren einfach weg.“ Es sei beängstigend gewesen.

Weil er nicht gewusst habe, was da gerade mit ihm passiere, habe er dann schnell den Heimweg angetreten und den Rest des Tages im Bett verbracht. Was auch Tage später noch blieb, war ein „Schleiern im Gehirn“ – in Fachkreisen „brain fog“ genannt – und Probleme mit der Konzentration, die sich beim Lesen und der PC-Arbeit äußerten. In der Hoffnung, dass die Symptome bald wieder weg sind, sei er nicht zum Arzt gegangen. Und tatsächlich hätte sich manche Beschwerde mit der Zeit ausgeschlichen.

Nur noch drei Prozent Sehvermögen

Die Konzentrationsprobleme aber blieben. Andere Familienmitglieder hätten diese auch gehabt, aber nicht in diesem Ausmaß, schildert der Kläger. Im Sommer begannen die Sehstörungen – erste Anzeichen des Augeninfarkts, der Mitte August diagnostiziert wurde. Schon da sei er niedergeschlagen gewesen, habe aber ja noch nicht gewusst, wie schlimm es einmal werden würde.

Dietmar S. tingelte von Arzt zu Arzt. Im September folgte der Verlust des kompletten Sehfeldes am rechten Auge, wo der Kläger nun offenbar nur noch drei Prozent Sehkraft hat. Er sehe nur noch Schemen und Bewegungen. Auch das räumliche Sehen sei nicht mehr richtig möglich.

Ein Umstand, der laut Kläger dazu führte, dass er Ende September 2021 mit dem E-Bike auf einem Feldweg stürzte, weil er laut eigener Aussage schon da nicht mehr gut sah und die Höhe der Grasnarbe nicht abschätzen konnte. Dabei zog er sich eine Schulterverletzung zu, die operiert werden musste, wie er erzählt.

Abgedunkelte Räume

Mit seiner 2012 diagnostizierten beidseitigen Augenmigräne – diese äußert sich in minutenlangem Flimmern – habe das nichts zu tun, sagt Dietmar S. Ursächlich dafür sei offenbar eine Art Muttermal auf der Netzhaut, das er seitdem beobachten lasse und das sich bis heute nicht verändert habe.

Die psychische Belastung durch den Verlust des Sehvermögens am rechten Auge sei schlimm, sagt der 58-Jährige. Der Alltag sei stark erschwert. Tagsüber müsse er oft den Raum abdunkeln, bei Kommunikationsgeräten den „Dark Mode“ einstellen und die Schrift stark vergrößern. „Es gibt schon Möglichkeiten, aber schön ist es nicht“, sagt er.

Seit 2020 ist er arbeitslos. Nach dem Verkauf des Unternehmens, in dem er arbeitete, sei seine Stelle weggefallen und er habe sich erst einmal eine berufliche Auszeit gegönnt. 2021 habe er begonnen, sich nach einer neuen Stelle umzusehen, doch das rückte durch die Gesundheitsprobleme in den Hintergrund. Mittlerweile fühle er sich beim Versuch eine neue Arbeit zu finden, als würde er „weggeschoben“ – nicht wegen seines Alters, sondern wegen des Handicaps.

Was macht den Kläger so sicher?

Richter Torsten Hub fragte den Kläger, was ihn so sicher mache, dass ausgerechnet die Corona-Impfung ursächlich für den Augeninfarkt war. Risikofaktoren gebe es schließlich viele, und einige davon erfülle Dietmar S. ja auch.

Das sei bei 25 Prozent aller Menschen so, gab der Kläger zurück. Er habe sich über das Thema Corona-Impfung schlau gemacht. Was er gefunden habe, habe gepasst. Außerdem sieht der Kläger den engen zeitlichen Zusammenhang von Impfung und Symptomen als Indiz. Er ist von der Kausalität überzeugt. Dabei sagte er aber gleichzeitig, dass Symptome wie die seinen ebenso eine Impfreaktion sein könne wie Folge einer Corona-Erkrankung. 2022 war er trotz seiner zweifachen Impfung an Corona erkrankt.

Den Vorsitz hat Torsten Hub (Mitte) Foto: Kienzl Hinteregger

Die Kausalität zwischen Impfung und Gesundheitsschaden ist die zentrale Frage des Prozesses. Etwas, das sehr schwierig nachzuweisen sein dürfte, wie bei der Verhandlung herauszuhören war. Denn unstrittig sei auch, dass Risikofaktoren vorliegen, die ebenfalls an den Schäden Schuld sein könnten. Man dürfe den Vorwurf nur anhand der rechtlichen Vorschriften prüfen, betonte Richter Hub. Unabhängig davon, dass man den Schicksalsschlag des Klägers anerkenne, und unabhängig von politischen und gesellschaftlichen Faktoren oder Gefühlen.

Muss die Zulassung überprüft werden?

Die Vertreter des Klägers wiesen darauf hin, dass der Impfstoff, um den es geht, erst im Herbst 2021 dauerhaft zugelassen wurde. Sie stellen in den Raum, dass er zu diesem Zeitpunkt eine andere Zusammensetzung gehabt haben könnte als zum Zeitpunkt der Impfung von Dietmar S. Nur weil ein Impfstoff zugelassen worden sei, könne das nicht heißen, dass alles gut sei, gaben sie zu bedenken. Auch die Zulassung als solche müsse im Hinblick auf das Nutzen-Risiko-Verhältnis überprüft werden.

Ein Vergleich kommt für die Vertreter des Impfstoffherstellers nicht in Betracht, wie deutlich wurde. Nach den aktuell vorliegenden Informationen sahen diese den Anspruch des Klägers als nicht berechtigt an.

Rechtsstreit wird schriftlich ausgetragen

Nach Zustimmung beider Seiten wird nun in ein schriftliches Verfahren eingetreten. Das bedeutet, dass sich jeder ausführlich schriftlich äußern und auch Stellung zu den Ausführungen der jeweiligen Gegenseite nehmen kann. Der Verkündungstermin der Entscheidung des Gerichts wurde auf 29. September, 9 Uhr, festgelegt. Ob Dietmar S. nun letztlich Recht bekommen wird oder nicht – was bleibt, ist ein Schicksal, das alle Seiten betroffen macht.