Werden die Grünen immer mehr zum Feindbild? Foto: David Nau/dpa

Drohungen im Netz wie „Für deine Worte sollst du hängen!“, Demonstranten vor der eigenen Haustür: Sandra Boser, Cindy Holmberg und Martina Braun trifft die aufgeheizte Stimmung im Land ganz persönlich. Sie sind Landtagsabgeordnete für die Wahlkreise Lahr, Villingen-Schwenningen und Hechingen-Münsingen und sprechen über ihre Erfahrungen.

Es war an einem Sonntagabend im Jahr 2021, als Martina Braun vor der eigenen Haustür in Furtwangen plötzlich Demonstranten gegenüberstand. 35 „Riesentraktoren“ und 50 Bauern hätten sie damals auf ihrem Bauernhof „umzingelt“, erinnert sich die Grünen-Landtagsabgeordnete (Wahlkreis Villingen-Schwenningen). Anlass war der Gesetzentwurf des Insektenschutzgesetzes des Bundes.

„Meine Familie war ziemlich entsetzt“, berichtet die Politikerin. Braun sprach an diesem Abend dennoch mit den Landwirten und sicherte ihnen Informationen per E-Mail zu. Der Austausch blieb friedlich und die darauffolgende Kommunikation per E-Mail konnte die Situation weiter entspannen.

Aber: „Einen daheim auf dem Hof einzukesseln und Druck auszuüben, ist nicht so ganz die richtige Art und Weise.“ Vor allem, da ihre Familie das Ganze als Drohkulisse empfunden habe, erzählt Braun. Als Berufskollegin der Landwirte habe sie viel Verständnis für die Sorgen und Anliegen der Bauern, der Protest auf ihrem Hof habe allerdings eine Grenze überschritte. „Da habe ich mich schon gefragt: ’Warum wird man jetzt so angegangen?’“

Martina Braun ist Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Villingen-Schwenningen. Foto: Lena Lux

„Die Menschen kommen näher“

Jetzt, drei Jahre später, entgleist der politische Diskurs weiter. Bundesweit wurden so viele Angriffe auf Politiker der Grünen registriert wie nie zuvor. „Der Umgangston wird rauer und die Menschen kommen näher“, berichtet Cindy Holmberg. Die Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Hechingen-Münsingen beobachtet eine Veränderung: 2015, im Rahmen der Flüchtlingskrise, hätten die Bürger ihrer Wut vor allem im Netz Luft gemacht. „Jetzt ist die Wut auch auf der Straße. Jetzt begegnet mir das auch im realen Leben“, sagt Holmberg.

„Für deine Worte sollst du hängen!“, „Du Fotze, geh arbeiten du Hure“ – im Netz kämpft Holmberg mit Anfeindungen wie diesen. Persönlich seien ihr solche Dinge noch nicht gesagt worden. Allerdings komme es in jüngster Zeit öfter vor, dass sich Fremde direkt vor ihr aufbauten und ihr beispielsweise erzählten, die Politiker würden „Deutschland zerstören“ und sich doch nur um „Gesocks“ kümmern. Die Landtagsabgeordnete findet es sinnvoll, Beleidigungen und Bedrohungen im Netz und im Alltag anzuzeigen. Holmberg: „Es ist sehr wichtig für Betroffene und für die Statistik.“

Cindy Holmberg ist Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Hechingen-Münsingen. Foto: Lena Lux/Lena Lux Fotografie

Mehr Polizeischutz als Lösung?

Auch Partei- und Fraktionskollegin Sandra Boser (Wahlkreis Lahr) erlebt, dass der Ton in den vergangenen Jahren rauer wird. „Natürlich gibt’s da auch Mal härtere ’Angriffe’“, sagt sie. Das seien aber keine Anfeindungen, von denen sie sich persönlich angegangen fühle. In der Politik müsse man auch Gegenwind aushalten, ist Boser überzeugt.

Eine rote Linie ziehe sie aber bei ihrer Familie und dann, wenn Ehrenamtliche - also beispielsweise Gemeinderäte - ins Visier geraten. „Die machen das auf freiwilliger Basis, in ihrer Freizeit“, betont Boser. Unter diesem Gesichtspunkt seien Anfeindungen noch weniger angebracht.

Sollten in der Zwischenzeit politische Events mit Eskalationspotenzial abgesagt werden? Nein, sind sich die drei Politikerinnen einig. Bei Veranstaltungen mit Bundespolitikern erfordere die aktuelle Lage ein Sicherheitskonzept und vielleicht auch mehr Aufmerksamkeit der Polizei, meint Holmberg. Dass politische Veranstaltungen aber generell nur noch mit Personenschutz stattfinden, hält Parteikollegin Boser für falsch. „Ich glaube nicht, dass es der richtige Weg ist, dass politische Veranstaltungen nur noch unter Polizeischutz stattfinden können.“ Das sei ein falsches Signal und könne Interessierte oder Engagierte ängstigen oder abschrecken.

Sandra Boser ist Landtagsabgeordnete für den Wahlkreise Lahr. Foto: Lena Lux/Lena Lux Fotografie

Politik als Buhmann der Nation

Den politischen Diskurs wieder auf sachlicher Ebene zu führen, sehen die drei Frauen als große Herausforderung. Boser will die Wurzel des Problems mehr in Blick nehmen: Falschinformationen. Gegen Inhalte auf Social Media, die erwiesenermaßen ’Fake News’ sind, sollte ihrer Überzeugung nach gezielt vorgegangen werden. „Wenn sich Leute nicht mehr auf Fakten berufen, dann habe ich schon Sorge, was das mit einer Gesellschaft macht. Wenn Politik nur noch der Buhmann der Nation ist, dann wird’s ganz gefährlich“, fürchtet auch Braun.

Die Menschen erreichen, noch besser kommunizieren, das sehen Boser, Holmberg und Braun als ihre Aufgabe. Dazu gehöre, immer weiter den Kontakt zu den Bürgern und das Gespräch zu suchen. Dabei sei es wichtig, die Menschen auch auf die positiven Entwicklungen hinzuweisen. Diese würden oft nicht oder zu wenig wahrgenommen, so Martina Braun. Sie betont: „Die Politik des Gehörtwerdens gilt immer noch.“