Damit keine Überlastung der Gesundheitsversorgung droht, will man frühzeitig präventiv eingreifen. Foto: Murat/dpa

Der Herbst rückt näher – und damit auch die Sorge vieler vor einem enormen Anstieg der Corona-Fallzahlen verbunden mit einer Überlastung der Gesundheitsversorgung. Im Landkreis Rottweil bereitet man sich nun frühzeitig auf den Ernstfall vor.

Kreis Rottweil - "Wenn man sich zurzeit umschaut, könnte man denken, es gäbe Corona gar nicht", meinte FWV-Kreisrat Thomas Haas in der Verwaltungsausschusssitzung am Montag. Tatsächlich sehe es ganz anders aus, erklärte der Rottweiler Gesundheitsamtsleiter Heinz-Joachim Adam.

Zwar sei die hohe Inzidenz aktuell entkoppelt von der geringen Intensivbelastung zu sehen, jedoch bleibe sie ein Indikator für die Ausbreitung des Coronavirus’. Zum Vergleich: Im Juli 2021 hatte die Inzidenz bei etwa zehn gelegen, am Montag lag sie  laut Landesgesundheitsamt bei 543,6 für den Kreis Rottweil.

Zunehmend Personalausfälle

Zunehmend gebe es auch Personalausfälle in den Krankenhäusern, erklärte Adam. Und die Welle der Omikron-Varianten BA.4 und BA.5 sei noch nicht einmal auf dem Höhepunkt. Zudem rechnet Adam mit einer hohen Dunkelziffer bei der Inzidenz, was auch daran liege, dass Schnelltests inzwischen kostenpflichtig seien. "Tatsächlich gehen wir von einer zwei- bis dreimal so hohen Inzidenz aus", so Adam.

Bezüglich der neuen Variante BA.2.75, die in Indien entdeckt wurde, seien Experten besorgt, jedoch ließen sich noch keine validen Aussagen bezüglich der Gefährlichkeit treffen, sagte der Gesundheitsamtsleiter. Sorge bereite die Situation in Australien. Dort wüte eine ungewöhnlich heftige Winter-Grippewelle. Dies könnte ein Vorbote für Deutschland sein, so Adam. "Der Worst Case wäre eine Doppel-Welle Corona und Influenza."

Verlauf schwer vorhersehbar

Der weitere Verlauf der Pandemie sei nur schwer vorhersehbar. Laut Heinz-Joachim Adam sind jedoch drei Szenarien denkbar. Eine pandemische beziehungsweise endemische Situation mit einem Erreger, ähnlich wie bei Omikron, hält er für unwahrscheinlich.

Das mittelschwere Szenario mit Auftreten einer "gefährlicheren Virusvariante" sei wahrscheinlicher. Im schlimmsten Fall könnte laut Adam eine sehr gefährliche Virusvariante auftreten – mit enormer Belastung des Gesundheitssystems.

Bis zu 70 Kräfte

Zur Bewältigung der Pandemiebekämpfung habe man in der Vergangenheit zusätzlich zu den Containment-Scouts des Bundes, die sich um die Kontaktverfolgung kümmern, und den Bundeswehr-Kräften weiteres Personal akquirieren müssen. Zeitweise habe man bis zu 26 zusätzliche befristete Stellen ausgewiesen. Besetzt wurden diese teils mit Rentnern, teils mit Arbeitnehmern, die ihren ursprünglichen Beruf vorübergehend nicht ausüben konnten.

Für die Beschäftigung der Unterstützungskräfte habe man von 2020 bis Ende März 2022 finanzielle Mittel in Höhe von rund 610 000 Euro vom Land bekommen – bei Personalkosten in Höhe von 738 000 Euro. Bis Ende August stünden weitere Mittel in Höhe von bis zu 190 000 Euro zur Verfügung. Weitere Kostenzusagen für den Zeitraum danach gebe es nicht.

Zwischenzeitlich seien bis zu 70 Personen im Gesundheitsamt beschäftigt gewesen. Die Zahl der Unterstützungskräfte wurde inzwischen stark reduziert. Sieben Personen (5,5 Vollzeitkräfte) seien noch bis zum 31. August beim Gesundheitsamt beschäftigt. Zudem seien fünf Containment-Scouts bis Ende September in Rottweil tätig – zu 100 Prozent finanziert vom Bund.

Zehn weitere Stellen

Nun will sich das Gesundheitsamt frühzeitig auf die Verschärfung der Lage vorbereiten. So schlug Adam vor, die Verträge der sieben Kräfte bis Ende April 2023 zu verlängern (Kostenpunkt von September 2022 bis April 2023: rund 180 000 Euro) und vorsorglich weitere zehn befristete Stellen auszuweisen, die nur bei Bedarf besetzt werden sollen. Dabei müsse man mit 3900 Euro monatlich pro Vollzeitkraft rechnen.

Damit läge die Mehrung an außerplanmäßig geschaffenen Stellen 2022 insgesamt bei 39, nachdem bereits zusätzliche Stellen unter anderem wegen des Ukraine-Kriegs geschaffen wurden.

Für schnelle Reaktionen

Der Vorteil bei der Schaffung der zusätzlichen Stellen: In der Not stünden diese schnell zur Verfügung und könnten mit dem Gesundheitsamt bereits bekannten Kräften besetzt werden. "Unsere Absicht ist es, die Entwicklung in die Länge zu ziehen, damit es nicht zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommt", so Adam.

Der Erste Landesbeamte Hermann Kopp meinte, man wolle frühzeitig eine gesunde Personalbasis legen. Das vorhandene Personal habe man auch bei einer entspannteren Lage sinnvoll eingesetzt: beispielsweise als einer von vier Landkreisen das Corona-Impfteam dafür genutzt, bei ukrainischen Kindern Masern-Impfungen vorzunehmen.

Vorgehen gelobt

Das vorausschauende Vorgehen wurde vom Ausschuss gelobt und der Stellenschaffung zugestimmt. "Der Winter naht", meinte Christian Ruf (CDU). Man werde sich – nicht nur wegen der Energiekrise – warm anziehen müssen. Vorausschauendes Handeln sei genau richtig, während man von Land und Bund diesbezüglich gar nichts höre. "Die machen den gleichen Fehler zum dritten Mal. Eine weitere Schließung von Schulen und Kindergärten halten wir nicht aus – schon gar nicht in Kombination mit dem Ukraine-Krieg. Dass sich das Land so aus der Verantwortung stiehlt, ist unglaublich", so Ruf.

Impfung empfohlen

Christoph Maaß (AfD) erkundigte sich nach der Nachsorge bei Long-Covid-Fällen. Adam meinte, man stecke noch mitten in der Bekämpfung. Es gebe bislang wenige Nachsorgekliniken, jedoch würden es immer mehr.

Thomas Haas wollte wissen, was das Gesundheitsamt in Sachen Impfung empfehle. Viele Bürger seien verunsichert. Adam meinte, man solle nicht auf den möglicherweise im Herbst kommenden adaptierten Impfstoff warten, sondern sich jetzt impfen lassen. Er empfehle drei Immunisierungen, bei Risikogruppen vier. Die Nachfrage im Impfzentrum steige langsam wieder, auch wenn das wohl auf die Urlaubszeit zurückzuführen sei.