Das Corpus Delicti – das Foto, das Dieter E. Albrecht am 18. April 2021 von seinem nächtlichen Spaziergang zum Mädelesbrunnen in sozialen Medien veröffentlicht hat. Foto: Albrecht

Der erhoffte Erfolg blieb für Dieter E. Albrecht am Dienstag vor dem Rottweiler Amtsgericht aus. Sein triftiger Grund für den Spaziergang während der Corona-Ausgangssperre war für die Richterin keiner.

Rottweil - Für Dieter E. Albrecht war es keine Frage: Als er am 18. April des vergangenen Jahres trotz Ausgangssperre abends spazieren gegangen ist, hatte er einen triftigen Grund. Schon die erste Ausgangssperre habe bei ihm eine depressive Phase ausgelöst. Keine Möglichkeit seinem Tanzsport nachzugehen, geschäftliche Einbußen, keine Kontakte: Jeden Abend habe er "gefressen und gesoffen" und sei alleine im Fernsehsessel gesessen, mit den entsprechenden gesundheitlichen Auswirkungen. Anfang 2021 habe dann schon die Ankündigung der erneuten Einschränkungen wegen der Pandemie ausgereicht, um ihn wieder in ein tiefes Loch zu stürzen und sogar suizidale Gedanken zu wecken.

Zweifel an den Maßnahmen

Der 57-Jährige machte am Dienstagvormittag vor Gericht keine Anstalten, mit irgendeinem Detail hinterm Berg zu halten. Der Anlass für den Bußgeldbescheid der Stadt – "völlig korrekt". Und Albrecht machte in der Beweisaufnahme auch deutlich, dass er die Maßnahmen des Staates für nicht angemessen hielt. "Aus meiner Sicht ist es völlig unzulässig, dass der Staat mein Grundrecht derart einschränkt, dass ich nicht mehr alleine an die frische Luft darf."

Gleichwohl: Für die Richterin ergab sich in der gut einstündigen Verhandlung kein Ansatzpunkt, einen triftigen Grund für den Verstoß gegen die Ausgangssperre anzuerkennen. Ihre Fragen, ob Albrecht denn in dieser depressiven Phase ärztlichen Rat oder andere Hilfe eingeholt hat, verneinte dieser. Schließlich habe er sich ja zu helfen gewusst: Wegen der geschlossenen Tanzflächen eben mit den Spaziergängen. "Beim Cha-Cha-Cha habe ich keine suizidalen Gedanken", meinte der 57-Jährige. Und: "Ich hatte ja meinen Weg gefunden" mit den abendlichen Spaziergängen. "Dann brauche ich keinen Arzt oder Psychotherapeuten." Zudem: Sich selbst ins Rottenmünster einzuweisen, sei nicht in Frage gekommen. In der Corona-Hochzeit habe sein Geschäft enorm gelitten. Von 70 bis 80 Prozent Umsatzrückgang sprach Albrecht. Wäre es dann zu einem Aufenthalt im Vinzenz-von-Paul-Hospital gekommen, hätte das aus seiner Sicht die Insolvenz nach sich gezogen.

Darauf angelegt

Aus seinen nächtlichen Spaziergängen vor dem Zu-Bett-Gehen hatte Albrecht kein Geheimnis gemacht. Regelmäßig kündigte er sie auf Facebook an und postete dort auch Bilder direkt von den Spaziergängen – schließlich sieht er darin auch eine Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen. Er habe es darauf angelegt, dass der Bußgeldbescheid kommt, verrät er in einer kurzen Verhandlungspause, denn "ich will, dass die deutsche Justiz über diesen Unsinn entscheidet."

Das Amtsgericht Rottweil hat das nun am Dienstag getan – nicht mit dem von Albrecht erhofften Ausgang. Der Strafbefehl der Stadt über 150 Euro für die Ordnungswidrigkeit, am 18. April des vergangenen Jahres bleibt bestehen. "Sie hätten die Spaziergänge vorverlegen können", begründete die Richterin ihre Entscheidung, die "medizinische Selbstbehandlung" nicht als triftigen Grund anzuerkennen.

Notfalls bis vors Verfassungsgericht

Doch schon vorab hatte Dieter E. Albrecht angekündigt, gegebenenfalls weitere Schritte einzuleiten. Das steht nun mit einem Antrag auf Zulassung zur Rechtsbeschwerde gegen das Ergebnis der Verhandlung in Rottweil an. Die juristische Aufarbeitung des Spaziergangs könnte also weiter gehen. Albrecht sieht sich notfalls sogar vor dem Verfassungsgericht.