Das Zentrum für Psychiatrie soll in den kommenden Jahren erweitert werden. Foto: Klormann

Land investiert rund 18 Millionen Euro in forensische Klinik für suchtkranke Straftäter.

Calw-Hirsau - Das Zentrum für Psychiatrie Calw, Klinikum Nordschwarzwald, wird in den kommenden Jahren wachsen: Die Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie soll 50 zusätzliche Betten in einem Neubau bekommen. Das Land Baden-Württemberg will dafür rund 18 Millionen Euro in die Hand nehmen.

Der Bedarf wächst: Immer mehr Menschen, die straffällig geworden sind, werden in Deutschland im Maßregelvollzug (also gewissermaßen einer gesicherten Klinik) statt in "normalen" Gefängnissen untergebracht – weil sie tatsächlich oder angeblich an einer Suchtkrankheit leiden.

Rund 1200 Patienten dieser Kategorie gibt es derzeit in Baden-Württemberg, 100 davon sind in der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie in Hirsau untergebracht. Diese Abteilung des Klinikums Nordschwarzwald soll nun um 50 weitere Betten in einem Neubau vergrößert werden.

60 neue Arbeitsplätze

Geschäftsführer Michael Eichhorst rechnet damit, dass Planung und Bau rund drei Jahre in Anspruch nehmen dürften. Ab Ende 2022 könnten in Hirsau dann 150 Patienten in der forensischen Klinik Platz finden. Die Kosten, die das Land Baden-Württemberg trägt, belaufen sich, Stand heute, auf etwa 18 Millionen Euro. Eichhorst geht davon aus, dass dadurch auch rund 60 neue Arbeitsplätze entstehen.

"Wir haben die Fläche hier, wir haben die Kompetenz hier", bekräftigt der Geschäftsführer. Und Matthias Wagner, medizinischer Direktor der Klinik für Forensische Psychiatrie und Psychotherapie fügt hinzu: "Was sich hier bewährt hat, soll nach modernstem Maßstab weitergeführt werden" – sowohl hinsichtlich des Bauwerks als auch der Therapie.

Vier Verbrecher überwältigen Pfleger

50 weitere suchtkranke Straftäter in Hirsau – bei Laien weckt diese Vorstellung sicher zahlreiche Befürchtungen, die Wagner und Eichhorst allerdings entkräften möchten. Denn: Beispielsweise klassische "Ausbrüche", wie man sie aus Literatur oder Filmen kennt, bei denen etwa Gitter zersägt und Seile aus Bettlaken geknüpft werden, habe es erst einen gegeben, seit die Klinik im Januar 2008 eröffnet wurde – wenn auch ohne das klischeehafte Bild der Bettlaken. Im April dieses Jahres hatten vier Verbrecher einen Pfleger sowie eine Pflegerin überwältigt und in einen Raum gesperrt. Bereits am nächsten Morgen waren die Straftäter allerdings schon wieder gefasst.

Hin und wieder kommt es dagegen vor, dass Patienten, die in Hirsau untergebracht sind, im Rahmen ihrer Therapie Ausgang bekommen und von diesem nicht zurückkehren – so geschehen beispielsweise im Juni 2019, als ein junger Mann mehrere Tage verschwunden blieb. Der Einrichtung seien hierbei in gewisser Weise die Hände gebunden, hatten Jürgen Banschbach, Betriebsdirektor, und Gunther Essinger, medizinischer Direktor des Krankenhauses, damals auf Anfrage unserer Zeitung erläutert. Um die Rechte der Patienten zu gewährleisten, sei es nur in ganz bestimmten Fällen erlaubt, ihnen die Freiheit zu entziehen, sich frei zu bewegen. Beispielsweise wenn sie als akut fremd- oder eigengefährdend eingestuft werden oder nicht absprachefähig sind.

Jeden Tag aufs Neue werde geprüft, wie die Situation der Patienten ist, ob sie absprachefähig sind und ob ihre Freiheit demzufolge noch eingeschränkt werden dürfe, erläuterte Essinger. Erst wenn der betreffende Arzt sein O.K. gibt, werde schrittweise damit angefangen, den Patienten Ausgang zu ermöglichen. Zunächst mit Begleitung in direkter Nähe zum Klinikum, später auch im größeren Umkreis, ohne Begleitung.

Sollte sich jemand tatsächlich bewusst absetzen wollen, würden die Betroffenen dies auch tun, erläutert Eichhorst – mit anderen Worten, der Weg führe schnellstmöglich zu Bus oder Bahn, für die Menschen der Umgebung bestehe keine Gefahr. "Die ziehen hier nicht über die Dörfer", stellt der Geschäftsführer klar.

Paragraf 64

Der erhöhte Bedarf an Plätzen in einer Entziehungsklinik für Straftäter ist indes dem Paragrafen 64 des Strafgesetzbuches geschuldet, der in den vergangenen Jahren offenbar immer häufiger zum Tragen kommt. Darin steht – vereinfacht gesagt – geregelt, dass Menschen, die wegen einer Suchtkrankheit Straftaten begangen haben, therapiert werden sollen, um weitere Straftaten künftig zu vermeiden.

Da die Bedingungen in einer solchen Klinik häufig angenehmer als im Gefängnis sind und die Strafzeiten zudem oft kürzer, versuchen jedoch immer wieder auch "reguläre" Häftlinge, dort unterzukommen. Diese seien zwar kriminell, "aber haben kein Suchtproblem", erläutert Wagner. Die Abbrecherquote liegt in forensischen Kliniken daher bei rund 50 Prozent – weil manche der Patienten keine Therapie brauchen und entsprechend vom Klinikpersonal gewissermaßen wieder in die Gefängnisse zurückgeschickt werden.

Von jenen, die therapiert werden müssen und wollen, würden dagegen die wenigsten wieder rück- oder gar straffällig. Praktisch alle, so erklärt Eichhorst, gehen im Anschluss auch wieder einer geregelten Arbeit nach.