Nach dem Ausbruch von vier Straftätern in Hirsau äußern sich die Zentren für Psychiatrie im Land. Foto: Buck

Baden-Württemberg diskutiert: Ist Unterbringung von Straftätern in Psychiatrien angemessen?

Calw-Hirsau - Vier Straftäter sind vor einer Woche aus dem Zentrum für Psychiatrie (ZfP) in Hirsau geflohen, ein weiterer quasi zeitgleich aus einer Einrichtung in Weinsberg (Kreis Heilbronn). Seitdem wird in ganz Baden-Württemberg darüber diskutiert, ob die Unterbringung von Straftätern in Psychiatrien angemessen ist.

Manfred Lucha (Grüne), Baden-Württembergs Minister für Soziales und Integration, forderte nach den Vorfällen umgehend Gesetzesänderungen. Wenn der Erfolg einer Therapie als aussichtslos angesehen werde oder der Abbruch der Therapie bereits angeregt worden sei, sollte es ermöglicht werden, die Straftäter schnell wieder in den Strafvollzug zurückzuschicken, sagte Lucha. Auch zum Schutz der Mitarbeiter. Justizminister Guido Wolf (CDU) schoss sofort dagegen: "Was wir hier sehen, ist der durchsichtige Versuch, sich aus der eigenen Verantwortung zu stehlen", sagte Wolf.

Herbert Wilzek, Beschäftigtenvertreter im Aufsichtsrat des ZfP Süd-Württemberg, äußert sich in einer Stellungnahme: "Auch im Maßregelvollzug des Landes, in den ZfPs in Baden-Württemberg, bestehen derzeit sehr schwierigste Verhältnisse. Die Forensischen Kliniken leiden unter einer massiven Überbelegung in der Größenordnung einer zusätzlichen größeren Forensischen Klinik", meinte er. Die ZfPs würden mit voll schuldfähigen Straffälligen regelrecht geflutet. Die Gewalttaten gegenüber Mitarbeiter nehmen zu und ebenso der Anteil an Patienten mit Migrationshintergrund. Dennoch: Für Wilzek erscheine es keinesfalls sinnvoll, "die erheblichen Belastungen der Beschäftigten in den ZfPs gegen die ähnlich hohen Belastungen der Beschäftigten in den Justizvollzugsanstalten auszuspielen", bekräftigte er.

Vielmehr verspricht er sich von einer lösungsorientierten Bearbeitung der aufgeworfenen Sachfragen. Doch wie könnte eine Lösung aussehen? Hauptproblem sei seiner Meinung nach mittlerweile der Paragraf 64 des Strafgesetzbuchs, der als bundesgesetzliche Norm ungeeignet sei. "Es fehlt ein klares juristisches Trennungskriterium zwischen zu inhaftierenden und zu behandelnden Straftätern", erklärt Wilzek. Es bestehe ein falscher Anreiz für Straftäter mit langen Haftstrafen, sich über diesen Paragrafen im Maßregelvollzug statt im Strafvollzug unterbringen zu lassen – denn in der Psychiatrie seien die juristischen Möglichkeiten besser, vorzeitig entlassen zu werden.

In der Folge führe dies zu einem Anstieg der Fehlbelegungen in den Psychiatrischen Kliniken mit nicht therapiefähigen und therapieunwilligen Patienten, die schwere Straftaten verübt haben. Und damit zu "unzumutbaren Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten".

Richtiger Weg

Wilzek hält es für den richtigen Weg, wenn die Justizvollzugsanstalten dieses Risiko-Klientel übernehmen würden. Diese seien "sicherheitstechnisch bereits vollumfänglich ausgestattet". An den Forensischen Kliniken eigene Bereiche für die kritisch einzustufenden Patienten einzurichten, wäre alles andere als wirtschaftlich, begründet er. "In anderen Bundesländern wird dies übrigens bereits so praktiziert", schließt er.

"Straftäter, die nicht therapiewillig sind, gehören ins Gefängnis", heißt es in einer Stellungnahme der Zentren für Psychiatrie. "Psychisch Kranke zu versorgen, auch wenn sie straffällig geworden sind, ist unsere Kernaufgabe. Die übernehmen wir gerne", sagt Udo Frank, Chefarzt und Leiter des Zentralbereichs Maßregelvollzug am ZfP Südwürttemberg. Auch er spricht von einer massiven Überbelegung der Kliniken im Land. "Gleichzeitig nähmen die aggressiven Übergriffe auf Patienten und Beschäftigte deutlich zu. "In hohem Maß bekommen wir Zuweisungen von Straftätern, bei denen der Konsum von Suchtmitteln zu ihrem Lebensstil gehört, die aber nicht abhängig oder psychisch krank sind", so Frank. Mehr als die Hälfte müsse in der Folge wegen Aussichtslosigkeit einer Therapie in den Strafvollzug zurückverlegt werden. "Nicht wenige dieser Personen stellen eine erhebliche Gefahr für Mitpatienten und Beschäftigte dar", führt der Psychiater aus.

Diese Personen nutzten dann sämtliche Rechtsmittel, um ihren Gefängnisaufenthalt zu vermeiden. Wie auch Wilzek, verweist Frank dabei auf andere Bundesländer, in denen die Patienten sofort nach der Beendigung ihrer Behandlung in den Justizvollzug zurückverlegt werden. "Das wünschen sich die Kliniken in Baden-Württemberg vom Justizministerium ebenfalls."

Die Zentren für Psychiatrie halten es jedoch für notwendig, dass nur Patienten zugewiesen werden, "bei denen zumindest eine eingeschränkte Schuldfähigkeit vorliegt", sagt Frank. Der Chefarzt fordert zudem: "Justiz- und Sozialminister sollten sich zusammentun und auf Bundesebene auf die notwendige Reform oder Abschaffung des entsprechenden Paragrafen 64 StGB dringen."