Angespannte Gesichter – ein Bild, das sich quer durch wohl alle Wahlpartys (hier die der SPD in Nagold) zog.  Foto: Buckenmaier

Knapper als sonst war es schon, am Ausgang ändert es nichts: Die CDU holt mit Kandidat Klaus Mack traditionsgemäß das Direktmandat für den Bundestag im Wahlkreis Calw/Freudenstadt. Auch Saskia Esken (SPD) ist ein Platz im Parlament sicher.

Kreis Calw/Kreis Freudenstadt - Das gab es fast noch nie: In den vergangenen 72 Jahren traten nur zwei Mal mehr als zwei Kandidaten an, um den Kanzler-Posten für sich zu beanspruchen. Im Jahr 2002 waren es Guido Westerwelle (FDP), Edmund Stoiber (CSU) und Gerhard Schröder (SPD); 2021 Annalena Baerbock (Grüne), Olaf Scholz (SPD) und Armin Laschet (CDU). So erlebten die Vertreter dieser Parteien den Abend im Wahlkreis Calw/Freudenstadt.

CDU

Nein, laute Freude gab es keinen im Gasthaus Linde in Altensteig-Spielberg – wo der CDU-Kandidat für den Wahlkreis Calw/Freudenstadt, Klaus Mack, eigentlich eine unbeschwerte Wahlparty feiern wollte. Punkt 18 Uhr – die Ernüchterung: Die CDU muss auf Bundesebene herbe Verluste verkraften, der große Gegner unter den Volksparteien, die SPD, liegt in den Prognosen knapp vor den Christdemokraten. Mack’s siebenjähriges Töchterchen Luisa versucht zu trösten: "Ich hätt’ Papi und Armin Laschet gewählt!" Bei den Erwachsenen herrscht noch Zweckoptimismus vor. "Ich bin da zuversichtlich", so Mack, den Wahlkreis noch für sich sichern zu können. Dann kommen erste Ergebnisse aus den Kommunen im Kreis – und da liegt Mack tatsächlich vorne. Ein befreites, erleichtertes Lachen schallt durch den Saal. Als erster gratuliert Hans-Joachim Fuchtel, von dem Mack den Wahlkreis übernimmt.

SPD

So frenetisch in Jubel ausbrechen wie die Genossen im Berliner Willy-Brandt-Haus wollten die SPD-Mitglieder im Kreis Calw bei ihrer Wahlparty nicht, als die ersten Hochrechnungen über den Bildschirm flimmerten. Zu hoch waren die eigenen Erwartungen, gespeist aus vielen positiven Gesprächen mit Bürgern. SPD-Kreischefin Daniela Steinrode hatte eine "Aufbruchstimmung" registriert, einen "Willen der Menschen zur Veränderung." Mit Parteichefin Saskia Esken war sie sogar in Nagold, um Wählerstimmen werbend, von Tür zu Tür gegangen. Viele hätten verdutzt die Tür geöffnet und mit Blick auf Esken gestaunt: "Sind Sie’s wirklich?" Am Ende schaute auch Co-Kreischef Andreas Reichstein zufrieden drein: "Es ist schon lange her, dass wir am Wahlabend so viel Grund zum Feiern hatten."

Grüne

Wie schon bei der Landtagswahl im März feiern die Grünen ihre Wahlparty nur online. Die große Sause lässt das Format nicht zu – aber die Ergebnisse geben dafür ohnehin kaum Anlass. Balkendiagramme flimmern über die Bildschirme, man zappt von Live-Stream zu Live-Stream. Konsequent weggeschaltet wird, wenn ein Vertreter der AfD zu Wort kommt. Man muss es so sagen: Ein wenig trocken ist die Online-Wahlparty, die sich durch die Auszählung der vielen Briefwahlzettel wie Kaugummi in die Länge zieht. Manch einer verlässt da auch mal seinen Stuhl vor dem Bildschirm für eine Viertelstunde und geht etwas essen. Der Rest tauscht Wahlkampf-Erfahrungen aus, gibt Empfehlungen für Elektrofahrzeuge. Und oft wird einfach nur geschwiegen. Jubel, Entsetzen, Emotionen – dafür ist dieses Format nicht gemacht.

Klaus Mack, CDU

"Ich freue mich riesig, unter diesen widrigen Umständen das Direktmandat so deutlich errungen zu haben!" Denn eigentlich, so der Wahlsieger schon deutlich ernster, sei "das ein sehr schwieriger Wahlkampf für uns" gewesen. Sein persönliches Ergebnis spiegle aber wider, dass "ich etwas für unsere Region in Berlin bewegen will". Am Montag bereits werde er nach Berlin reisen – um "die neue Aufgabe, auf die ich mich ungeheuer freue", pünktlich anzutreten. Daheim in Bad Wildbad werde mit der Bekanntgabe des amtlichen Endergebnisses seine Amtszeit als Bürgermeister unmittelbar enden. Die Neuwahl des Bad Wildbader Bürgermeisters muss innerhalb von drei Monaten stattfinden.

Saskia Esken, SPD

Als sich Saskia Esken aus Berlin meldet, liegen noch kaum Ergebnisse aus dem Wahlkreis Calw vor. Doch dass die CDU wieder einmal mit Abstand das Direktmandat erringen wird, zeichnet sich längst ab. Dennoch ist die Abgeordnete aus Calw, die zugleich Co-Parteivorsitzende der SPD ist und als Spitzenkandidatin ihrer Partei über die Landesliste ohnehin ins Parlament einziehen wird, zufrieden: "Ich bin der Überzeugung, dass wir, wenn wir die bisherigen Ergebnisse aus Baden-Württemberg anschauen, auch im Wahlkreis noch ein gutes Ergebnis sehen werden." Die SPD sei "Wahlsiegerin, ganz klar", sagt Esken. Und genauso deutlich ist, dass sie Co-Parteivorsitzende bleiben will.

Sara Haug, Grüne

"Insgesamt hatten wir uns mehr erhofft. In den Umfragen waren wir lange besser", sagt Sara Haug am Wahlabend. Die Rottenburgerin sieht das Wahlergebnis aber auch mit einem lachenden Auge: "Auf der einen Seite ist das eine Enttäuschung, auf der anderen aber auch das beste Ergebnis, das wir Grünen je bei einer Bundestagswahl hatten. Keine Regierungsbildung kommt jetzt an uns vorbei." Das führe vor allem zu einer besseren Klimapolitik. Dass Haug im Wahlkreis mehr Erststimmen geholt hat als ihre Partei Zweitstimmen, motiviert die Studentin: "Das zeigt, dass wir hier einen richtig guten Wahlkampf gemacht haben. Ich habe gezeigt, dass mir am Herzen liegt, was ich mache."

Michael König, FDP

Gegen 18.50 Uhr gibt sich FDP-Direktkandidat Michael König enttäuscht. Er sagt: "Es reicht nicht für mich. Die CDU ist zu stark!" König hatte gehofft, über die Landesliste in den Bundestag einzuziehen, hatte bereits den Flieger nach Berlin Montagfrüh gebucht. Stefan Lazar, Vorsitzender der FDP Freudenstadt, gibt aktuelle Prozente in den Mandatsrechner ein, sagt: "Das wird verdammt knapp für Michael!" Dann ruft Lazar Ergebnisse aus dem Kreis Calw auf. Hier liegt König bei den Erststimmen gerade bei 13,13 Prozent. König: "Klasse, in Horb liege ich sogar vor Saskia Esken! Da zieht wohl der Heimbonus." Das kann man auch daran erkennen, dass er mehr Erststimmen als die FDP Zweitstimmen hat.

Thomas Hanser, Linke

"Betrübt" sei er, sagt Thomas Hanser angesichts der Wahlergebnisse für die Linken. Den Abend hat er bei der Wahlparty der Partei in Karlsruhe verbracht. Wobei von Party nicht die Rede sein dürfte: "Wir sind natürlich niedergeschlagen." Auch das Ergebnis der Linken im Wahlkreis Calw wertet der 30-Jährige als "natürlich bitter". Es spiegele ja das im Bund, mit einem Verlust von etwa 50 Prozent der Stimmen im Vergleich zu 2017, wider. Thomas Hanser mutmaßt, das könnte daran liegen, dass es bei der Wahl vor allem um die Kanzlerkandidaten ging. Das Ergebnis zeige ihm umso deutlicher, dass man für einen Politikwechsel kämpfen müsse. "Ich werd’ weiter politisch aktiv sein."

Marcus Lotzin, AfD

"Ich bin sehr zufrieden, es war ein sehr harter Wahlkampf" – der ihm aber Spaß gemacht hat, meint Marcus Lotzin. Trotz Verlusten wertet er das Ergebnis im Wahlkreis als stabil. Und er geht schon am Wahlabend über zum Angriff. Vor allem die hohe Zustimmung der Wähler gegenüber der SPD im Bund kann er nicht nachvollziehen. "Der, der die SPD gewählt hat, hat ihr Wahlprogramm nicht genau angeschaut", befindet der Altensteiger. Er erwartet, dass für viele Vieles teurer wird mit den Sozialdemokraten an der Regierung. "Gerade die Energiewende wird uns sehr viel Geld kosten." Auch deshalb kommt Marcus Lotzin zu dem Schluss: "Ich mach’ weiter wie bisher und versuche, die Bürger aufzuklären."

Kommentar: Nicht einfach

Von Ralf Klormann

Das Wichtigste ist schnell erzählt: Der Wahlkreis Calw/Freudenstadt bleibt schwarz – aber weit weniger deutlich, als den Christdemokraten lieb sein dürfte. Dass Klaus Mack mit Abstand das Direktmandat verteidigt, ist sicher ein Trostpflaster. Und in gewisser Weise ein Segen für die Bürger: Hätte Saskia Esken die Union vom Thron gestoßen – der Wahlkreis müsste sich mit einer statt zwei Abgeordneten begnügen. Einer Abgeordneten, die als SPD-Vorsitzende (und vielleicht bald Ministerin) zudem bundesweit denken muss – und dennoch auch an ihrem Einsatz für den Wahlkreis gemessen wird. Die Last auf Mack wiegt aber ebenfalls schwer; nicht zuletzt, weil er in die großen Fußstapfen seines Vorgängers Hans-Joachim Fuchtel tritt. Leicht wird es wohl für beide nicht. Passend ist es schon. Einfach dürfte schließlich auch die Regierungsbildung kaum werden.