Betroffener Schäfer hofft auf Hilfe vom Nationalpark. "Große Emotionen" im Saal.
Calw/Bad Wildbad - Eigentlich sollte es nur ein Vortrag über das Wolfs-Monitoring in Baden-Württemberg werden. Aber die Volkshochschule (VHS) Calw ahnte wohl, dass die im Oberreichenbacher Rathaus anberaumte Veranstaltung "Bühne" für tagesaktuelle Geschehnisse werden würde.
Daher verlegte sie kurzfristig das ganze Event in die eigenen Räume nach Calw. Hier gab es erstens mehr als doppelt so viele Plätze wie in der Außenstelle, außerdem rechnete VHS-Chef Sebastian Plüer nach der aktuellen Wolfs-Attacke von Bad Wildbad, bei der Ende April über 40 Schafe getötet worden waren, mit "großen Emotionen" im Saal – die sich hier in der VHS-Zentrale mutmaßlich besser "beherrschen" ließen. Und Plüer sollte Recht behalten.
Wolf ist ortsfest
Unter anderem war Gernot Fröschle mit seiner ganzen Familie gekommen, um den Forschern der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt (FVA) Baden-Württemberg weit mehr als nur zuzuhören. Fröschle ist eben jener Schäfer, der bei der Wolfs-Attacke in Bad Wildbad über 40 seiner Tiere verloren hat.
Felix Böcker, Wildtierökologe beim FVA, sollte den Vortrag in Calw eigentlich alleine halten. Aber er hatte sich vorsorglich Unterstützung durch seine Kollegen Johannes Erretkamps und Laura Huber-Eustachi mitgebracht. Alle drei kamen direkt vom ersten Treffen der "Wolfs-Aktionsgruppe" aus Stuttgart nach Calw, wo im Auftrag der Landesregierung Vertreter des Umwelt- und des Landeswirtschaftsministeriums, des FVA sowie der betroffenen Verbände das weitere Umgehen mit dem Wolf im Land diskutiert hatten.
Umfassend versuchen Böcker und Kollegen dem nordschwarzwälder Publikum die Natur des Wolfes näherzubringen. Seine Biologie, sein Verhalten. Sie reden bewusst wertneutral – werten nichts pro oder kontra Wolf, sondern geben nur einen präzisen Situationsbericht zum aktuellem Forschungsstand über Wölfe ab – und seinem bisherigen Aufkommen im Ländle. Sie gehen allerdings weiter in ihren Aussagen als andere offizielle Stellen – aus ihrer großen Erfahrung heraus: denn der Bad Wildbader Wolf ist offensichtlich ein ortsfester Wolf, der erste in Baden-Württemberg. Und deshalb muss jetzt der Umgang mit dem Raubtier hierzulande komplett umgestellt werden.
Angestaute Wut sucht Ventil
Der Hinweis ans Publikum, dass das aber nicht Aufgabe des FVA sein könne, verhallt jedoch ungehört im VHS-Saal. Die angestaute Wut der anwesenden Landwirte, Förster und Schafzüchter sucht einfach nach einem Ventil. Allen voran Gernot Fröschle: Lautstark schlägt sich sein Zorn Bahn. Man hört heraus, dass ihm wohl gerade als Ergebnis der Sitzung der "Wolfs-Aktionsgruppe" telefonisch mitgeteilt worden war: dass er derzeit nur Entschädigungszahlungen für seine toten Tiere erhält, nicht aber für die aus seiner Sicht jetzt dringend notwendigen Schutzmaßnahmen für seine Tiere.
Auch VHS-Chef Plüer kann Fröschle erst einmal nicht beruhigen. "Dann holen Sie doch die Polizei, lassen Sie mich abführen", will Fröschle die Situation offensichtlich eskalieren lassen. Die Unterstützung des Saals hat er – überwiegend Freunde, Kollegen, Nachbarn.
Schließlich beruhigt Fröschle sich aber dann doch, folgt Plüers bestimmter, unmissverständlicher Aufforderung, die FVA-Forscher ihren Vortrag in sachlicher Atmosphäre zu Ende bringen zu lassen. Dann gebe es Raum für Diskussionen. Aber die Situation bleibt dennoch angespannt im Saal, die Kritik an verfehlter Politik in Sachen Wolf richtet sich in der Diskussion immer wieder gegen das Trio der FVA. So bleiben ihre Hinweise ungehört, dass zum Beispiel ein ortsfestes Rudel, das die "Spielregeln" in der Nähe von Menschen "gelernt" hat (wie Beispiele aus anderen Bundesländern zeigten), der beste Schutz vor herumziehenden jungen Wölfen seien, auf deren Konto regelmäßig solche "Massaker" wie in Bad Wildbad gingen. Auch der Bad Wildbader Wolf ist mutmaßlich ein (bekannter) einjähriger, unerfahrener Rüde.
Noch keine Attacke auf Menschen bestätigt
Doch im Moment ist halt noch die Zeit der Wut und des Volkes Zorn. Das ist auch am nächsten Tag noch so – in Bad Wildbad eben auf dem Hof von Gernot Fröschle. CDU-Landtagsabgeordneter Thomas Blenke, Bad Wildbads Bürgermeister Klaus Mack und dessen Amtskollegin aus Enzklösterle, Petra Nych, haben ihr Kommen angesagt. Wieder sind Nachbarn, Kollegen und Freunde der Fröschles mit vor Ort – überhaupt gibt es eine gigantische Welle der Sympathie für die betroffene Familie. Und wieder nehmen die heftigen Emotionen und auch Hysterie einen breiten Raum der Statements ein. Nur einzelne Stimmen im Rund erinnern daran, dass zum Beispiel für spielende Kinder im Wald (Stichwort: Waldkindergarten) Wildsäue ein viel größeres Problem seien als der Wolf – von dem noch nie (!) eine Attacke auf Menschen in Europa wirklich bestätigt wurde.
Auch Blenke lässt sich von der allgemeinen Anti-Wolf-Stimmung anstecken, sieht den Wildbader Wolf als "Problem-Wolf", der entnommen, sprich abgeschossen gehöre. Aber: Heute widerspricht ausgerechnet Gernot Fröschle seinem honorigen Besuch: "Das war kein Problem-Wolf", belehrt ausgerechnet er eine für den Moment perplexe Runde. Eigentlich sei er an dem Wolfsangriff selber schuld – weil er seine Herde mit einem Zaun nur nach drei Seiten abgesichert hatte, nicht aber zum Bachlauf der Enz hin. "Ein Wolf wird erst zum Problem-Wolf, wenn er zweimal über solch einen abgesicherten Zaun springt und Tiere reißt." Fröschle hat ganz offensichtlich doch noch sehr gut zugehört beim Vortrag in der VHS Calw, nachdem sein heiliger Zorn erst einmal verraucht war.
Schäfer hofft auf Hilfe vom Nationalpark
Und da Fröschle derzeit nachts eh nicht schlafen kann ("Ich steh um Halbzwei auf – nach den Tieren sehen"), hat er die letzte durchwachte Nacht auch für die Entwicklung einer echten und auch wirklich konstruktiven Idee genutzt. Sein Vorschlag und seine Bitte an die Landesregierung: Der Nationalpark "nebenan" habe insgesamt 180 Beschäftigte; ob nicht vielleicht zehn (oder gerne auch mehr) davon hier im Oberen Enztal kurzfristig helfen könnten, die Weiden und die hier überwiegend offenen Ställe Wolf-sicher zu machen. Denn Arbeitskraft, die notwendigen Sicherungsmaßnahmen jetzt unmittelbar zu stemmen, sei das, was aktuell wirklich fehle. Denn seine Familie habe unmissverständliche Spuren gefunden, dass der Wolf natürlich noch in der Nähe sei "und um die Ställe schleiche". Wenn nicht sofort reagiert werde, sei der nächste Zwischenfall mit dem Wolf vorprogrammiert.
Hut ab vor Gernot Fröschle, dem Landwirt, der vergangene Woche wegen eines Wolfes über 40 seiner Schafe verloren hat. Nach der verständlichen Wut ist er am Wochenende zu einem konstruktiven Dialog mit der Landesregierung übergegangen. Und macht gute Vorschläge, wie man die Gefahr für ihn und andere Landwirte im neuen, mutmaßlichen Wolfsrevier schnell in den Griff bekommen könnte. Diesen Dialog braucht es, denn die Anwesenheit des Wolfes bringt die ökologische Landwirtschaft in Gefahr. Weil es ein Dilemma ist: Je naturnaher Landwirtschaft operiert, desto näher kommt ihr irgendwann die Natur – wie jetzt in Form des Wolfes. Offene Weidehaltung und offene Ställe sind für Raubtiere eine Einladung. Massentierhaltung im Stall hat diese Probleme nicht. Einen 100-prozentigen Schutz gebe es nie, sagen die Experten. Deswegen gilt es, den bestmöglichen zu schaffen.