Im Tübinger Landgerichts wird der Prozess gegen einen Wachmann aus Bad Wildbad, verhandelt, dem die Staatsanwältin vielfache sexuelle Übergriffe auf seine Tochter vorwirft. Foto: Bernklau

Weitere Anklagen und überraschende Wendungen im Missbrauchsprozess gegen 44-jährigen Wachmann.

Tübingen/Bad Wildbad - Im Prozess gegen einen 44-jährigen Wachmann aus Bad Wildbad, dem die Staatsanwältin vielfache sexuelle Übergriffe auf seine heute elfjährige Tochter vorwirft, ist die Anklage erweitert worden. Nun wird vor dem Landgericht Tübingen zudem verhandelt, ob er vor Jahren mit seinen beiden minderjährigen Töchtern aus erster Ehe geschlafen hat.

Am Donnerstag wurde die Familienhelferin befragt, die den Fall im vergangenen Frühjahr ins Rollen gebracht hatte. Zudem geriet ein Zeuge aus der zeitweiligen Nachbarschaft seinerseits unter Verdacht, sich an dem Kind vergangen zu haben.

Das 2004 von der damals 16-jährigen Mutter geborene Mädchen war zunächst bei seiner Oma aufgewachsen. Mit der Heirat des Paares und einer Wohnung in Dobel war es aber 2007 unter Mitwirkung des Jugendamts zu seinen Eltern gekommen. Die Familie bekam Zuwachs von drei weiteren Kindern, zog nach Bad Herrenalb und schließlich 2015 nach Bad Wildbad. Die Sozialarbeiterin kümmerte sich erneut besonders um das älteste Mädchen, weil es nach Jahren wieder Kontakt zu seiner Oma suchte – und umgekehrt.

Kinderpsychiaterin befragte und untersuchte das Kind

Bei der Heimfahrt von einem Ausflug nach Pforzheim machte das Mädchen der Familienhelferin gegenüber Andeutungen über sexuelle Übergriffe des Vaters, nachdem die Mutter über Handy nachgefragt hatte, ob das Kind sich ihr deswegen anvertraut hätte. Die Sozialarbeiterin verständigte eine Kollegin und die Vorgesetzten, die Kripo nahm die Ermittlungen auf.

Eine Tübinger Kinder- und Jugendpsychiaterin, jetzt Gutachterin im Prozess, befragte und untersuchte das Kind eingehend. Ihre Beurteilung und die polizeilichen Ermittlungen führten zunächst zu einem vorsorglichen Verweis für den verdächtigten Vater, später zur Anklage.

Ein befreundetes früheres Nachbarpaar hatte den 44-jährigen dann bei sich aufgenommen, bevor er dort eines Morgens mit der Androhung verschwunden war, sich das Leben zu nehmen. Vor der Familienwohnung in Bad Wildbad bestieg er im August letzten Jahres einen Baum und schoss mit einer Schreckschusswaffe um sich. Die Polizei nahm ihn fest. Seither sitzt er in Untersuchungshaft.

Staatsanwältin Rotraud Hölscher arbeitete nach dem vorläufigen Ende der Ermittlungen und den Ergebnissen der Befragung des Kindes eine Anklageschrift aus, die dem Vater mehr als 70 Fälle von Übergriffen vorwarf. Dazu illegalen Schusswaffenbesitz sowie das Versenden pornografischer Bilder an eine benachbarte Jugendliche.

Der Angeklagte bestritt die Hauptvorwürfe vehement und lehnte auch das Angebot des vorsitzenden Richters Martin Streicher strikt ab, dem Mädchen durch ein Geständnis die Zeugenaussage vor Gericht zu ersparen. Er sieht sich einem Komplott – "von wem auch immer" – ausgesetzt (wir berichteten). Das Kind sagte vorige Woche unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus.

Die Familienhelferin beschrieb in ihrer Befragung die inzwischen elfjährige Förderschülerin als "freundliches und offenes Kind", das nicht zum Flunkern oder Fantasieren geneigt habe. Die Schilderungen des Mädchens im Auto hielt sie deshalb auch für glaubhaft. Allerdings habe sie zuvor während der etwa ein halbes Jahr dauernden zweiten Betreuung des Kindes keine Anzeichen für einen Missbrauch gesehen und auch am Verhalten des Angeklagten gegenüber Frau und Kindern nichts Verdächtiges bemerkt.

"Überhaupt nicht zugetraut", was dem Wachmann da vorgeworfen wird, hatten ihm auch jenes Nachbar-Ehepaar, das den 44-Jährigen nach dem Platzverweis vorübergehend aufgenommen hatten. Er sei "nett, freundlich und hilfsbereit" und ein fürsorglicher Vater gewesen. Beide hatten sich über Jahre hinweg auch immer wieder um die Kinder des Angeklagten – auch die beiden Töchter aus erster Ehe – gekümmert.

Die Zeugenvernehmung der 59-jährigen Frau nahm eine Wendung, als der Richter sie auf ein dann eingestelltes Ermittlungsverfahren gegen ihren Mann wegen sexuellen Missbrauchs nach einer Anzeige der gemeinsamen Tochter ansprach. Den danach aussagenden Ehemann belehrte der Vorsitzende, er müsse nichts sagen, wenn er sich selbst damit belasten würde. Denn er gehöre "durchaus auch zu den möglichen Verdächtigen". Ein sexuelles Betatschen des Kindes stand da im Raum, das vom Nachbars-Ehepaar gleichlautend als "freundschaftlicher Klaps" bezeichnet wurde.

Vorwurf der Anklage wird von Freundin des Mädchens bestätigt

Während der Aussage ihres Mannes rief die Zeugin zweimal vom Zuschauerraum aus in den Saal, das Verfahren gegen ihren Mann sei "niedergeschlagen", bis der Vorsitzende drohte, sie des Saales zu verweisen.

Auch die zwei Jahre ältere frühere Freundin des Mädchens sowie deren Mutter wurden danach noch vernommen. Die heute 13-Jährige bestätigte, dass ihr die jüngere Freundin "vor zwei oder drei Jahren" auf dem Weg zum Bus einmal ein Geschehen anvertraut habe, das sich mit dem Hauptvorwurf der Anklage gegen den Vater deckt. Der sei ansonsten hin und wieder streng und gereizt gewesen und habe seine Tochter auch mal mit Schlägen bestraft. Vor allem deshalb, aber auch wegen des Wegzugs habe sie immer seltener bei der Freundin übernachtet.