Hermann Essig, der zweifache Kleistpreisträger und gebürtige Truchtelfinger – das Bild entstand 1914, vier Jahre vor seinem Tod. Foto: Schwarzwälder Bote

Kräuterkasten: Rolf-Bernhard Essig erzählt über seinen Großvater, den Schriftsteller Hermann Essig

Vor 100 Jahren starb der Dramatiker und Erzähler Hermann Essig, ein gebürtiger Truchtelfinger. Ein guter Grund für den Autor und Entertainer Rolf-Bernhard Essig, im Kräuterkasten aus dem Leben seines Großvaters zu erzählen und dessen Werk vorzustellen.

Albstadt-Ebingen. Man hätte meinen können, auf einer Familienfeier zu sein: Eingeladen hatten die Eheleute Ermel, Eigentümer des einstigen Truchtelfinger Pfarrhauses, in dem Hermann Essig 1878 geboren wurde. Rolf-Bernhard Essig erzählte frei und ungezwungen; er lieferte Fakten, kommentierte sie, versetzte sich in seinen Großvater hinein, veranschaulichte seine Aussagen mit passenden Leseproben. Schon als knapp Vierjähriger musste Hermann Essig Truchtelfingen verlassen. Wie schwer ihm das gefallen sein muss, zeigten 30 Jahre später seine Erinnerungen an eine verlorene Heimat, in denen "die Enten langsam aus der Welt gegessen werden", ein kleiner Fluss zum mythischen Wasser wurde und ein Eisenbahnwagon wie ein Ungeheuer anmutete.

Ingenieur sollte er eigentlich werden, doch es kam anders. Wegen einer Lungenkrankheit verschlug es ihn nach Davos; augenzwinkernd stellte sein Enkel die Verbindung zu Thomas Manns "Zauberberg" her. Tatsächlich begann Hermann Essig zu schreiben, "Napoleons Aufstieg" war sein Sujet, doch wie Rolf-Bernhard Lessing nachsichtig konstatierte, "kam er nicht sehr weit."

Weit kam er in anderer Hinsicht – der Mann von der Alb ging nach Berlin, wurde dort bekannt, kam er in Kontakt mit prominenten Literaten und bildenden Künstlern. Ablehnung und Anerkennung hielten sich die Waage, die Kritiker zerrissen ihn mal und lobten ihn dann wieder in höchsten Tönen, etwa für sein Stück "Die Glückskuh". "Pharaos Traum" wurde verboten, weil ein Pfarrer doch keinen Kuhhandel treiben durfte; "Die Soldaten" konnten nicht aufgeführt werden, weil just 1914 der Erste Weltkrieg begann. Immerhin: Gleich zweimal erhielt Essig den Kleistpreis, der in der Weimarer zur höchsten literarischen Auszeichnung Deutschlands aufsteigen sollte.

Trotzdem blieb Essig ein Außenseiter; zu den Kollegen hielt er kritische Distanz – das zeigt sich besonders in dem Roman "Der Taifun", in dem er satirisch die Künstlergruppe "Der Sturm" unter die Lupe und aufs Korn nahm. Rolf-Bernhard Essig las daraus einen langen Abschnitt – Ähnlichkeiten mit dem heutigen Kunstbetrieb sind nicht ganz zufällig. 1918 starb Hermann Essig; er erlebte nicht mehr, dass sein Werk angemessen gewürdigt wurde.

Zu diesem zählen neben Dramen und Romanen auch Balladen: "Franz Sauerbein" ist ein Gegenentwurf zu Schillers "Bürgschaft". Rolf-Bernhard Essig rezitierte in fast beschwörendem Ton; den Zuhörer wandelte Nostalgie an. Nach einer Pause gab Rolf-Bernhard Essig noch eine Kostprobe seines eigenen Könnens und erwies sich als profunder Kenner von Sprichwörtern und Redensarten, der gut ist für so manches Aha-Erlebnis. Wahrscheinlich hat er das vom Großvater – wobei Familie Essig noch andere künstlerische Gene besitzt: Hermann Essigs jüngerer Bruder Gustav war ein Maler von Rang; seine Werke wurden unter anderem im Münchner Glaspalast ausgestellt.