Kluger und Knitzer Kritiker: Denis Scheck stellte in der Festhalle Ebingen Lieblingsbücher vor. Fotos: Eyrich Foto: Schwarzwälder Bote

Literaturtage: Denis Scheck macht mit seiner Vorschlagsliste Lust auf eine Entdeckungsreise durch unbekannte Buchwelten

Der nicht lesende Mensch ist für ihn wie einer, der sich die Zähne nicht putzt, sagt Denis Scheck. Für alle anderen hat er in der Festhalle Lesestoff für lange Winterabende vorgestellt – seine deutliche Meinung dazu inklusive.

Albstadt-Ebingen. "Ich warne immer vor Büchern, auf deren Cover ein Foto des Autors zu sehen ist", sagt Denis Scheck und lacht – verschmitzt, denn er hat die Lösung: Für sein Buch "Schecks Kanon: "Die 100 wichtigsten Werke der Weltliteratur" hat sein Lieblings-Karikaturist Torben Kuhlmann ihn gezeichnet.

Ein bisschen nervt es den bekanntesten Literaturkritiker der Republik, der alle vier Wochen "Druckfrisch" in die deutschen Wohnzimmer kommt, dass auch auf seinem Buch der Aufkleber "Spiegel Bestsellerliste" prangt. Denn davon dürfte man sich auf der Suche nach guten Büchern keinesfalls leiten lassen, lautet sein Tipp in der voll besetzten Festhalle, wo er unter dem Titel "Vom Schönen, Guten, Wahren – und vom Albernen, Überflüssigen und Banalen" diesmal nur Werke vorstellt, die er selbst empfehlen kann. Die Osiandersche Buchhandlung hat den Tisch nach seinen Wünschen reich bestückt.

"Handke geht mir auf den Keks – im Grunde seit ich lesen kann"

Natürlich ist Olga Tokarczuks "Die Jakobsbücher" dabei, und Scheck freut sich diebisch, dass ein kleiner, mutiger Verlag die Rechte an allen ihren Werken gekauft hat – bevor ihr der Literatur-Nobelpreis 2018 zugesprochen wurde. Auch Peter Handke, Preisträger 2019, darf mit "Die Lehre der Sainte-Victoire" nicht fehlen, obwohl ihm "dieser Typ auf den Keks" geht – "im Grunde seit ich lesen kann". Dass der Österreicher sich mit seiner Verteidigung Serbiens in den 1990er-Jahren politisch "vergaloppiert" habe, dürfe aber nun mal keine Rolle spielen für die Bewertung seines Werks. Caravaggio, sein Lieblingsmaler, sei gar ein Mörder gewesen.

Alexander von Humboldt feiert Scheck als "einen der neugierigsten Menschen, den die Menschheit hervorgebracht hat" und Andrea Wulf hat ihm das Wissenschaftsbuch des Jahres, das Grafic Novel "Die Abenteuer des Alexander von Humboldt" gewidmet, von dem Scheck ebenso schwärmt wie von "Grand Tour", einer "Leistungsschau der jungen europäischen Lyrik" und eines jener Werke, die für ihn den Sinn von Literatur ausmachen: "die Ausweitung meiner Wahrnehmungszone".

Wer mehr über die Menschheitsgeschichte, "erzählt als Geschichte der Perfektion des Knopfes", erfahren will, der sollte sich mit Hans Magnus Enzensberger auf "Eine Experten-Revue in 89 Nummern" zu Fachleuten auf allerhand Gebieten aufmachen. Wer lieber schön gemachte Bücher mag, dem empfiehlt Scheck Judith Schalanskys "Verzeichnis einiger Verluste" – in Leder gebunden und daher "nichts für Veganer" – sowie Christian Seilers "Alles Gute – die Welt als Speisekarte"

Für "Voyeure", wie er selbst einer sei, hat Scheck Daniela Kriens "Die Liebe im Ernstfall", und Michael Köhlmeiers "Die Märchen" – "definitiv für Erwachsene" – mitgebracht, "randvoll mit Sex und verdorben". "Wenn Sie neue Perspektiven für Albstadt entdecken möchten", dann sei "Der große Garten", Lola Randls Roman über eine Hipster-Kommune in der Uckermark, die passende Lektüre, für alle, die klüger werden wollten, Johan Harstadts "Max, Mischa und die Tet-Offensive" und für alle, die "das Träumen lernen" möchten "Erebus" von Michael Palin, dem Ex-Monty-Python, der auf die Seite der Wissenschaft gewechselt hat.

Vielleicht lebt der neue Franz Kafka auf der Schwäbischen Alb?

Wenn Scheck vom "lebenden Krimi-Gott Heinrich Steinfest" und seinem Buch "Der schlaflose Cheng" spricht, fangen seine Augen an zu leuchten, was auch bei seiner Lobhudelei auf "Brave Hunde kommen nicht zum Südpol" von Hans-Olav Tyvold anhält, seinem "absoluten Lieblingsroman aus der reichen norwegischen Literatur" – Gastgeberland der Frankfurter Buchmesse 2019.

Sein Lieblingsbuch aber ist und bleibt "Der Stechlin" von Theodor Fontane, der am 30. Dezember 200 Jahre alt geworden wäre. Darin findet sich Schecks "Essenz meiner journalistischen Tätigkeit", nämlich der Satz: "Es gibt überhaupt keine unanfechtbaren Wahrheiten, und wenn es sie gibt, dann sind sie langweilig."

Wie findet Scheck die Bücher, über die er schreibt, im Radio und Fernsehen spricht, unter den jährlich Zig-Tausenden Neuerscheinungen? "Es gibt da keine Gerechtigkeit", sagt Scheck, der als literarischer Übersetzer angefangen hat und oft gute Tipps aus diesem Netzwerk bekommt. "Wir Literaturkritiker wollen ja alle die Ersten sein, die einen Autor entdecken, und vielleicht lebt ja hier auf der Schwäbischen Alb der neue Franz Kafka. Aber die meisten Autoren sind zu Recht unbekannt."

Dass die Deutschen übrigens Weltmeister im literatischen Übersetzen seien, freut Denis Scheck, wie er zum Schluss anmerkt. "Schauen Sie mal in amerikanische Buchhandlungen. Da liegen nur amerikanische Kinderbücher, durch welche diese armen Tröpfe die Welt wahrnehmen. Das ist die sicherste Art, um zu verblöden."

Die weiteren Titel auf Denis Schecks Vorschlagsliste: "Herkunft" von Sacha Stanisic, "Der andere Kosmos" von Alexander von Humboldt, "Gegenlauschangriff" von Christoph Hein, "Am Ende ein Blick aufs Meer" von Philipp Lyonel Russel, "Der von Löwen träumte" von Hanns-Josef Ortheil, "Miroloi" von Karen Köhler, "Archipel" von Inger-Maria Mahlke, "Winterbienen" von Norbert Scheurer, "Propaganda" von Steffen Kopetzky, "Rohstoff" von Jörg Fauser, "Die einzige Geschichte" von Julian Barnes, "Die Reisen des Benjamin des Dritten" von Scholem Jankew Abramowitsch, "Unterland" und "Die verlorenen Wörter" von Robert Macfarlane, "Rot" von Anne Carson, "Archiv der verlorenen Kinder" von Valeria Luiselli, "1793" von Niklas Natt och Dag, "Der Leopard" von Giuseppe Tomasi die Lampedusa, "Atheismus für Anfänger" von Richard Dawkins, "Greenfeast" von Nigel Slater, Baedekers Handbuch für Schnellreisende, "Schnelles Lesen, langsames Lesen" von Maryanne Wolf, "Meine europäische Familie" von Karin Bojs, "Fontane" von Iwan-Michelangelo D’Aprile, "L’Adultera" und "Effi Briest" von Theodor Fontane, "Verrückt nach Karten", herausgegeben von Huw Lewis-Jones.