Kinderlähmung: Polio-Beauftragter von Rotary Deutschland freut sich über riesigen Schlag gegen das Virus

Was lehrt die Polio-Bekämpfung über Corona und wie weit ist die Welt noch von der Ausrotttung der Kinderlähmung entfernt? Hans Pfarr, der Polio-Beauftragte des Rotary-Clubs Deutschland, hat gute Nachrichten.

Albstadt. Da waren’s nur noch zwei: Als Hans Pfarr Ende der 1990er-Jahre zum Polio-Beauftragten des Rotary-Clubs Deutschland wurde, grassierte das Virus, das die Kinderlähmung verursacht, in 125 Ländern der Welt und hatte 350 000 Menschen infiziert. Seit wenigen Tagen gibt es offiziell nur noch zwei Länder, in denen die Kinderlähmung auftritt, und zwar in 150 bis 200 Fällen pro Jahr – Nigeria ist nämlich von der Weltgesundheitsorganisation WHO als Polio-frei zertifiziert worden, und damit ist der gesamt Kontinent Afrika frei von dem Virus, das die schmerzhafte, unheilbare und folgenreiche Krankheit auslöst.

Das Zertifikat stellt die WHO nur dann aus, wenn drei Jahre lang in Folge keine einzige Neuansteckung durch das wilde Poliovirus mehr registriert wird. Nun gelten nur noch Afghanistan und Pakistan als polioendemisch, doch seit das neuartige Coronavirus weltweit grassiert, ruhen die nationalen Impfkampagnen, wie Hans Pfarr berichtet. Massenimpfungen seien dort nicht möglich, und angesichts der zerklüfteten Topografie der beiden Länder und der vielen Nomaden, die dort – auch über die Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan hinweg – unterwegs seien, gestalte es sich schwieriger als in anderen Ländern, auch die letzten wilden Polioviren auf dem Globus noch auszurotten.

Das Ziel hatten sich Rotary International und Microsoft-Gründer Bill Gates einst gesetzt, und seither unterstützt der Milliardär mit der Bill-und-Melinda-Gates-Stiftung den Kampf gegen die folgenreiche Krankheit mit hohen Summen: Für jede Spende, die von Rotary oder anderen Spendern kommt, legt die Gates-Stiftung 200 Prozent drauf, verdreifacht sie also.

Was Hans Pfarr nach wie vor besorgt ist einzig die Tatsache, dass der Durchimpfungsgrad gegen Kinderlähmung in Deutschland gesunken sei. Denn das nächste Virus lauere nur eine Flugreise entfernt, und selbst Geimpfte, wenngleich selbst geschützt, könnten das Virus mitbringen, etwa Soldaten, die in Afghanistan stationiert sind.

"Inzwischen weiß ich, was es heißt, mit einem Virus zu kämpfen, gegen das es kein Medikament gibt", sagt Pfarr angesichts der Parallelen zwischen dem wilden Polio-Virus und dem neuartigen Coronavirus. "Beide sind heimtückische Viren und beide ein Problem", sagt Pfarr. Aus seiner jahrzehntelangen Beschäftigung mit Polio weiß der Albstädter Alt-Oberbürgermeister, dass es möglich ist, Infektionswege anhand von Virenstämmen zu erkennen, wie es vor einigen Jahren der Fall war, als ein Virenstamm aus Usbekistan in Moskau aufgetaucht und dann schnell erkannt und ausgemerzt war.

Für Hygiene gelte im Fall der beiden Viren dasselbe, und die Infrastruktur der WHO, die sie zur Berkämpfung des Polio-Virus aufgebaut habe, lasse sich auch im Einsatz gegen Covid 10 nutzen.

Wenn US-Präsident Trump nun die Zahlungen seines Landes an die WHO streiche, sei das "natürlich ein Problem", sagt Hans Pfarr. Zunächst einmal aber ist er "überglücklich", dass Nigeria als Polio-frei zertifiziert wurde, denn in den vergangenen Jahren hatte Pfarr "persönlich dafür gesorgt, dass unsere Spenden nach Nigeria gehen", sagt er mit Blick auf Rotary Deutschland. Nun kann er auf seiner Strichliste einen weiteren Strich eliminieren. Nur zwei stehen noch dort, doch Pfarr ist zuversichtlich: "Wenn nicht noch einmal so etwas kommt wie die Coronavirus-Pandemie, können wir das Polio-Virus ausrotten. Wir schaffen das."