Der Bürgerturmplatz soll zur Wohlfühloase werden – und die Leerstände in der Innenstadt verschwinden. Foto: Mayer

Vor einer Entwicklung sein: Wie das geht, kann die große Politik vom Stadtplanungsamt Albstadt lernen. Wobei auch ein bisschen Glück dabei war, als es um eine Millionenförderung ging.

Albstadt-Ebingen - Am Bundesprogramm "Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren" beteiligt sich die Stadt Albstadt, wie der Gemeinderat am Donnerstagabend entschieden hat. Mit 3,4 Millionen Euro an Fördergeld darf die Stadt rechnen, 1,1 Millionen Euro hoch ist ihr Eigenanteil, den die Stadträte ebenfalls bewilligt haben.

"Das Programm fördert keinen Palmenhain auf dem Bürgerturmplatz, sondern einen Prozess", betont Oberbürgermeister Klaus Konzelmann, und zwar einen, der Bürgerbeteiligung als wesentliche Voraussetzung betrachtet. Im Klartext: Das Geld fließt nur, wenn die Albstädter mitreden dürfen.

Alle Städte haben das Problem

Konkret geht es um eine Herausforderung, vor der alle Städte stehen: In Zeiten wachsenden Online-Handels, in denen die Bedeutung der Innenstadt als Einkaufszentrum schrumpft, neue Funktionen zu etablieren, damit sie Zentrum bleibt und Menschen sich dort begegnen.

"Wir wollen Innenstadt neu denken", sagt Gerhard Penck, Leiter des Stadtplanungsamtes, "und die Bürger sollen daran mitarbeiten, denn die Stadt gehört den Bürgern."

Die Regierung wechselt – das Programm bleibt

Dass das Förderprogramm vom Bundesministerium für Inneres, Bau und Heimat ausgeschrieben worden war und nach dem Regierungswechsel im Ministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen betreut wird, zeige, dass sich auch auf Bundesebene der Blick weite, macht Pencks Stellvertreter Axel Mayer deutlich. Er und Penck haben zusammen mit Wirtschaftsförderer Andreas Hödl schon länger an dem Thema gearbeitet, das auch im Stadtentwicklungskonzept Agenda Albstadt 2030 ein wesentliches war: die Attraktivität der Ebinger Innenstadt steigern, sie mit neuen Funktionen ausstatten.

Für eine Klausurtagung des Gemeinderats am 3. Juli 2021 hatte die Stadt sich Profis geholt, deren Erfahrung ihr schon bei der Neufassung des Stadtmarketingkonzeptes zugute gekommen war. Die Marketing-Agentur "Chateau Louis" aus Ludwigsburg sollte die Klausurtagung und den Prozess moderieren, darauf achten, dass alle Ideen dem übergeordneten Ziel dienen und nach ihrem Wert beurteilt werden – nicht danach, wer sie geäußert hat.

Ein Zufall – ja: ein echter Glücksfall

Die Geschäftsführer Detlev Bernhart und Ludwig Silbermann waren am Donnerstag im Gemeinderat und zuvor schon bei der Präsentation in der Technologiewerkstatt dabei. Auch sie staunten über den Zufall, ja den Glücksfall, dass zwei Wochen nach der Klausurtagung das Förderprogramm "Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren" ausgeschrieben worden war.

Die Projektbeschreibung, mit der die Stadt Albstadt sich um Fördermittel beworben hat, haben die Mitarbeiter des Stadtplanungsamts und der Wirtschaftsförderung auf fast 50 Seiten zusammengestellt und im September nach Berlin geschickt. Im November kam die Nachricht, dass Albstadt mit 3,4 Millionen Euro rechnen darf – unter zwei Voraussetzungen: Zum einen muss die Stadt einen Eigenanteil in Höhe von 1,1 Millionen Euro beisteuern, zum anderen muss sie noch einen Zuwendungsantrag an das Bundesministerium richten, die Projektbeschreibung quasi noch konkretisieren. Und darf dann noch vor der Sommerpause mit einem Zuwendungsbescheid rechnen.

In einer Liga mit größeren und bekannteren Städten

Während andere Städte – Albstadt spielt in diesem Förderprogramm in einer Liga mit Mannheim, Heidelberg und anderen, größeren – sich meist auf ein Thema konzentriert hätten, haben die Albstädter ein umfangreiches Paket an möglichen Maßnahmen zusammengestellt, das sie umsetzen möchten. Zumal es auch weit mehr als einer Maßnahme bedürfe, um die Innenstadt zum Erlebnis- und Wohlfühlraum, zum qualitativen Wohn- und Lebensraum zu machen, wie Penck und Mayer, Bernhart und Silbermann betonen.

Das Thema ist ein gigantisches

"Das Thema ist ein gigantisches in Deutschland", macht Detlev Bernhart klar. "Wenn unsere Städte nicht mehr funktionieren, bricht manches zusammen." Nicht nur Einzelhandel, nicht nur Bauen und Wohnen spielten eine Rolle, sondern Märkte, Kultur und vieles mehr.

Vor 50 Jahren vor allem Handelszentren

Seien die Innenstädte nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend zu Einzelhandelszentren geworden, gehe der Trend heute wieder stärker in Richtung Durchmischung, sagt Mayer, und Silbermann ergänzt: "Der Online-Handel ist noch in der Pionierphase" – nach dem Aufschwung, auch durch die Pandemie, werde er sich irgendwann einfügen, das Verhältnis sich einpendeln und der Kaffeeladen in der Innenstadt zwar auch mit Online-Handel Geld verdienen, den Kunden stationär aber ein Einkaufserlebnis bieten, das sie im Supermarkt nicht hätten – und Treffpunkt für Menschen sein. Handwerksbetriebe etwa seien in anderen Ländern viel öfter in Innenstädten zu finden – und kämen in Deutschland erst wieder dorthin zurück.

Als Sitz des Citymanagers respektive der GmbH, die bei der Reaktivierung der Innenstadt helfen soll, kann sich Penck zudem ein Netzwerkzentrum vorstellen, in dem – in der Innenstadt – Bürgerveranstaltungen stattfinden, Bürger ihre Ideen einbringen können.

Die Bürger werden die Folgen spüren

"Die Stadtgesellschaft wird merken, dass etwas passiert", ist Ludwig Silbermann sicher. Denn Albstadt habe – früher als andere Städte, für die Chateau Louis tätig ist – erkannt, dass nur ressortübergreifend und in einem breit angelegten Prozess Zukunft für die Innenstadt geschaffen werden kann. Außerdem seien die Fördermittel an konkrete Umsetzung innerhalb eines festen Zeitrahmens gebunden: "Der Zeitdruck ist enorm!"

Mehrere Themen, die für die Innenstadtentwicklung in Ebingen wichtig sind, vernetzt die Projektbeschreibung des Stadtplanungsamtes mit Gerhard Penck und Axel Mayer sowie des Wirtschaftsförderers Andreas Hödl:

Herausforderungen

Als Herausforderungen nennen die Autoren Struktur-, demografischen und Klimawandel, pandemiebedingte Veränderungen, den Bedeutungsverlust des stationären Einzelhandels – auch als Frequenzbringer für Gastronomie und Kultur – sowie Zuwanderung, Integration und bezahlbaren Wohnraum.

Ziele

Als Ziele des Entwicklungsprozesses definieren sie mehr Lebens- und Aufenthaltsqualität, die Schaffung eines Begegnungs- und Erlebnisraums, von qualitativem Wohn- und Lebensraum sowie eines zukunftsorientierten Wirtschaftsraums. Bürger, wirtschaftliche und kulturelle Akteure sollen sich mit dem Raum identifizieren.

Gründe

In einer ausführlichen Beschreibung zeigen die Autoren, dass sie die Gründe für den Abwärtstrend der vergangenen Jahre erkannt haben, darunter minderwertige Nutzungen von Läden und Lokalen, etwa als Shisha-Bars, Barber-Shops und Wettbüros, das fehlende Citymanagement, die Überalterung der Ladeninhaber und fehlende Nachfolger sowie das Fehlen von Gründungen im Einzelhandel, den Mitgliederschwund im Handels- und Gewerbeverein und vieles mehr. Den Ist-Zustand beschreiben die Autoren ungeschönt, die Faktoren des Lebens und Wirtschaftens in der Innenstadt sachlich und konkret.

Transformationsstrategie

Ein wesentlicher Teil des Konzepts ist die Transformationsstrategie für die Innenstadt von Ebingen. Sie umfasst neun Elemente: Die Entwicklung eines Zielbildes Innenstadt mit bürgerschaftlicher Beteiligung als Voraussetzung für einen Prozess zur Umwandlung der Innenstadt, an dem die Bürger teilnehmen, und dessen Ergebnis Grundlage aller Maßnahmen und Projekte sein soll.  Um den Wirtschafts- und Kulturstandort Innenstadt zukunftssicher zu gestalten, Nutzungsvielfalt und Aufenthaltsqualität zu erhöhen, sollen alle am Wandel Beteiligten interdisziplinär zusammenarbeiten, darunter Bürger, Citymanager, Verwaltung und Aktionsteams. Ein Citymanagement soll eingerichtet werden, um den Wirtschafts- und Kulturstandort Innenstadt aktiv zukunftssicher zu gestalten. Den Beschluss dafür hat der Gemeinderat bereits Ende 2021 gefasst. Im Netzwerkzentrum Innenstadt soll Start-up-Kultur im Umfeld der Hochschule Albstadt-Sigmaringen gefördert und damit das Netzwerk der Technologiewerkstatt in Tailfingen erweitert werden. Ein nachhaltiger Mobilitätsplan soll helfen, zukunftsorientierte ÖPNV-Haltestellenlösungen umzusetzen. Das Quartier "Hufeisen" soll unter bürgerschaftlicher Beteiligung weiterentwickelt respektive das bisher geplante umgesetzt werden.Ideen aus einem bürgerschaftlichen Ideenwettbewerb sollen umgesetzt werden – die erste davon am Bürgerturmplatz. Eine Kulturkonzeption soll die Strahlkraft der Innenstadt erhöhen – die Museen sind darin einzubinden. Das Innenstadtmarketing soll durch Umsetzung einer übergeordneten Strategie verbessert werden.

Finanzierung

Nicht unwichtig: Den Kosten und Finanzierungsmöglichkeiten der einzelnen Punkte wird ebenfalls viel Raum gewidmet – Ideen sind nur dann gut, wenn sie sich auch finanzieren lassen.

Unterstützer

Zahlreiche Innenstadt-Akteure – von der Kirchengemeinde über HGV und Städtleinitiative bis zur Hochschule und einigen Vereinen – bekunden ihre Unterstüztung in Schreiben, die der Projektbeschreibung beigeheftet sind.

Kommentar: Nase vorn

Von Karina Eyrich

Von Karina EyrichDer Vorwurf wird so sicher kommen wie das Amen in der Kirche: Schon wieder bekommt Ebingen Geld für die Entwicklung seiner Innenstadt, nur gut zehn Jahre nach Abschluss der großangelegten Sanierung. Ein echter Meilenstein, ein enorm wichtiger Entwicklungsschritt sei das damals gewesen, sagt Gerhard Penck, Leiter des Stadtplanungsamtes, der in Tailfingen aufgewachsen und heute noch zuhause ist. Aber die Zeit bleibe auch nicht stehen, die Innenstadt – und für Albstadt sei das nun mal Ebingen – müsse an neue Entwicklungen angepasst werden. Das werde auch in Tailfingen nicht anders sein, versichert Penck. Der zweitgrößte Albstädter Stadtteil ist freilich gerade erst auf Top-Niveau gebracht worden, was Innenstadtgestaltung angeht. Dort herrscht aktuell kein Nachholbedarf – vielmehr dient Tailfingen als Vorbild dafür, wie man Stadt gestaltet.