Ausstellung im Kunstmuseum Albstadt widmet sich nicht nur – aber besonders beeindruckend – der Passion

Der Höhepunkt kommt zum Schluss: So wie das Leben Jesu Christi auf Ostern ausgerichtet ist, so ist die aktuelle Sonderausstellung "Menschensohn – Ecce Homo – Crucifixus" im Kunstmuseum der Stadt Albstadt auf die Osterzeit ausgerichtet, sind doch mehr als die Hälfte der gut 130 "Christusbilder im 20. und 21. Jahrhundert" Passionsbilder.

Wie gut, dass Kuratorin Veronika Mertens dafür die Werke Caroline von Grones (*1963) entdeckt hat: In der venezianischen Kirche Campo S. S. Apostoli, in der ein berühmtes Christusbild von Tizian hängt, hat die Künstlerin Alessandro, einen Sizilianer, porträtiert. Durch Glas. "Es geht um die Reflexion des Christusbildes", sagt Mertens. Mit im Bild sind Verfolgte dieser Zeit wie der Flüchtling Rasheed und Friedensnobelpreisträgerin Malala.

Dass es Christus ist, der dort steht und sie ansieht – diese Vorstellung entsteht im Auge des Betrachters und lässt kaum eine andere Interpretation zu. Zu stark fixiert ist das Christusbild in der Kunst auf den dunkelhaarigen Mann mit Bart.

Hat er tatsächlich so ausgesehen? Dorothee Windheim (*1945) hat sich in ihren "Salve Sancta Facies" 1984 mit dem Schweißtuch der Veronika und dem Turiner Grabtuch, die das Antlitz Jesu zeigen sollen, beschäftigt. Dabei interessiert sie weniger dessen Physiognomie als vielmehr der Weg des Abbilds auf ein Stück Stoff, den sie mit ihrer Kunst beschreitet.

Ganz anders nähert sich M. Pietra Löbl OSF (*1965) der Faszination Grabtuch: In ihrer noch nicht abgeschlossenen Serie "vera ikon" schafft die Franziskanerin durch das Ziehen von Fäden aus Leinentüchern Transparenz und Transzendenz jenseits des Stofflichen. Erstaunlich, was das suchende Herz darin zu entdecken vermag: ein Kreuz, das Gesicht Christi – immer durchschienen vom Licht. So öffnet die Installation im Forum ein Fenster zum Himmel. Bei Otto Dix, den zwei Weltkriege geprägt haben, ist es eher die Hölle, die aus seinen Werken spricht. Da ist Christus am Ölberg, der mit angstverzerrtem Gesicht flehend zum Vater betet, den Kelch an ihm vorübergehen zu lassen. Über ihm schwebt der Tod als schwarzer Vogel. In seinem Selbstbildnis als Kriegsgefangener wird der Stacheldraht zur Dornenkrone, in seiner "Kreuzigung" und in "Kreuzabnahme" aus den Passionswerken von 1913/14 scheint Christus nach oben zu streben, und in seiner Gouache "Grabkreuze", einem Gemälde, welches das Kunstmuseum Albstadt nie mehr verlassen wird, erhellt das Licht, das aus den Gräbern zu kommen scheint, die düstere Kriegsnacht.

Dix, dessen ist sich Veronika Mertens ganz sicher, "hat das Evangelium ganz genau gelesen" und durch den Christusimpuls Energie entfaltet, "die zum Auferstehungsimpuls führt". Dazu bedürfe es keiner Frömmigkeit.

Wie die Ausstellung überhaupt längst nicht nur Christen etwas zu sagen hat. Es sind das Leiden, der geschundene, gepeinigte Mensch mit seiner übergroßen Angst, aber auch seiner Hoffnung, die in der heutigen Zeit so viele Reflexionen und so viele Anker finden. In Eckhard Froeschlins (*1953) 1981 entstandener Collage "Hommage à Ratgeb" – Jerg Ratgeb war Schöpfer des Herrenberger Altars, den das Werk zitiert – klagen drastische Folterszenen die Menschenrechtsverletzungen in den USA und Lateinamerika an. Ekkehart Rautenstrauchs (1941–2012) "Deutschland 1945–1989" lässt einen Christus an Seilen über dem Abgrund hängen – und einen weiteren auf Seilen über ihn hinweg balancieren. Hoch beeindruckend ist Günter Schöllkopfs minimalistisch radierter Zyklus "Kreuzweg" (1965) mit enorm vielen Bezügen zur Gegenwart und zur jüngeren Vergangenheit, in dessen neuntem Bild etwa die Masse dem Kreuzträger den Hitlergruß zu entbieten scheint.

Von verstörender Lautstärke hingegen ist Hans Fähnles Zyklus "Passion 1942": Da leidet der Betrachtet förmlich mit dem damaligen Frontsoldaten, der seine Kriegserfahrungen auf das Leben Jesu projiziert und die nackte Todesangst – von Fähnle im Wortsinn in Kreide festgehalten – ebenso gut zu kennen scheint wie einst der Menschensohn im Garten Gethsemane.

"Menschensohn – Ecce Homo – Crucifixus" spannt weiten Bogen

Wie wohltuend nehmen sich dagegen die Werke des Katholiken Karl Casper aus, der die Krippe – jene in der Lautlinger Pfarrkirche St. Johannes Baptista hat er geschaffen – in den Vordergrund stellt. In seinen Lithographien "Passion" von 1913 wird Gottes Kraft und Energie erkennbar. Er wandte sich damit "gegen die Süßlichkeit und hohle Theatralik vieler Vertreter kirchlicher Kunst und gegen die vordergründige Sinnlichkeit, mit der christliche Motive im zeitgenössischen Kunstbetrieb oft verwendet werden", schreibt Mertens im informativen und reich bebilderten Magazin zur Ausstellung, die das kitschige Christusbild überhaupt – und ganz bewusst – ausspart. Zu finden ist "Jesus als Kinderfreund" immerhin in einem Gemälde von Christian Landenberger, dargestellt als weiß verhüllte Lichtgestalt. Dass Landenberger sich selbst 1912 vor einem ähnlichen Motiv porträtiert hat – im weißen Malerkittel – ringt Mertens jedes Mal ein Schmunzeln ab, wenn sie vor den Gemälden im Christian-Landenberger-Saal steht.

Der Auferstandene krönt die reiche, von Zeitbezügen strotzende Ausstellung, die nicht nur nach Meinung der Direktorin zu den besten der vergangenen Jahre im Kunstmuseum Albstadt gehört. In Fritz Steisslingers (1891–1957) "Auferstandener" von 1920 etwa kommt er daher wie Jesus Christ Superstar, reißt rufend die Arme hoch. Als Lichtgestalt tritt er auch in Käte Schaller-Härlins (1877-1973) Entwurf für das Wandbild in der evangelischen Pauluskirche in Tailfingen hervor – es ist das einzige Auftragswerk unter den Exponaten und laut Mertens "fast schöner als das Fresko selbst". So spannt "Menschensohn – Ecce Homo – Crucifixus" den Bogen von Weihnachten bis Ostern, widmet sich aber vor allem jener Zeit, welche die Leidenschaft unzähliger Künstler angefacht und so unterschiedliche Ausdrucksformen gezeitigt hat: der Passion.

Weitere Informationen: Die Ausstellung ist letztmals zu sehen am Karsamstag, Ostersonntag und Ostermontag, jeweils 11 bis 17 Uhr, im Kunstmuseum Albstadt. Am Sonntag um 15 Uhr beginnt eine öffentliche Führung.