Blaue Kornblumen, roter Klatschmohn, gelbe Margeriten, lila Lichtnelken und, und, und: In der Urbanstraße bei der Landesbibliothek blüht der Sommer in voller Farbenpracht. Erfahren Sie mehr in unserer Bildergalerie. Foto: Peter-Michael Petsch

Stadt setzt auf Wildblumen statt Rasen - Pflege doppelt so teuer wie die Halme kurz zu halten.

Stuttgart - In Stuttgart blühen mehr bunte Wiesen als eintönige Beete.Für Insekten sind die Biotope in der Stadt ein Paradies. Doch nicht alle Bürger mögen das, was Bienen und Käfern gefällt. Immer wieder gibt es im Sommer Beschwerden wegen Wildwuchses – zumal der auch kostspieliger ist als gepflegter Rasen.

Tag und Nacht rollt der Verkehr über die Heilbronner Straße. Den Straßenrand aber haben die Stadtgärtner der Natur zurückgeschenkt. Dort sprießen Wiesen mit rotem Klee, weißer Schafgarbe, der violetten Flockenblume und dazwischen oft als Unkraut verunglimpftes Wildkraut. Das Biotop an einer der Hauptverkehrsachsen ist für Bienen, Hummeln, Schmetterlinge und Käfer so attraktiv wie die Königstraße mit ihren Schlemmerständen für Menschen.

Ob Theodor-Heuss-, Friedrich-, Urbanstraße oder Charlottenplatz in der Innenstadt oder Verkehrsinseln in den Stadtbezirken: Immer mehr Rasenflächen wurden in den vergangenen Jahren zu blühenden Wiesen: Von den knapp 660 Hektar Fläche (ein Hektar entspricht 10.000 Quadratmetern), die gemäht werden muss, sind mittlerweile rund 400 Hektar Wiese und nur noch 155 Hektar typischer Rasen.

Auf 400 Quadratmeter Fläche am Charlottenplatz tummeln sich 43 Arten von Wildbienen

Die Idee, in der Stadt Wildwiesen wachsen zu lassen, keimte beim Garten-, Friedhofs- und Forstamt bereits zu Beginn der 90er Jahre auf. „Bei der Internationalen Gartenausstellung 1993 wollten wir das Thema Natur in der Stadt aufgreifen“, erinnert sich Walter Wagner. Er ist als Abteilungsleiter beim Gartenamt zuständig für die städtischen Grünanlagen. Mit der Idee war der Samen gelegt und ist aufgegangen: „Wo es an Gehwegen oder in Kreuzungsbereichen ohne Beeinträchtigung der Verkehrssicherheit möglich war, haben wir Wiesen angelegt“, sagt Wagner. Den passionierten Gärtner freut es besonders, dass die Stuttgarter nun beobachten können, was der Boden alles an Blumen und Gräsern hervorbringt, wenn man es wachsen lässt, statt zu mähen.

Nicht nur er, auch die Insekten sind glücklich über Wiesen in der Stadt. Die Stuttgarter Gruppe des Naturschutzbunds (Nabu) Deutschland hat festgestellt, dass sich allein auf 400 Quadratmeter Fläche am Charlottenplatz trotz der 50.000 Autos täglich mittlerweile 43 Arten von Wildbienen tummeln. „Drei davon stehen sogar auf der Roten Liste der gefährdeten Arten“, schwärmt Ulrich Tammler, zweiter Vorsitzender des Nabu Stuttgart. Als die Fläche noch mit Bodendeckern bepflanzt war, habe es dort gerade mal fünf Arten von Wildbienen gegeben.

Zu den Wiesen-Besuchern gehören auch Marien- und Rosenkäfer und Wanzen wie die Streifenwanze, sowie Schmetterlinge. Entdeckt wurden sogar schon seltene Arten wie der Schwalbenschwanz und Bläulinge. „Die Insektenvielfalt ist wiederum Voraussetzung dafür, dass die Vögel in der Stadt überleben können“, sagt Tammler.

Bürger finden die naturnahen Wiesen zu ungepflegt

Biotope wie am Charlottenplatz oder an den Hauptstraßen sind laut Nabu unverzichtbar, weil die bebaute Fläche in der Stadt für Pflanzen und Tiere undurchlässig ist. In Stuttgart würden die Oasen künftig noch wichtiger, da durch die Tieferlegung des Hauptbahnhofs viel Grünfläche wegfalle. Außerdem seien die blühenden Inseln in der Stadt Trittsteine für die angestrebte Vernetzung der Grünflächen im Land.

Unter dem Motto „Natur in bebaute Fläche“ will der Stuttgarter Nabu jetzt Privatpersonen dafür gewinnen, mehr Wiese im eigenen Garten sprießen zu lassen. „Da ist noch viel Fläche vorhanden“, ist Tammler überzeugt und kritisiert die Versiegelung der Fläche zum Beispiel vor de r Landesmesse in Leinfelden-Echterdingen oder den Marienplatz im Stuttgarter Süden, die Tieren und Pflanzen ihren Lebensraum nimmt.

Die Begeisterung der Naturschützer für die Wildwiesen in der Stadt teilen längst nicht alle Bürger: „Wir erhalten im Sommer immer wieder Anrufe, weil den Leuten die naturnahen Wiesen zu ungepflegt sind , sagt Wagner. Die Anrufer kann er damit trösten, dass in der Stadt nicht noch mehr Rasen- zu Wiesenfläche wird. Das Ziel sei erreicht, mehr nicht geplant, versichert er. Repräsentative Bereiche wie die rund ums Rathaus oder um die Bezirksrathäuser sowie Kreuzungen in den Ortsmitten würden nach wie vor akkurat bepflanzt. Wagner räumt aber ein, dass es Beschwerden gibt, die nicht mit naturnaher Bepflanzung, sondern mit Vernachlässigung zu tun haben. „Schießt zum Beispiel im Rosenbeet im Bereich vom Breuninger Parkhaus das Gras in den Himmel, kommen wir mit der Pflege nicht nach“, gibt Wagner zu und nennt als Grund den Stellenabbau der vergangenen Jahre wegen der Sparmaßnahmen.

Pflege der 400 Hektar Wiesenflächen verschlingt zwei Millionen Euro pro Jahr

Die Hoffnung, sparen zu können, hatte die Stadt ursprünglich auch bei der Umstellung auf Wildwiesen. Die müssen statt bis zu 15- nur dreimal im Jahr gemäht werden. Mittlerweile verschlingt die Pflege der 400 Hektar Wiesenflächen alles in allem zwei Millionen Euro pro Jahr, der Unterhalt der 155 Hektar Rasen kostet dagegen nur 400.000 Euro. Der Grund ist laut Wagner, dass das Mähen von langem Gras sehr viel zeit- und damit kostenintensiver ist als das Mähen von kurzem Gras. Den sogenannten kurzen Schnitt beziffert Wagner auf 20 bis 30 Cent pro Quadratmeter, den langen Wiesenschnitt auf 50 bis 70 Cent. Letzterer muss abtransportiert und kompostiert werden, während der Rasenschnitt liegen bleiben kann.

Auch die Stuttgarter Straßenbahnen setzen auf Wiese. Zwischen den Schienen in Stuttgart laufen 21,6 Quadratkilometer Grünstreifen mit Wildgräsern und Blumen.