Die erste Taube mit Pfeil tauchte am Berliner Platz auf. Inzwischen wurden noch mehr verletzte Tiere gesichtet. Foto: Stadt Stuttgart

In Stuttgart sind Tauben unterwegs, die von einem Pfeil durchbohrt sind. Ein Tier, das Anfang Juni attackiert wurde, hat die Verletzungen nicht überlebt. Den unbekannten Tätern drohen Strafanzeigen. Wie die Tiere verletzt wurden, ist bisher offen.

Stuttgart - Auf den ersten Blick denkt man an einen Scherz: Da hat wohl Amors Pfeil den Friedensbringer getroffen! Aber weit gefehlt. Der Fall beschäftigt Bürger, Tierschützer, Ärzte und bald die Polizei. Denn die Stadt will Strafanzeige wegen Tierquälerei erstatten.

Anfang April kam der erste Fall ans Licht. Auf dem Berliner Platz in der Stadtmitte tauchte eine Taube auf, deren Hals von vorn nach hinten von einem Pfeil durchbohrt war, abgefeuert aus dem Lauf eines Blas- oder Druckluftrohrs . Die Pfeilspitze und das hintere Ende sind aus orangefarbenem Kunststoff, wie das Bild des städtischen Vollzugsdiensts dokumentiert.

Der war damals von aufmerksamen Bürgern gerufen worden, um das Tier einzufangen. „Wir haben es an mehreren Tagen mit einem Kescher versucht, aber die Taube ist immer wieder entwischt“, sagt Hans-Jörg Longin, der Leiter des Vollzugsdiensts. Fotografieren aber, das habe sie sich lassen.

Bei der Stadt ging man bisher von einem bedauerlichen Einzelfall aus

Danach sei das Tier wochenlang nicht mehr aufgetaucht, es gingen keine Anrufe mehr bei der Stadt ein, Longin und seine Kollegen mussten davon ausgehen, dass die Taube inzwischen verendet ist, „wir dachten, sie ist dem Tod geweiht“. Stattdessen ist sie offenbar hart im Nehmen und mischt sich immer wieder unter die Artgenossen am Berliner Platz. „Zuletzt habe ich sie vor zwei Wochen gesehen“, sagt Katerina Benesova, Kellnerin im Café Mirror, „und ihr Anblick schockiert mich jedes Mal neu.“ Andere Bürger sahen das Tier erneut am Dienstag.

Bei der Stadt ging man bisher von einem bedauerlichen Einzelfall aus. Die Anrainer aber haben inzwischen ein weiteres malträtiertes Tier gesichtet. „Der Pfeil der ersten Taube ist orange, die zweite Taube hat einen Pfeil einer anderen Farbe im Hals“, sagt Bianca Böttcher. Sie arbeitet am Berliner Platz bei einer Agentur und hat den Platz täglich vor Augen. Deutlich unterscheiden ließen sich die beiden Vögel, weil beim später hinzugekommenen der Pfeil nicht in Längsrichtung, sondern quer im Hals stecke.

Am 3. Juni dieses Jahres waren der Vollzugsdienst und der Tiernotdienst mit einem dritten Fall von Quälerei konfrontiert. Der Anruf kam aus dem Stuttgarter Westen. In der Reinsburgstraße hatten Bürger eine Taube beobachtet, in der ebenfalls ein langer, schmaler Gegenstand steckte. Das Tier konnte eingefangen und in die Tierklinik am Hasenberg gebracht werden.

Verletzte Taube überlebte nicht

„Es hat sich um so etwas wie ein Projektil gehandelt, schwer und so lang wie ein Kugelschreiber“, sagt Dr. Wolfgang Sinzinger, Tierarzt und einer der drei Klinikchefs. Das Geschoss hatte den Flügel durchdrungen und war in der Rückenmuskulatur stecken geblieben. Überlebt hat das Tier zuletzt nicht: Wegen einer nicht behandelbaren Infektion und eines zersplitterten Flügels wurde sie eingeschläfert. Dr. Sinzinger geht davon aus, dass das Tier von einem Tierquäler beschossen worden ist. „Womit das Projektil abgefeuert wurde, ist mir ein Rätsel.“

Die Taube habe anfangs einen „guten Eindruck“ gemacht, und die zwei anderen Tiere, die am Berliner Platz gesehen wurden, sind trotz ihrer Verletzung mutmaßlich noch am Leben. Der Klinikchef führt dies darauf zurück, dass „Tauben nicht so schmerzempfindlich sind wie Hunde oder Katzen“. Wenn sich keine Infektion einstelle und keine Organe verletzt seien, könnten die Tiere solche Attacken überleben. Diese zu reiten, hält Dr. Sinzinger aber für verwerflich: „Wenn man sich vor einer Taubenplage schützen will, muss man zu anderen Mitteln greifen.“

Die Stadt tut das seit mehreren Jahren. Zum einen hat sie 1997 ein Fütterungsverbot ausgesprochen, um die Brutfreudigkeit der Tiere nicht zu fördern. Zudem sind insgesamt sechs Taubentürme aufgestellt worden. Sie bieten den Tieren Unterschlupf und Nistmöglichkeiten, die Eier aber werden durch Attrappen ausgetauscht. So kann die Population der Tiere punktuell stark eingeschränkt werden.

Standorte sind auf dem Dach der Rathausgarage, auf der Leonhardskirche, im Stadtgarten und auf dem Parkhaus Mühlgrün in Bad Cannstatt. Der Standort am Hauptbahnhof wird wegen des geplanten Tiefbahnhofs demnächst aufgegeben, ein neuer Ort ist laut Silvie Brucklacher, Taubenbeauftragte des Tierschutzvereins, noch nicht gefunden. Die Stadt investiert jährlich rund 40 000 Euro in die Türme, wo Jahr für Jahr das Ausbrüten von mehr als 2000 Eiern verhindert wird. Schätzungsweise 10 000 Tauben leben in der City. Eine „auffällige Szene“ der Tierquälerei hat Brucklacher nicht bemerkt. Auch Dr. Sinzinger beobachtet solche Fälle „nur selten“. Im aktuellen Fall erstattet die Stadt nun Strafanzeige.