Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit besichtigt die Flughafen-Baustelle Foto: dpa

Vorbei sind die Zeiten, in denen Berlins Regierender Bürgermeister als schrilles Aushängeschild einer liberalen Weltstadt galt. Ein Volksbegehren zu seiner Abwahl sorgt nun für Aufsehen.

Berlin - Die Unzufriedenheit ist groß. Das liest Felix Herzog täglich in den E-Mails, die ihn in seinem Büro in Neukölln erreichen. „Herr Wowereit muss endlich weg!“, schreibt die Berlinerin Sylvia S. Warum ihm? Der Gründer der Initiative „Wowereit Rücktritt“ sammelt seit vergangenem Donnerstag Unterschriften, damit die Legislaturperiode des Berliner Abgeordnetenhauses vorzeitig endet. Klaus Wowereit regiert Berlin seit 2001. Es ist nicht das erste Mal, dass Bürger versuchen, den dienstältesten Regierungschef eines Bundeslandes vorzeitig los zu werden. Doch dieses Mal schlägt das Vorhaben große Wellen. Sogar die Initiatoren zeigen sich überrascht. Es könnte daran liegen, dass für den Sozialdemokraten in letzter Zeit nun wirklich einiges schief gelaufen ist. Doch wie kam es dazu?

Noch vor ein paar Jahren stand Wowereit wie kein anderer für das von ihm selbst verordnete Berlin-Image „arm aber sexy“ der Hauptstadt.

Wowereit verstand das trotzige Statement durchaus in Anlehnung an seine Biografie. Aufgewachsen als eines von fünf Geschwistern in West-Berliner Bezirk Lichtenrade, stammt der 60-Jährige aus kleinen Verhältnissen. Die alleinerziehende Mutter, Hertha Grüner, ist Überlebenskünstlerin und arbeitet unter anderem als Putzkraft. Wowereit ist der Mädchenname der Mutter, stammt aus dem Litauischen und bedeutet „Eichhörnchen“. Das Eichhörnchen muss sich durchbeißen. Als die Mutter an Krebs erkrankt und der Bruder nach einem Sturz von einem Baugerüst querschnittsgelähmt ist, pflegt er beide.

Wowereit studiert Jura und beginnt eine Karriere als Kommunalpolitiker. Als er 2001 zum Bürgermeister gewählt wird, ist aus dem Eichhörnchen ein Partylöwe geworden. Bilder auf denen er knutschend mit der „Dschungel-Camp“-Gewinnerin Desirée Nick zu sehen ist, findet er heute „dusselig“, bereut es aber genauso wenig wie sein berühmt gewordenes Outing „Ich bin schwul und das ist auch gut so“.

Es ist sicher nicht nur sein Verdienst, aber Berlin wird im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts zur angesagtesten Metropole Europas und zieht scharenweise Künstler, Intellektuelle, Partygänger und so genannte Hipster an – eine Subkultur, die auf schrille Farben, übergroße Brillen und ausgefallene Frisuren setzt. Berlin wird zur Hauptstadt der Internet-Startups. Wie Pilze schießen Unternehmen aus dem Boden, um mit Dienstleistungen im weltweiten Netz Kasse zu machen. Wowereit brüstet sich damit, Sparmeister der Republik zu sein. Nur 2,4 Prozent Ausgabenwachstum pro Jahr, weniger als jedes andere Land in Deutschland, weist Berlin in seiner Regierungszeit auf. 2015 will er einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen – fünf Jahre eher, als es die Schuldenbremse fordert. Dabei helfen ihm die Einnahmen aus dem Länderfinanzausgleich. Sie steigen unter Wowereit erheblich. Von 2,6 Milliarden im Jahr 2001 auf 3,3 Milliarden Euro 2013.

Doch Anfang 2014 mehren sich Stimmen, die den Niedergang Berlins beschwören. Der New Yorker Szene-Blog Gawker ruft seine Leser auf, eine neue Welthauptstadt der Party-Szene zu küren, Berlin sei von Gestern. Und wieder lässt sich eine Parallele zu dem Mann finden, der wie kein anderer für das Image der Hauptstadt steht. „Er ist halt schon über zwölf Jahre Bürgermeister, und da geht dann vielleicht ein bisschen mit der Zeit der Lack ab“, sagt die Berliner Linken-Abgeordnete Katrin Lompscher im ARD-Magazin „Kontraste“ .

Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. Wowereit wirkt lustlos, in der großen Koalition im Bund ohne eine Chance für höhere Aufgaben. Seine Umfragewerte sinken in den vergangenen Jahren kontinuierlich. Berlin ist launisch.

Sucht man nach Gründen, drängen vier Ereignisse in den Vordergrund, die nach und nach am öffentlichen Bild des Regierenden Bürgermeisters und am Image der hippen Weltmetropole nagen. Da sind erstens massive Ausfälle beim öffentlichen Nahverkehr im Jahr 2009. Vor allem die S-Bahnen sind davon betroffen. Schuld sind unzureichend gewartete Züge, die vorübergehend aus dem Verkehr gezogen werden müssen. Monate lang können die S-Bahnen in Berlin nicht planmäßig fahren.

Unbeliebt macht sich Wowereit bei vielen Bürgern auch, als im Winter 2010 die Räumdienste der Stadt mit Schnee und Eis nicht mehr fertig werden. Zahlreiche Menschen brechen sich auf den spiegelglatten Straßen die Knochen, während der Bürgermeister vor der Presse über „holiday on ice“ (Urlaub auf dem Eis) auf dem Kudamm witzelt.

Sehr viel schwerer wiegen da die Pannen beim Bau des Hauptstadtflughafens Berlin-Brandenburg, der die kleineren Flugplätze Schönefeld und Tegel ersetzen soll. 2008 wird mit dem Bau begonnen. Damals ist von zwei Milliarden Euro die Rede. Die für 2012 geplante Eröffnung aber muss immer wieder verschoben werden, unter anderem wegen einer nicht funktionierenden Brandschutzanlage. Die Kosten steigen rapide, zuletzt spricht Ex-Bahn-Chef Hartmut Mehdorn, der als Retter geholte Geschäftsführer der Betreiberfirma von „etwas über fünf“ Milliarden Euro. Erst in dieser Woche erklärt Wowereit, ein Eröffnungstermin könne noch immer nicht genannt werden. Er ist Aufsichtsratschef der Betreibergesellschaft. Anfang 2013 hatte er zwar das Amt an den damaligen brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck abgegeben, kehrte aber Ende 2013 wieder auf den Posten zurück. Noch ist nicht klar, wer die politische Verantwortung für die Kosten übernehmen wird. Wowereit ist dazu nicht bereit. Der SPD-Mann sieht die Verantwortung bei den mit dem Bau beauftragten Firmen.

Als wäre das nicht genug, kommt Anfang Februar 2014 die Steueraffäre seines Kulturstaatssekretärs André Schmitz hinzu.
Der Wowereit-Vertraute hat Steuern aus einer Erbschaft hinterzogen. Pikant, dass Wowereit bereits 2012 von der Sache erfuhr, aber stillhielt und Schmitz im Amt beließ.
Es bringt das Fass zum Überlaufen, dass Schmitz um seine Entlassung bittet, die aber wieder zurücknimmt. Stattdessen wird er in den einstweiligen Ruhestand versetzt und kommt damit in den Genuss eines Übergangsgeldes plus Beamtenpension.

Und doch: Ist der Abgesang auf Berlin und Wowereit wirklich berechtigt? Wohl kaum. Jedes Jahr wächst Berlin um 50 000 Menschen. Ein Trend, der erst seit der Jahrtausendwende festzustellen ist. Berlin kann von allen deutschen Bundesländern mit 17,4 Prozent 2012 das höchste Wirtschaftswachstum vorweisen, vor Bayern und Baden-Württemberg. Die aufgeblähte Verwaltung ist von über 200 000 auf inzwischen 100 000 Beamte zusammengestutzt, ohne dass es zu größeren sozialen Verwerfungen kommt. In keinem anderen Bundesland werden mehr Unternehmen gegründet als in Berlin, nirgendwo sonst strömen so viele Touristen. 11,3 Millionen Besucher kamen im letzten Jahr. Doppelt so viele wie vor zehn Jahren. Zudem: In der Berliner SPD gibt es weit und breit keinen, der Wowereits Rolle auf Anhieb erfolgreich übernehmen kann.

Im müden Party-Löwen scheint doch noch ein wenig Eichhörnchen zu stecken. Wowereit wird es wohl noch eine Weile machen.