Die späten Gegentore des VfB ziehen sich wie ein roter Faden durch die Saison, und mit Blick auf die letzten vier Partien machen sie den Fans wenig Hoffnung. Doch wie können Spieler und Trainer die Torschusspanik in den letzten Minuten bekämpfen? Sportpsychologe Werner Mickler gibt Antworten.

Stuttgart - Wer sich mit dem VfB verbunden fühlt, bekommt in dieser Saison fast in jeder Woche die große Flatter. Immer dann, wenn für den Club aus Cannstatt die Schlussphase während eines Spiels anbricht, heißt es: Vorsicht, Alarmstufe Rot!16 Punkte schon hat der VfB durch Gegentreffer in der letzten Viertelstunde eingebüßt. In einer fiktiven Tabelle, in der alle VfB-Partien 2014 vor der 80. Minute abgepfiffen worden wären, hätte das Team von Huub Stevens bereits 40 Punkte auf dem Konto – und der Klassenverbleib wäre gesichert.

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Weil man mit Hätte, Wenn und Aber im Profifußball jedoch nicht weiterkommt, müssen sich die Strategen des VfB der Realität stellen – und sich damit beschäftigen, wie der Fluch mit den späten Gegentreffern in den verbleibenden vier Partien noch in den Griff zu kriegen ist. Der renommierte Sportpsychologe Werner Mickler, der an bei der Fußballlehrer-Ausbildung des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) für den psychologischen Teil zuständig ist, hat dafür einige Tipps parat. Werner Mickler über . . .

. . . die mentale Blockade der Profis

. . . die mentale Blockade der Profis: „Ganz ehrlich: Ich sehe zurzeit überhaupt keine Blockade. Es ist nicht selbstverständlich, bei so einem starken Gegner wie Borussia Mönchengladbach so gut zu spielen. Das sollte der Mannschaft Auftrieb geben. Darüber sollten die Spieler nachdenken, und erst dann sollte der Trainer eine klare Fehleranalyse betreiben und den Jungs zeigen, was sie in der Schlussphase und beim späten Gegentor zum 1:1 falsch gemacht haben. Das Positive hervorzuheben ist in der Situation des VfB enorm wichtig. Es ist offensichtlich, dass die Profis den Kampf gegen den Abstieg angenommen und verinnerlicht haben. Diesen Weg müssen die Jungs nun konsequent weitergehen. Das Credo in dieser Woche muss sein: ‚Hey, wir haben in Mönchengladbach überzeugt, dann können wir das mit Sicherheit auch im nächsten Spiel gegen den FC Schalke 04 tun.‘“

. . . das richtige Verhalten auf dem Platz

. . . das richtige Verhalten auf dem Platz: „Die Spieler bekommen von ihrem Trainer vor jeder Partie einen klaren taktischen Plan an die Hand. Die Profis müssen Aufgaben abarbeiten auf dem Platz. Diesen Gedanken muss ich als Spieler 90 Minuten lang verfolgen, damit habe ich genug zu tun. Und wenn die negativen Gedanken in den Schlussminuten doch wieder kommen, muss ich mich strikt wieder um das kümmern, was der Trainer mir vorgegeben hat. Dazu kann ich mich zwingen.“

. . . den Einfluss von Huub Stevens

. . . den Einfluss von Huub Stevens: „Der Coach kann im Training bestimmte Spielsituationen schaffen – etwa die, in der eine Mannschaft in zehn Minuten lang einen Vorsprung verteidigen muss. Zudem kann er den Fokus auf Spiele legen, in dem sein Team schon eine Führung ins Ziel gebracht hat. Diese Partien müssen rein ins Bewusstsein der Profis – und zwar mit dem klaren Gedanken, wie die Jungs es genau geschafft haben. Der Trainer sollte die positiven Beispiele, die es in dieser Saison gab, gezielt in der Vorbereitung nutzen und so das Selbstvertrauen stärken. Bei manchen Spielern läuft aktuell in der Schlussphase ein Film ab, das ist ein Stück weit normal. Dieser Film blockiert – aber man kann ihn verdrängen, indem man sich einen anderen ins Bewusstsein ruft.“

. . . den Einfluss der Führungsspieler

. . . den Einfluss der Führungsspieler: „Klar ist, dass sie eine Vorbildfunktion einnehmen müssen. Die erfahrenen Profis müssen gerade in schwierigen Situationen vorneweg marschieren und so Zeichen setzen – das ist genauso wichtig wie das ständige Coachen und die Kommandos auf dem Platz. Allerdings heißt das nicht, dass Führungsspieler immer am besten mit Krisensituationen umgehen können. Oft sind sie sensibler als andere. Umso wichtiger ist es deshalb, dass das Trainerteam und der Sportvorstand ihnen intern und öffentlich konsequent den Rücken stärken. Nur so können die Führungsspieler das irgendwann übernehmen und ihren Einfluss bei den Teamkollegen auf dem Platz geltend machen.“

. . . das ideale Entspannungsprogramm

. . . das ideale Entspannungsprogramm: „Gerade in schwierigen Phasen ist es wichtig, dass man nicht nur an den Fußball und an die prekäre Lage denkt. An freien Tagen sollten die Profis abschalten, und das kann man am besten mit Dingen, die viel Spaß machen. Der eine spielt am liebsten Golf, der andere macht mal einen Familienausflug. Das ist für den Kopf wichtig, und nur so ist man für die nächste Aufgabe gerüstet.“