Frustriert: VfB-Profi Ibrahima Traoré Foto: dpa

Ex-Profi Thomas Berthold über die Schönfärberei nach dem 0:3 beim FC Schalke, Schwächen im Mittelfeld und eine Neuausrichtung des Clubs.

Der frühere VfB-Profi Thomas Berthold ist bekannt für eine klare Kante – einst als Abwehrspieler auf dem Platz, heute als Experte.  Um seinen Ex-Club macht sich der  Weltmeister  große Sorgen.
 
Stuttgart - Herr Berthold, wie haben Sie die Äußerungen von Spielern und Verantwortlichen des VfB nach dem 0:3 beim FC Schalke 04 erlebt?
Wenn du dir im ganzen Spiel nur eine Großchance erarbeitest, kannst du dich danach nicht hinstellen und sagen, dass du auf Augenhöhe gewesen bist. Wer ein schwaches Spiel so schönredet wie der VfB, verliert seine Glaubwürdigkeit. Ich beschummele mich selbst – und ich verärgere die eigenen Fans. Denn die fahren womöglich mehrere Hundert Kilometer zu dem Auswärtsspiel, bezahlen viel Geld und müssen sich dann nach einer schwachen Leistung noch so was anhören.
Vergrault man so auch die Treusten der Treuen?
Ja. Die Zuschauerzahlen des VfB sind ja sowieso schon rückläufig – mit den schönfärbenden Äußerungen bringt man auch noch die treuen Fans gegen sich auf. Die Leute sehen das Spiel, und sie lassen sich hinterher doch nicht für dumm verkaufen.
Neben dem Platz hakt es offenbar beim VfB – was sind die Probleme auf dem Spielfeld?
Einige Spieler werden auf der falschen Position eingesetzt. Konstantin Rausch und Arthur Boka etwa sind doch keine Linksverteidiger. Die beiden können nicht verteidigen und haben ein schlechtes Stellungsspiel. Und dass Moritz Leitner immer wieder über die offensiven Außenpositionen zum Zug kam, kann ich nicht begreifen. Der Junge ist ein zentraler Mittelfeldspieler – über außen fehlt ihm die Power.
Das zentrale Mittelfeld ist die nächste Baustelle des VfB.
Heutzutage brauchst du auf der Position vor der Abwehr schnelle, bewegliche Spieler. Dortmunds Ilkay Gündogan ist für mich das Idealbeispiel auf dieser Position.
Der VfB hat William Kvist und Christian Gentner.
Ja, und das ist das Problem. Die beiden sind zu langsam. Mit solchen Spielertypen holst du in der heutigen Zeit, in der das Spiel immer schneller und dynamischer wird, nichts mehr im Spitzenfußball. Da muss man sich schon mal die Frage stellen, wer für die Kaderplanung verantwortlich ist und wer da in den vergangenen Jahren mitgewirkt hat. Zumal bis auf Daniel Schwaab keiner der Neuzugänge in dieser Saison unangefochtener Stammspieler ist. Die meisten sitzen auf der Bank.

VfB als graue Maus? "Dem VfB fehlen die Typen"

Wohin kann die Reise des VfB gehen in dieser Saison?
Über die ersten drei Plätze brauchen wir eh nicht zu reden. Danach kommen starke Teams wie Borussia Mönchengladbach, Schalke oder Wolfsburg. Wenn der VfB Glück hat, landet er irgendwo zwischen Platz sieben und 14. Fatal wäre es, wenn die Mannschaft bis zur Winterpause nicht mehr punktet. Denn beim letzten Hinrundenspiel gegen Bayern München (verlegt auf den 29. Januar, d. Red.) holst du mit großer Wahrscheinlichkeit nichts. Davor wird es in Wolfsburg auch sehr schwer – der VfB muss aufpassen, dass er nicht unten reinrutscht in der Tabelle.
Für was steht der Verein eigentlich in der bundesweiten Wahrnehmung?
(Überlegt lange) Das weiß ich auch nicht so genau. Wenn du jemanden in Hamburg nach dem VfB fragst, schaut er dich fragend an. Das war früher noch ganz anders.
Ist der VfB mittlerweile eine graue Maus?
Fakt ist, dass die Typen fehlen. Der VfB hat keine Stars und auch kaum Profis, die es werden könnten. Nur der junge Timo Werner ist ein Kandidat. Aber bei ihm musst du natürlich aufpassen, dass du ihm nicht alle Hoffnungen des Clubs aufbürdest.
Die Verantwortlichen fordern Zeit und Geduld ein bei dem Umbruch und der Umsetzung einer neuen Spielphilosophie unter dem neuen Trainer Thomas Schneider . . .
. . . das kann ich nicht mehr hören! Ich kann doch nicht immer nur vom Übergang reden, das kann keiner mehr ertragen. Erfolg ist auch in solchen Phasen wichtig, sonst laufen einem die Leute davon. Der VfB braucht eine klare Vision und eine klare Ausrichtung auf dem Platz. Denn wissen Sie was?
Bitteschön!
Wenn es darum geht, finanzstarke Partner zu gewinnen, sind das Spiel und das Auftreten der Mannschaft das A und O. Die Musik spielt auf dem Platz, da muss es passen – und das bedingt alles andere.
Ist der Verein denn gut aufgestellt, was die Akquise möglicher neuer strategischer Partner angeht?
Das Gefühl habe ich nicht. Bisher hat es der VfB trotz der starken Wirtschaftsregion im Umfeld nicht geschafft, sich strategische Partner ins Boot zu holen. Der FC Bayern etwa hat Adidas und Audi, die Anteile halten. Der VfB braucht eine Ausgliederung der Lizenzspielerabteilung, um neue Geldquellen zu erschließen und Partner zu gewinnen. Ich bin gespannt, ob der neue Präsident (Bernd Wahler, d. Red.) es schafft, mit seinen Kontakten starke Partner aus der Industrie für den Club zu begeistern.
Was muss sich beim VfB sonst noch tun, um besser für die Zukunft aufgestellt zu sein?
Gibt es im Verein denn jemanden, der zurzeit auf Augenhöhe mit Sportvorstand Fredi Bobic diskutiert? Ich bezweifle es stark. Der VfB braucht mehr Sportkompetenz in der Führungsetage. Bei der Daimler AG ist es doch auch nicht so, dass führende Spitzenkräfte in der Vorstandsebene sitzen, die keine Ahnung von der Automobilbranche haben. In der Bundesliga ist es ein weit verbreitetes Phänomen, dass zu wenige Fußballfachmänner in verantwortlichen Positionen sind. Beim VfB ist das nicht anders.
 

VfB-App