Symbolbild Foto: Franziska Kraufmann

Die Männer arbeiten für ein Inkassobüro - und entführten eine Frau, die völlig unbeteiligt war.

Stuttgart-Neugereut - Fast 24 Stunden war sie in der Gewalt ihrer Entführer, musste mehrere Stunden gefesselt zubringen: Eine 62-Jährige musste dafür büßen, dass ihr offenbar verschuldeter Chef sich Geldeintreibern nicht beugen wollte - allerdings wurde sie von ihren Peinigern verwechselt.

Zwei 36 und 54 Jahre alte Mitarbeiter eines Inkassobüros sitzen seit Freitag in Untersuchungshaft. Ein 25-Jähriger ist auf freiem Fuß, aber ebenfalls als mutmaßlicher Mittäter ermittelt. Für die Polizei geht die Arbeit nun erst richtig los: Wer ist der Auftraggeber des Trios? Bei wem hat ein Busunternehmer aus dem Kreis Esslingen so hohe Schulden, dass dieser Geldeintreiber aus dem Sicherheitsgewerbe einschaltete, um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen?

Fest steht: Mit der Entführung einer 62-Jährigen in Neugereut sollte Druck auf den Busunternehmer ausgeübt werden - weil die Täter die Frau für eine Verwandte des Betroffenen hielten. Ein fataler Irrtum - der für das Opfer für lange Zeit schwerwiegende psychische Folgen haben dürfte.

Wie die Polizei aus ermittlungstaktischen Gründen erst jetzt mitteilte, spielte sich die Tat in Neugereut bereits am 6. Mai ab. Die 62-jährige Frau hatte ihren VW Golf um 21.15 Uhr in einer Tiefgarage abgestellt, als sie plötzlich überfallen und in ihren Wagen gezerrt wurde. Gefesselt und mit verbundenen Augen ging es in ihrem Auto auf eine lange Fahrt. Auf der kürzesten Route müssen sie mindestens 45 Minuten unterwegs gewesen sein - bis zu einem Schuppen bei Althengstett im Landkreis Calw.

Dort wurde die Frau auf einen Stuhl gefesselt und über Nacht in dem Schuppen festgehalten. Am nächsten Morgen wurde die 62-Jährige gefesselt in den Kofferraum eines Fahrzeugs gelegt und zum nächsten Ort gefahren. "Die Frau hatte mit ihrem Leben abgeschlossen", sagt Polizeisprecherin Stephanie Reh. Die Fahrt endete ein paar Minuten später an einem Gasthaus im Bereich Weil der Stadt, wo die Entführte in einem Zimmer versteckt wurde.

Dort endete die quälende Zeit der Ungewissheit. Die 62-Jährige durfte ein belegtes Brötchen essen und hörte den Grund für ihre Entführung. Der Busunternehmer im Kreis Esslingen sei einen größeren Geldbetrag schuldig, und sie solle dafür sorgen, dass er den Betrag endlich begleiche. Im Gespräch konnte die 62-Jährige aber glaubhaft machen, dass sie mit dem Betroffenen überhaupt nicht verwandt ist, wie die Täter glaubten. Vielmehr sei sie nur eine Angestellte des Unternehmens, das bei Kurzreisen, Tagesausflügen und Kaffeefahrten, nicht aber im Linienverkehr unterwegs ist.

Spur führte zu Böblinger Sicherheitsfirma

Die Täter erkannten ihren Irrtum. Das Opfer wurde am 7.Mai um 20.30 Uhr auf der B295 weiter Richtung Leonberg gefahren, in einem Industriegebiet auf einem Parkplatz freigelassen. Von einer Gaststätte aus alarmierte die 62-Jährige die Polizei.

Ganz so gnädig sind die Entführer freilich nicht gewesen: Sie behielten das Bargeld der 62-Jährigen ein, ließen sich die EC-Karte samt Geheimzahl geben. Um die Spesen der Entführung zu decken? Abgehoben wurde offenbar aber nichts.

Es folgten mehrtägige Ermittlungen im Umfeld des Busunternehmers. Dieser gab an, im März schon einmal Besuch von Geldeintreibern gehabt zu haben. Allerdings habe er die Unbekannten fortgeschickt und eine Zahlung verweigert. Die Polizei verständigte er nicht.

Eine heiße Spur fand sich dennoch - nämlich in den Tagebüchern der Polizei. Ende März war ein verdächtiges Duo nachts um 1.15 Uhr in eine Routinekontrolle der Polizei in Böblingen geraten. Die Männer hatten einen Vorschlaghammer dabei, schienen einen Einbruch ausbaldowern zu wollen. Bei der genaueren Überprüfung wurden auch noch Unterlagen über das Busunternehmen im benachbarten Landkreis Esslingen gefunden. Die beiden 25 und 36 Jahre alten Männer gaben an, in der Sicherheitsbranche tätig zu sein und auch Inkassoaufträge zu bearbeiten. Da sich kein konkreter Verdacht ergab, wurde der Vorgang von der Polizei erst einmal ad acta gelegt.

Bis die Busfirma und das Thema Inkasso mit der Entführung der 62-Jährigen wieder eine Rolle spielten. Die Spur führte zur Böblinger Sicherheitsfirma und zu den drei Verdächtigen im Alter von 25, 36 und 54 Jahren. Die Deutschen waren bisher nicht polizeibekannt. Gegen sie wurde am Freitag Haftbefehl erlassen.

Nur der 36-Jährige hat die Tatvorwürfe zumindest teilweise eingeräumt. Dadurch ließ sich wenigstens der Ablauf der Entführung rekonstruieren. Der 54-Jährige aber schweigt. Der Auftraggeber dürfte aber auch so ausfindig gemacht werden können. Der Busunternehmer wird freilich keine angenehmen Angaben über die finanzielle Lage seiner Firma machen müssen.