Foto: Venja Art

Sie ist nicht zu übersehen. Wie aus der Zeit gefallen wirkt die 1,82 Meter große Frau. Ein Kleid trägt sie mit Matrosenkragen, die Haare glänzen platinblond und die Lippen sind knallrot. Gestatten, Lili Marleen, ein Pin-up-Model.

Stuttgart - Sie ist nicht zu übersehen. Wie aus der Zeit gefallen wirkt die 1,82 Meter große Frau. Ein Kleid trägt sie mit Matrosenkragen, die Haare glänzen platinblond, sie klimpert mit langen Wimpern, die Lippen sind knallrot, und auf der rechten Wange ziert sie ein Schönheitsfleck. Gestatten, Lili Marleen, ein Pin-up-Model.

Guten Tag, Frau H. . .

...Entschuldigen Sie, wenn ich Sie unterbreche. Aber meinen richtigen Namen möchte ich nicht in der Zeitung lesen. Ich bin heute hier als Künstlerin Lili Marleen.

Vor der Kaserne, vor dem großen Tor, stand eine Laterne. Und steht sie noch davor. Lalalala, wie einst Lili Marleen. Das ist doch ein Nazi-Lied?

Das ist kein Nazi-Lied, es wurde von Menschen - und zu dieser Zeit natürlich auch Soldaten - aller Nationen gehört. Wussten Sie, dass Marlene Dietrich es während des Zweiten Weltkriegs für GIs gesungen hat? Ich höre die Musik der Dreißiger und Vierziger sehr gerne. Mir hat das schon immer gefallen. Die besungene Lili Marleen war eine fiktive Frau, für die Soldaten eine Art Traumfrau. Diese Sehnsucht, die so geweckt wurde, möchte ich auch mit meiner Arbeit hervorlocken. Und Lili Marleen ist nun einmal einprägsamer als Linda Müller; man erschafft sich als Künstlerin eine unverwechselbare Identität.

Also Pin-up-Lili. Das klingt glamourös. Aber die 40er Jahre waren doch Krieg, Hunger, Zerstörung?

Natürlich. Aber nicht nur. Da führten Menschen ebenso normale Leben, mit all ihren Träumen, Wünschen, Sehnsüchten. Mir gefällt die Lebensart, die Mode, die Musik. Und es war eine Zeit, in der sich die Frauen emanzipiert haben.

Mit Emanzipation hat Strippen aber wenig zu tun.

Bitte, Stripperin ist für eine Burlesque- Tänzerin eine Beleidigung. Burlesque ist eine kunstvolle, humoristisch-erotische Darbietung, bei der allein schon das Ausziehen der Handschuhe aufregend sein kann.

Sie ziehen sich aber aus?

Ja. Bis ich nichts mehr anhabe, was ich ausziehen darf. Das hat nichts Pornografisches. Bei einer Burlesque-Show bleibt immer das Höschen an, die Brüste sind mit Pasties bedeckt. Das sind kleine Hütchen mit Quasten, die aufgeklebt werden. Burlesque-Tänzerinnen sind kokett, neckisch und nehmen sich nicht allzu ernst. Man muss keine begnadete Ballerina oder übergelenkige Akrobatin sein, um sich lasziv auf einem Stuhl zu räkeln. Wer denkt, dies sei nur etwas für wahnsinnig dünne Frauen, hat sich geirrt - beim Burlesque ist alles erlaubt!

Sie sind ein kurviger Männertraum?

So könnte man sagen. Heute sind doch die Unterschiede zwischen den Geschlechtern oft sehr verwischt. Frauen sollen alles können, müssen alles können. Beruf, Familie, Haushalt, am besten noch Schrauben in die Wand bohren. Wo bleibt da der Reiz, der ja auch auf Unterschieden beruht?

Sie bieten den größtmöglichen Unterschied?

Ich bin eine Frau im besten Sinne des Wortes. Pin-up funktioniert zudem am besten, wenn man kein Hungerhaken ist. Ich mag meine Kurven, finde meine Figur schön.

Blond gehört zum Männertraum dazu?

Fast jeder zweite deutsche Mann ist laut Statistik der Meinung, blonde Frauen sind besonders sexy und schön. Aber nein, ich wählte diese Haarfarbe, da sie mir persönlich am meisten zusagt, ungeachtet der Stilikonen wie Marilyn Monroe oder Jane Mansfield. Und Männer mögen es, wenn Frauen ihre Beschützerinstinkte wecken.

Muss bei Lili die Maske immer perfekt sein?

Natürlich erschafft man eine Kunstfigur, eine Bühnenidentität. Ich achte gern darauf, dass jedes Detail dabei stimmt.

Das heißt, zu Hause haben Sie keine Jogginghose und Flip-Flops an?

Nein. Möchte ich es bequem haben, trage ich einen rosa Bademantel mit Spitze und passende Schuhe mit Marabou-Federn und Fünf-Zentimeter-Absatz.

Und staubsaugen?

Dabei trage ich gern Schuhe mit 13-Zentimeter-Absatz, um die Haltung zu schulen.

Sie wissen aber, dass laut Statistik, die meisten Menschen bei Haushaltsunfällen sterben.

Ich bin es ja gewohnt. Und wenn ich bügle, balanciere ich dabei hin und wieder ein Buch auf dem Kopf. Das ist eine tolle Übung. Ich mag Nähen, Kochen, Bügeln.

Das ist aber arg klischeehaft.

Ich entspreche gerne dem klassischen Rollenbild einer Frau. Ich werde nie im Leben eine Spülmaschine anschließen und trage aus Prinzip keine Hosen. Frauen sind meiner Meinung nach in Röcken und Kleidern viel anmutiger und schöner.

Waren Sie schon immer Lili?

Ich war schon immer eine Prinzessin, liebte Kleider und Lippenstift. Aber es hat etwas gedauert, bis ich mich dazu bekannt habe. Dieses Bild von mir hatte ich schon im Kopf als ich jung war, doch anfangs fehlte der Mut zur Umsetzung. In meiner Jugend trug ich Schwarz. Das hat sich geändert. Ich mag aber immer noch Sisters of Mercy und Nine Inch Nails und gehe ab und an in die Röhre zu Wave und Gothic-Partys.

Nähen Sie eigentlich Ihre Kleider selbst?

Immer weniger, ich habe früher viel genäht. Ich habe Sammlungen alter Katalogbilder aus den 20ern bis zu den 50er Jahren, daran orientiere ich mich gern. Jetzt arbeite ich oft mit Designern zusammen, die diesen Stil umsetzen. Ich habe für eine Pokernummer etwa ein Korsett mit Spielkartenmuster nähen lassen; andere Bühnenkostüme fertige ich aber immer noch selbst an.

Designer? Das hört sich teuer an. Verdienen Sie so gut?

Es gibt natürlich bessere und schlechtere Zeiten, letztendlich bin ich mit der Berufswahl sehr zufrieden. Auch Marilyn Monroe sagte: "Ich bin nicht interessiert an Geld. Ich möchte einfach wunderbar aussehen."

Auch als Model?

Ich würde mich nicht als Model bezeichnen. Klassische Modelle sind weiße Leinwände für Designer und Fotografen, die sie nach ihren Wünschen umgestalten. Ich bin eine eigene Persönlichkeit. Wenn ich etwa mit einem Fotografen einen Bildband erstelle, tasten wir uns gemeinsam voran.

Wovon träumen Sie? Von einem Auftritt mit Dita von Teese in Las Vegas?

Dita von Teese ist die Nonplusultra-Künstlerin in unserer Branche. Und Las Vegas ...das wäre ein Traum. Aber im Ernst, ich habe Autogrammwünsche von US-Soldaten aus dem Irak und auch aus Japan. Es gibt sogar Anfragen für Auftritte in Übersee. Aber da übersteigen die Reisekosten schnell die Gage. Doch die Sache mit dem Duo ist bereits im Entstehen. Bei der Geburtstagsfeier des Stuttgarter Rockabilly-Clubs Zwölfzehn trat ich erstmals zusammen mit einer weiteren Burlesque-Künstlerin, Marie la Catastrophe, auf. Wir werden zusammen als Les deux étoiles arbeiten.