Weil die Landesstraße 103 saniert werden muss, ist Welschensteinach im Ortenaukreis von der Außenwelt abgeschnitten. Foto: Steve Przybilla

Welschensteinach ist ein friedliches Dorf im Schwarzwald. Eigentlich. Denn eine bizarre Baustellen-Regelung schottet die 1250 Einwohner von der Außenwelt ab. Wer in den nächsten Ort will, muss einen Umweg von 31 Kilometern fahren.

Welschensteinach ist ein friedliches Dorf im Schwarzwald. Eigentlich. Denn eine bizarre Baustellen-Regelung schottet die 1250 Einwohner von der Außenwelt ab. Wer in den nächsten Ort will, muss einen Umweg von 31 Kilometern fahren.

Welschensteinach - Kurz hinterm Ortsschild taucht er auf, der Mann mit dem Funkgerät und dem breiten Kreuz. „Wohin wollen Sie?“, fragt er, den Blick aufs Kennzeichen gerichtet. Wer von auswärts kommt, hat bessere Chancen, denn die Ortsansässigen rebellieren gern. „Sie wollen zu Herrn Vollmer, dem Landwirt? Na, dann fahren Sie mal.“ Ein kurzer Spruch ins Funkgerät, dann tritt der Security-Mann zur Seite. Welschensteinach, das abgeschottete Dorf, darf betreten werden – ausnahmsweise.

Ein paar Hundert Meter später kommt Georg Vollmer aus dem Kuhstall. Trotz des Muhens sind die Bagger zu hören, die in Sichtweite seines Hofs ihre Arbeit verrichten. Sie sind die Ursache des Streits, der sich in Welschensteinach, einem 1250-Einwohner-Dorf mitten im Schwarzwald, seit Wochen hinzieht. Denn die Bauarbeiten auf der Landesstraße 103 schneiden den Ort von der Außenwelt ab. Komplett. Wer hinein möchte oder heraus, muss einen 31 Kilometer langen Umweg fahren. Sich irgendwie durch die Baustelle zu quetschen ist nicht nur wegen der Bagger unmöglich. Das Freiburger Regierungspräsidium (RP) hat einen Wachdienst engagiert, um ganz sicherzugehen. 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.

Georg Vollmer (44) wohnt direkt an der L 103. „Am Anfang war es richtig chaotisch“, sagt der Landwirt, der jeden Tag 700 Liter Milch an einen Lieferanten übergibt. „In der Baustelle waren so viele Lkw, dass gar nichts mehr ging.“ Die L 103 war seit den 60er Jahren nicht mehr saniert worden und von Schlaglöchern zersiebt. Weil die Fahrbahn nicht nur extrem beschädigt, sondern mit 4,5 Meter Breite auch extrem eng ist, wurde die Straße im Laufe der Bauarbeiten komplett gesperrt. „Ich wusste erst mal gar nicht, wie ich meine Milch vom Hof kriegen sollte“, sagt Vollmer.

Die Anwohner fühlen sich eingesperrt, überrumpelt

Für die direkten Anwohner hat sich die Lage inzwischen entspannt. Der Milchlieferant wird durchgelassen, der Postbote auch, Busse und Rettungswagen sowieso. Alle anderen Einwohner, die täglich zur Arbeit, zur Bank oder zum Supermarkt in die Nachbardörfer fahren, müssen draußen bleiben. Und das ist erst der Anfang. Ende November wird die Fahrbahn der L 103 neu asphaltiert. Dann wird der stämmige Sicherheitsmann überhaupt niemanden mehr durchlassen – Bauer Vollmer wird es jetzt schon mulmig. „Mein Tank reicht gerade so für vier Tage. Aber was, wenn die Arbeiten länger dauern? Wohin dann mit der ganzen Milch?“

Seit Wochen hängt der Haussegen in dem Dorf schief. „L 103, eine Schande für Baden“ steht auf einem Schild. Die Anwohner fühlen sich eingesperrt, überrumpelt. „Viele wollen Dampf ablassen“, sagt Bürgermeister Frank Edelmann. „Deswegen kommen die Leute natürlich erst mal zu mir.“ Doch die Gemeinde treffe am wenigsten Schuld, beteuert der CDU-Mann. Ursprünglich habe man die Baustelle einspurig befahren dürfen. „Es war aber zu eng“, sagt Edelmann. „Busse und Lkw kamen sich in die Quere.“

Was dann folgte, überraschte selbst den Bürgermeister: Das Regierungspräsidium sperrte die Straße – „von einem Tag auf den anderen“, wie Edelmann betont. Natürlich sei die Entscheidung richtig. Doch die Art und Weise stört ihn. „Man hätte ein paar Tage Pause machen und die Leute informieren können. So konnte sich überhaupt niemand auf die Vollsperrung vorbereiten.“

Besonders betroffen sind die ortsansässigen Betriebe

Aus Sicht der Behörde klingt das natürlich anders: „Es gibt viele Ausnahmeregelungen, die den Bauablauf beeinträchtigen“, kontert Bauleiter Rainer Dellenbach. „Die Lkw müssen immer zur Seite fahren, und der Baufortschritt wird deshalb gebremst.“ Auch Edelmann räumt ein, dass die Einwohner zumindest indirekt für die rigorose Haltung der Bauleitung verantwortlich sind: „Am Anfang haben sich viele irgendwie durchgekämpft. Manchmal mussten Busse die komplette Baustelle rückwärts fahren, weil es zu eng wurde.“

Für die, die den Ort verlassen müssen, ist das ein schwacher Trost. Besonders betroffen sind die ortsansässigen Betriebe. „Manche Zulieferer fahren uns gar nicht mehr an“, sagt Andreas Imhof, Geschäftsführer eines Schweißerbetriebs. „Zu uns kommen täglich drei bis vier Lkw mit Stahl und Aluminium.“ Doch wer zahlt die Mehrkosten für einen täglichen Umweg von 62 Kilometern? „Zeit ist Geld“, sagt Imhof. „Leider habe ich nicht den Eindruck, dass auf der Baustelle mit viel Elan gearbeitet wird.“

Im Rathaus hat man kurzerhand reagiert. Die Gemeinde ließ einen inoffiziellen Schleichweg herrichten – ein Waldpfad, nicht mehr als eine Schotterpiste. „Für Lkw ist der nicht geeignet, aber Autos kommen gut durch“, sagt Bürgermeister Edelmann. Noch arrangieren sich die Welschensteinacher mit ihrer unfreiwilligen Isolation. Doch mit den Winterwolken zieht ein weiteres Problem über dem Dorf auf: Was passiert, wenn der erste Schnee kommt? „Dann können wir den Waldweg vergessen“, sagt Friseurin Irmgard Spitz. Welschensteinach wird sich dann in ein Dorfgefängnis verwandeln. „Das einzig Gute“, sagt Bürgermeister Edelmann, „ist die Tatsache, dass die Bauarbeiten bald vorbei sind.“ Bis Ende des Jahres wird es noch dauern. Wenn alles klappt.