Gretel Bergmann in ihrer besten Zeit in den 1930er-Jahren. Foto: StN

Die Hochspringerin Gretel Bergmann wurde von den Nazis um ihre Olympiateilnahme in Berlin 1936 und damit womöglich um Gold betrogen. Doch die Aufarbeitung und das Andenken an diese Affäre fällt in Stuttgart schwer.

Die Hochspringerin Gretel Bergmann wurde von den Nazis um ihre Olympiateilnahme in Berlin 1936 und damit womöglich um Gold betrogen. Doch die Aufarbeitung und das Andenken an diese Affäre fällt in Stuttgart schwer.

Stuttgart - Gretel – wer? Das dürften sich viele fragen, wenn sie den Namen Gretel Bergmann hören. Die Wissenslücke ist jedoch keine Schande. Denn die „Affäre Bergmann“ ist lange her. Gretel Bergman lebte in den 1930er Jahren in der Ameisenbergstraße im Osten der Stadt. Damals machte sie etwas durch, das ihr noch heute den Schlaf raubt. Sie wurde im Jahr 1936 von Nazis auf perfide Art und Weise um ihre Olympiateilnahme und damit den fast sicheren Gewinn der Goldmedaille im Hochsprung gebracht.

Gretel Bergmann ist Jüdin.

„Die Zeit war das schlimmste Kapitel meines Lebens. Es vergeht eigentlich kein Tag, an dem ich nicht daran denken muss. Ich lese täglich die Sportseiten der ‚New York Times‘. Dabei werde ich automatisch an meine tragische Vergangenheit erinnert. Oder wenn ich stundenlang vor dem Fernseher sitze, um mir die Baseballspiele anzuschauen, spukt die Geschichte in meinem Kopf herum. Ich glaube, wenn ich eines Tages im Grab liege, werde ich selbst dort noch darüber nachdenken“, sagte sie kürzlich in einem Interview mit der „Welt“ anlässlich ihre 100. Geburtstags am 12. April.

Was war geschehen?

„Die Nazis nahmen mir nicht nur die Möglichkeit, ihnen zu zeigen, dass ich sie schlagen kann. Sie haben mich doch vor allem als Mensch erniedrigt, gedemütigt, geächtet, wie es schlimmer nicht geht. Und das nur, weil ich Jüdin bin“, erinnert sich Gretel Bergmann, die seit 1937 im New Yorker Stadtbezirk Queens unter dem Namen Margaret Bergmann-Lambert lebt.

Die Nationalsozialisten schlossen die gebürtige Laupheimerin schon 1933 aus ihrem damaligen Verein Ulmer FV aus. Bergmann war danach reif für die Insel. Sie zog nach England, studierte dort und wurde auf Anhieb englische Meisterin – sie nahm die 1,55 Meter locker. „Die Nazis zwangen mich aber, wieder zurückzukommen, weil die Amerikaner gefordert hatten, dass deutsche Juden an Olympia teilnehmen müssen, ansonsten würden sie die Spiele boykottieren.“

Was sich nach einem Happy End anhört, endete für Gretel Bergmann im Desaster.

Sie gewann am 28. Juni 1936 in Stuttgart in der Adolf-Hitler-Kampfbahn die Württembergischen Meisterschaften. Dabei stellte sie den deutschen Rekord von 1,60 Meter ein. Eine Leistung, mit der sie 33 Tage später bei Olympia in Berlin wahrscheinlich Gold gewonnen hätte. Doch so weit kam es nie. Reichssportführer Hans von Tschammer und Osten schickte Gretel Bergmann einen Brief und teilte ihr mit: „Sie sind nicht für die Olympischen Spiele nominiert.“

Der angebliche Grund: unbeständige Leistungen. In offiziellen Verlautbarungen hieß es dann: Die Bergmann ist verletzt. „Es war ein hinterhältiges Spiel dieser Verbrecherbande“, sagt Bergmann heute. Sie hatte damals keine Chance, sich gegen das Unrecht zu wehren: „Das war unmöglich. Ich hätte mein Leben riskiert. Ich bin doch Jüdin, in den Augen der Nazis war ich doch kein wirklicher Mensch.“

Sie kommt erst 1999 nochmal zurück

Deutschen Boden betritt sie nach ihrer Flucht in die USA erst 1999 wieder. In Frankfurt wird sie mit dem Georg-von-Opel-Preis in der Kategorie „Unvergessene Meister“ geehrt. Nur in Stuttgart gerät sie in Vergessenheit – bis zum Jahr 2009. Da erinnert sich der Bezirksbeirat Stuttgart-Ost an die „Affäre Gretel Bergmann“.

Allen im Rat war bewusst, dass man das Unrecht an der Sportlerin nicht mehr gutmachen kann. Aber ihre Geschichte soll für spätere Generationen lebendig bleiben – als Mahnung und Erinnerung an die Verbrechen der Nazis. Der Rat beschließt am 10. Oktober 2009 einstimmig, dass die neue Halle des Schulzentrums Ostheim Gretel-Bergmann-Halle heißen soll. Im Sitzungsprotokoll heißt es: „Die Geschichte von Gretel Bergmann zeigt beispielhaft, wie die Schreckensherrschaft des Nationalsozialismus funktionierte. Gretel Bergmann selbst ist aber auch ein Beispiel dafür, dass ein Vergeben möglich ist. Ein Vergessen dagegen darf es nie geben.“

Schulleiter sperren sich gegen Namensänderung

Doch zur Namenstaufe der Halle kam es nie. Ein Versäumnis, wie Ratsmitglied Jörg Trüdinger (SPD) meint: „Ich finde das sehr schade und bin der Meinung, dass der 100. Geburtstag von Gretel Bergmann Anlass sein könnte, diesen Beschluss endlich umzusetzen und damit ein wichtiges Zeichen zu setzen.“

Bei der Schulleitung der Grund- sowie Werkrealschule Ostheim stößt er dabei auf taube Ohren. Karin Korn, Leiterin des städtischen Schulverwaltungsamts, bestätigt: „Die Schulleiter wollen keine Namensänderung. Sie befürchten, dass man die Halle mit dem neuen Namen nicht mehr mit den Ostheimer Schulen identifizieren könne.“

Die Schulen seien in dieser Entscheidung im Prinzip autonom. Daher will sich Karin Korn nicht in diesen Fall einmischen. Sie rät dem Bezirksbeirat Ost und Jörg Trüdinger daher, noch einmal den Dialog mit den Schulleitern zu suchen: „Vielleicht ändert sich die Haltung dort, wenn man die Hintergründe besser kennt.“

Jörg Trüdinger nimmt sich die Sache zu Herzen. „Sogar in Berlin haben sie eine Halle und eine Straße nach ihr benannt, in ihrer Geburtsstadt Laupheim ein Stadion“, sagt er, „da muss das hier doch auch möglich sein. Schließlich hat sie nur 500 Meter entfernt von der Schule in Ostheim gewohnt.“

Würde es so weit kommen, dürfte im Osten garantiert keiner mehr fragen: Gretel – wer?