Viele junge Wähler kamen zum Kandidaten-Slam in die "Szene 64". Die Schramberger Band "Oyster Supply" lockerte musikalisch auf. Foto: Schwarzwälder-Bote

Landtagsbewerber stellen sich und ihr Wahlprogramm in "Szene 64" vor. Schramberger Band "Oyster Supply" lockert Atmosphäre auf.

Schramberg - Mehr als 250 an Politik interessierte Wähler waren zur im Kreisgebiet einmaligen Veranstaltung am Samstag gekommen. Dem Augenschein nach waren zwei Drittel, wenn nicht sogar drei Viertel des Publikums jüngere Leute.

Organisiert hatte den Abend im Erdgeschoß der Szene 64 eine Gruppe junger Bürger aus Schramberg. "Diese Jugendlichen setzen mit ihrem Engagement ein deutliches Zeichen gegen die Politikverdrossenheit", sagte Karin Eichenlaub vom Verein Szene 64 in ihrer Begrüßung. Und sie erklärte auch die Namensgebung: Slam heiße (zu)knallen, beim Kandidaten-Slam heute könne "slam" bedeuten, "mit Worten um sich knallen". Das taten dann auch die acht Kandidaten jeweils zehn Minuten lang. Die Reihenfolge hatte das Los bestimmt.

Felicitas Diethelm und Matthias Krause moderierten professionell. Und die sechs Musiker der Schramberger Band "Oyster Supply" lockerten die Abfolge der Kandidaten mit ihren Gute-Laune-Stücken musikalisch auf.

Das Los der ersten traf Carmen Spiegelhalter-Schäfer von den Freien Wählern (fehlt auf dem Aufmacherfoto). In Schramberg geboren und zur Schule gegangen war sie 2007 in die Talstadt zurückgezogen, nach Stationen in Ottobrunn oder Bonn als juristische Sachbearbeiterin von Unternehmen. Kandidatin für die Freien Wähler ist sie, weil es dort keinen Fraktionszwang gibt. Wichtige Themen sind für sie die Gesundheitsversorgung (Ärztemangel in der Region), Flüchtlinge (Wie integrieren wir die?) und Schulpolitik: "Nur entspanntes Lernen ist ein Lernen für die Zukunft". Als Mutter einer neunjährigen Tochter ist sie für G9. "Ich möchte lieber direkt mit Ihnen sprechen als Geschichten erzählen", endete sie schon nach sechs Minuten.

Bernd Richter von der ÖDP schöpfte seine Zeit voll aus, nur der schrille Ton der Trillerpfeife konnte ihn stoppen. Der pensionierte Lehrer (vier Kinder und großer Hund) hatte einen Flip-Chart mit gebracht und dann ging es Blatt für Blatt vom "Fairen Handel" über die "Faire Gesellschaft" bis zur "Fairen Landwirtschaft". Und über allem stand sein Versprechen: "Wir lassen uns nicht kaufen".

Nach Musikstücken der "Oyster Supply" kam Gerhard Aden (Arzt, verheiratet, drei Kinder, zwei Enkel) von der FDP an die Reihe. Liberalität ist für ihn eine Lebensauffassung, die sich in Lebensweisheiten wie zum Beispiel "Jeder ist seines eigenen Glückes Schmied" ausdrücke. Mit einem Schuss Selbstironie, oft in Versen, hielt er die Fahne seiner Partei hoch: Gegen staatliche Eingriffe und Überregulierung, dezentral statt zentral, im Zweifel für das Individuum, nicht für das Kollektiv. Aber auch: "Wenn einer vor der Tür oder an der Grenze steht und in Not ist, muss man ihm helfen".

Sonja Rajsp von den Grünen (Lebenspartner, drei Kinder) trägt ihre Botschaft musikalisch vor. Sie singt, vielleicht ein bisschen im Stil von Bertolt Brecht, begleitet von einem Gitarristen. Vier aus dem Publikum greift sie sich heraus, darunter OB Thomas Herzog, die vor der Bühne vier Spruchplakate passend zu den Strophen hochhalten müssen. Rajsp wartet mit dem Wahlprogramm der Landes-Grünen auf: Naturschutz, Energiewende von unten, Synergie von Ökonomie und Ökologie sind ihre Themen. "Nein Danke zu einer Welt voller Krieg, ja bitte zu Gleichberechtigung und Empathie", singt sie immer im Refrain. Viel Beifall ist der Lohn für den Auftritt.

Nach zwei Stücken der Band folgt Torsten Stumpf von der SPD. Heute ist der Abend der Dichter. Auch er reimt. SPD-Erfolgsbilanz als Regierungspartei im Land und Ausblick auf die nächsten fünf Jahre. Abschaffung der Studiengebühren, weg mit der hohen Meistergebühr in Zukunft, Ausbau der Gemeinschaftsschulen (vor fünf Jahren null, jetzt 300), Ganztagesbetreuungsgarantie und keine Kindergartengebühren in Zukunft, Spitzenplatz bei der Kinderbetreuung heute, Mindestlohn (muss höher werden), Innovationen (Industrie 4.0!) und elektrische Mobilität fördern. Und ein Bekenntnis zur Grundschule vor Ort.

Nach so viel Wortkunst ist Prosa angesagt. CDU-Landtagsmitglied und -kandidat Stefan Teufel (verheiratet, drei Kinder) hat Erfahrung mit öffentlichen Auftritten. Er geht von der Bühne herunter und spricht mit dem Publikum auf Augenhöhe von seinen Zielen und den Plänen seiner Partei: Zum Beispiel Talstadtumfahrung und Wirtschaftsgymnasium für Schramberg, Grundschulen im Ort lassen, Bildungshäuser ausbauen (Bildung für jedes Kind), Landeserziehungsgeld bei Wahlfreiheit der Erziehungsform (viel Beifall) und die Eigenheimzulage für junge Familien, bessere medizinische Versorgung und Pflege im ländlichen Raum und 1500 neue Polizisten.

Auf den CDU-Mann folgt das Kontrastprogramm mit Stefan Dreher, Kandidat der Partei Die Linke. "Ich bewundere, was sie hier auf die Beine gestellt haben", sammelt er gleich zu Beginn Pluspunkte. Dann hält er keine vorbereitete Rede, sondern wendet sich ans Publikum und bittet um fünf Stichworte: Freibier für alle, Weltfrieden, Sicherheit, Wohnungen, Flüchtlinge, Gesundheit schlägt das Publikum vor. Aus dem Stegreif formuliert er daraus seine Rede: Mit mehr Steuerehrlichkeit die Verschuldung runter fahren und das Geld in Schulen (Gemeinschaftsschule bringt Chancengleichheit) und Bildung stecken, rechtzeitig bezahlbare Wohnungen in Rottweil bauen, bevor der Speckgürtel Stuttgarts die Region erreiche, Krankenhäuser nicht privatisieren (Die Feuerwehr müsse sich auch nicht rentieren) und auch nicht an der Polizei sparen. "Auch Sicherheit für alle ist ein Aspekt der sozialen Gerechtigkeit", schloss er unter Beifall.

Band lockert Vorstellungsrunde musikalisch auf

Nach ihm ging als letzter Franz Maurer auf die Bühne, der als IT-Projektmanager bei einem Schramberger Industriebetrieb arbeitet. Er kandidiert für die Allianz für Fortschritt und Aufbruch (ALFA), die sich im Sommer 2015 gegründet hat und mit fünf EU-Abgeordneten, darunter Hans-Olaf Henkel und Bernd Lucke, zusammen arbeitet. Der frei, sich selbst bestimmende Mensch stehe im Mittelpunkt. Statt Brüsseler Zentralismus plädiert er für Bürgerentscheide wie in der Schweiz. Vor Ort will er zum Beispiel das zweite Gleis für die Gäubahn Stuttgart – Singen. Seine Partei sieht er zu Unrecht in die rechte Ecke gestellt. "Verglichen mit dem Euro-Thema ist das Flüchtlings-Thema Peanuts", warnte er in seiner vorbereiteten Rede. Auch er erhält viel Beifall.

Nach zehn Minuten Pause, die zum Essen, Trinken und Reden genutzt wurde, kamen alle acht Kandidaten zusammen auf der Bühne. Das Publikum konnte Fragen direkt an sie stellen. Diese drehten sich um TTIP (Aden: Wertschöpfung wird steigen. Rajsp: "Nein, für 0,5 Prozent Wachstum in zehn Jahren darf man nicht so viel aufs Spiel setzen"), Polizei (Teufel: "Im ländlichen Raum mehr Bedarf"), Gemeinschaftschule (Stumpf: "Bringt mehr Chancengleichheit für alle"),

Start-up-Gründung für junge Leute (Teufel: "ELR-Mittel stehen bereit"), Lobbyisteneinfluss (Maurer: "Abgeordnete brauchen auch Input der Praktiker", Richter: "Übergroßen Einfluss verhindern", Rajsp: "Viele haben keine Lobby und wenige haben eine große Lobby"), Koalitionsaussagen (Teufel: "Offen für SPD, Grüne, FDP, wollen stabile Koalition", Rajsp: "Es geht um Inhalte, kann ich mir auch mit der FDP vorstellen", Stumpf: "Mit den Grünen", Dreher: "Ökologische soziale Politik wird an uns nicht scheitern") und Lügenpresse (Teufel: "Unterm Strich gibt es Meinungsvielfalt", Aden: "Keine Lügen-, eher Tendenzpresse", Richter: "Über uns Kleine wird am wenigsten berichtet, also eher Tendenzpresse").

Punkt 23 Uhr schloss Moderator Krause die Fragerunde und dankte nicht nur den acht Kandidaten, sondern allen, die mit geholfen haben, insbesondere dem Verein Szene 64 und der Band. "Wir sind fast überwältigt, dass der Kandidaten-Slam so großen Anklang gefunden hat", schloss er den offiziellen Teil.