Das neue Therapiekonzept für Alleinerziehende in der Celenus-Klinik in Schömberg wird rege genutzt. Darüber freuen sich (von links) der Chefarzt der Celenus-Klinik, Martin Gerken, die Therapeutinnen Anni Kirchner und Astrid Kreutz, Matthias Franz, Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, sowie Klinikdirektorin Martina Zimmerlin. Foto: Kunert Foto: Schwarzwälder-Bote

Medizin: Erfolgreiches Angebot für Alleinerziehende / Celenus-Klinik muss Kapazitäten verdreifachen

Wegen des durchschlagenden Therapieerfolgs einer neuen Behandlungsmethode verdreifacht die Celenus-Klinik Schömberg ihre Kapazitäten in diesem Bereich. Es ist eine Millionen-Investition geplant

Schömberg. Im vergangenem Sommer startete in der Einrichtung das "wir2"-Therapieangebot für Alleinerziehende. Kein Jahr später ist der Erfolg des einzigartigen Behandlungskonzeptes so groß, dass die Kapazitäten verdreifacht werden müssen. Eine Millionen-Investition steht dafür an.

"Die Celenus-Klinik Schömberg ist für uns ein Best-practice-Modellprojekt mit Leuchtturm-Wirkung für ganz Deutschland." Das sagt Matthias Franz, Professor für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf, der mit seinem Team das "wir2"-Therapie-Konzept entwickelt und durch verschiedene Studien dessen durchschlagende Wirkungsweise bewiesen hat.

Was "wir2" ist: "Ein Bindungstraining für Alleinerziehende, vor allem für alleinerziehende Mütter", erläutert die systemische Therapeutin Astrid Kreutz, die zusammen mit der Ärztin Anni Kirchner dieses Therapie-Angebot an der Celenus-Klinik leitet.

Extreme Belastung

1,6 Millionen Alleinerziehende gibt es in Deutschland, 1,4 Millionen davon Mütter. Jeder Fall davon ein "emotionaler Ausnahmezustand", so Kreutz. Eine extreme Belastung für die Betroffenen – Eltern und Kinder. Wobei "im Spannungsfeld zwischen Beruf, Kindererziehung und wirtschaftlichen Problemen" nahezu zwangsläufig "Gesundheitsrisiken wie Stress, Schlaflosigkeit oder gar Depressionen" entstehen.

"Scheidungskinder haben ein dreifach höheres Risiko an Depressionen zu erkranken", rechnet Matthias Franz dazu vor: Die Kinder seien dabei quasi ein Spiegel ihrer Eltern. Gerade die extrem enge emotionale Verschränkung zwischen Mutter und Kind spiele dabei eine besondere Rolle. Mit regelmäßig verheerenden Folgen für beide, wenn diese Beziehung in eine emotionale Ausnahmesituation gerate, wie eben nach einer Scheidung, und der Herausforderung des nun alleinerziehenden Elternteils, mit der neuen familiären Konstellation zurechtzukommen. "Nur 20 Prozent der Scheidungen gelingen." Alle anderen Fälle eskalieren in Dauerkonflikten. 160 000 Kinder in Deutschland erleben solch eine Trennung der Eltern jedes Jahr. Franz: "Ein wirklich gesellschaftsweites, gewaltiges Problem."

Seit mehr als 20 Jahren forscht der Psychotherapeut Franz an diesem Phänomen, nachdem ihm nach einer breit angelegten Studie mit Betroffenen, die im Zweiten Weltkrieg ihren Vater verloren hatten, die verheerende gesundheitliche Langzeitwirkung für Kinder, die regelmäßig nur mit einem Elternteil aufgewachsen waren, auffiel. "Auch als 50-, 60-Jährige hatten diese Kinder noch ein extrem erhöhtes Risiko, zum Beispiel an Depressionen zu erkranken." Was kein Wunder sei: "Aus evolutionsbiologischer Sicht sind wir Herdentiere." In den Anfängen der Menschheit seien Mütter, die mit ihrem Nachwuchs alleine durchkommen mussten, mehr oder weniger dem Tode geweiht gewesen. "Weil die emotionalen Affekte zwischen Mutter und Kind in diesem Ausnahmezustand nicht mehr funktionieren."

Kind will Aufmerksamkeit

Franz demonstriert das an einem drastischen Beispiel: Er zeigt ein Video aus einer wissenschaftlichen Untersuchung, bei dem eine Mutter erst mit der vollen emotionalen Bandbreite in ihrer Mimik mit ihrem Kleinkind kommuniziert – das Kind johlt, freut sich, interagiert. Dann die selbe Situation mit einer "versteinerten", "entemotionalisierten" Mimik – wie sie in Depressionen sich auf die Gesichter der Mütter (und Väter) als Folge der emotionalen Belastung legt: das Kind reagiert unmittelbar, versucht Aufmerksamkeit zu erzeugen, schließlich gerät es in Panik. Wird diese durch Depression verursachte Entemotionalisierung der Dauerzustand für Alleinerziehende in der Beziehung zu ihren Kindern, werden auch die Kinder krank. Im Moment ist diese Entemotionalisierung gesellschaftsweit für Alleinerziehende der Normalzustand, wie zum Beispiel die dramatisch wachsende Zahl der Kinder zeigt, die in Armut aufwachsen. Eine normalerweise lange Therapie-Karriere mit mittlerweile extrem umstrittenen Psychopharmaka ist die Folge.

"Wir haben mit dem ›wir2‹-Therapiekonzept demgegenüber einen dreifach erhöhten Behandlungserfolg – mit erwiesener Langzeitwirkung", so Franz. Wobei bundesweit bisher mit mehr als 400 ambulanten Therapiegruppen zusammengearbeitet wird, ein "ganzer ›wir2‹-Kosmos" sei das. Die Celenus-Klinik Schömberg habe das erste stationäre Angebot überhaupt geschaffen. "Mit durchschlagenden Erfolg", wie Therapeutin Astrid Kreutz berichtet: "Wir haben von den bisherigen Patienten extrem positive Rückmeldungen." Der Kick vor allem für die alleinerziehenden Mütter dabei: Durch den besonderen Therapie-Ansatz von "wir2", etwa mit Rückführungen in die eigenen Vater-Tochter-Beziehung, gelinge eine Re-Emotionalisierung der Betroffenen. "Die Alleinerziehenden entdecken und leben wieder ihre eigenen Gefühle", werden geradezu aus ihrer emotionalen Starre befreit – dem eigentlichen Ursprung jeder Depression. Wodurch sich auch die emotionale Beziehung zu den eigenen Kindern stabilisiere und normalisiere.

Derzeit steht das Haus Rickmann gleich an der Zufahrt des zwölf Hektar großen Klinik-Campus der Schömberger Celenus-Klinik noch leer. Bis zum Jahresende soll es mit einer siebenstelligen Investition in ein neues, dann fünftes Therapie-Haus der Celenus-Klinik speziell für die "wir2"-Patienten und ihre Kinder umgewandelt werden. Bisher werden im "Haus Daheim" jeweils sieben bis zehn "wir2"-Patienten gemeinsam als Gruppe in einer sechswöchigen Therapie untergebracht und betreut. Im Haus Rickmann sollen die Kapazitäten auf zwei Gruppen mit insgesamt bis zu 28 Patienten nahezu verdreifacht werden. Insgesamt bietet die Celenus-Klinik für ihre unterschiedlichen Therapie-Angebote in der Spitze bis zu 229 Betten in Einzelzimmern an, von denen aktuell aber nur 160 bis 170 belegt werden. Die Celenus-Klinik verfügt über eine mehr als 40-jährige Erfahrung in der psychosomatischen Rehabilitation und ist auf die Betreuung von Patienten spezialisiert, die unter seelischen Störungen wie Angststörungen, Depressionen oder Belastungsstörungen leiden. Weitere Schwerpunkte bilden die Behandlungen von Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen, mit Tinnitus und die Rehabilitation von Patienten mit besonderer beruflicher Problemlage.