An der Hochbrücktorstraße befinden sich links und rechts Angebotsstreifen. Doch für welche Verkehrsteilnehmer sind sie gedacht? Foto: Smaoui/Schnekenburger

Radfahren macht in der Innenstadt keinen Spaß. Auf Spurensuche und der Suche nach Sicherheit im Straßenverkehr.

Rottweil - Morgens 9.15 Uhr in der Hochbrücktorstraße. Müde Augen starren auf die Ampel – sie ist rot. Die Autoschlange: lang. Die Ampel springt um auf Grün. Während ich losfahre, bin ich in Gedanken schon in der Redaktion. Ein fataler Fehler, denn – zack, geht rechts neben mir eine Autotür auf. Ich ziehe das Lenkrad rüber, links neben meinem Ohr hupt einer. Das war knapp. Der Adrenalinpegel steigt. Habe ich erwähnt, dass ich auf dem Fahrrad sitze?

Ich gehöre scheinbar zu der Minderheit der Bürger Rottweils, die sich morgens auf den Drahtesel schwingt und in die Innenstadt wagt. Auf die Umwelt zu achten, ist dabei die eine Seite, die innere Ausgeglichenheit zu fördern, die andere. Doch die kann ich mir an den meisten Tagen abschminken. Denn Fahrradfahren in Rottweil? Ganz klar: Das macht wenig Spaß.

11 Uhr. Der Berufsverkehr ist vorbei und so lässt es sich ein kleines bisschen entspannter durch die Straßen fahren. Ich treffe mich mit einem Bürger der Stadt. Seinen Namen möchte er nicht nennen. Der 78-jährige Mann erwartet mich an der Heimburger-Tankstelle in der Schramberger Straße. Sein Stadtrad hat er auf dem Bürgersteig abgestellt. Den Helm nimmt er gar nicht erst ab. "Jaaa", beginnt er, zieht das "A" ganz lang und lacht bereits vergnügt. "Und hier hört der Fahrradweg einfach auf." Mit seinem Zeigefinger deutet er auf den ungefähr zehn Meter langen Fahrradstreifen. Verdutzt schauen wir uns an. Seine Frage ist berechtigt. Wieso gibt es einen zehn Meter langen Streifen, der plötzlich aufhört? Und wer ist dafür verantwortlich?

Radfahren macht in der Innenstadt keinen Spaß

Der Senior weiß es nicht. "Ich habe schon im Zuge des Umbaus der Stadtmitte bei einer Bürgerversammlung angeregt, zum Beispiel mehr gestrichelte Radstreifen auf Straßen ohne Radweg aufzubringen", sagt er. "Leider bisher mit wenig Erfolg." Beim Radfahren störten ihn insbesondere die harten Kanten, die sich an Ab- und Auffahrten von Straßenkreuzungen direkt an den Radwegen befänden. "Diese müssten abgeflacht werden, was die Freude am Radfahren wesentlich erhöhen würde", meint er.

Doch schauen wir uns doch noch die anderen kuriosen Ideen an, von denen es in der Stadt noch mehr gibt. Der 78-Jährige schwingt sich auf sein Rad. "Kommen Sie", sagt er und winkt mich mit der Hand herbei. "Ich zeige Ihnen mal ein paar Stellen."

Den nächsten Stopp machen wir ein paar Meter weiter am neuen Kreisverkehr. Der gelernte Elektriker deutet auf die Hausener Straße. "Wenn man von oben kommt, dann gibt es einen Radweg", sagt er und zeigt auf das Fahrradsymbol auf der Straße. "Aber was machen die Radfahrer auf der anderen Seite?"

Ich halte einen Moment inne. Persönlich würde ich auf der Straße fahren, sage ich dem Senior. "Nein, nein", schüttelt er den Kopf. "Das ist viel zu gefährlich." Besonders für Ältere ist das nicht die beste Alternative zu einem Radweg, dazu mit dieser Steigung. Wie gerufen, fährt eine Frau mit ihrem Fahrrad an uns vorbei. Sie macht es wie meine Begleitung – sie nimmt die falsche Straßenseite.

Wir fahren weiter Richtung Hochbrücktorstraße. "Das ist der gefährlichste Ort für Radfahrer", mahnt der Senior. "Hier fahre ich überhaupt nicht gerne." Es ist klar, was er meint: Auf der Brücke selbst bricht der Belag schon auf, es ist eng und Pause vom Verkehr gibt es nur nachts. Am linken und rechten Rand der Straße befinden sich bis zur Brücke zwei Angebotsstreifen, auf denen ich immer mit meinem Fahrrad fahre. "Aber niemand weiß doch, wie man die Streifen nutzen soll", sagt der Senior.

Wir tauschen uns aus und haben ähnliches erlebt: parkende Lastwagen, Mütter, die ihre Kinderwagen auf dem Streifen schieben, Fahrzeugtüren, die ruckartig aufgerissen werden, Autos, die plötzlich rückwärts fahren. Der Angebotsstreifen ist für alle da. Ob das eine Lösung ist? "Sicherlich nicht", sagt meine Begleitung. Deswegen nutzt er ihn auch nicht mehr und fährt stattdessen auf dem Bürgersteig.

Ein weiterer Radfahrer aus Rottweil packt seine Anekdoten aus: Matthias Pahl, 37 Jahre, fast täglich mit dem Rad in der Innenstadt unterwegs. "Ich kann viel berichten", sagt der gebürtige Bremer, der nach eigenen Angaben Autofahrern ständig ausweichen muss. "Es gibt in Rottweil einfach keinen Platz für Radfahrer auf der Straße", sagt er entrüstet. Er lasse sich dadurch jedoch nicht einschüchtern und fährt durch alle Lücken, immer dort "wo Platz ist".

Sein "Lieblingsplatz" sei die Kurve in der Bruderschaftsgasse, gegenüber der Predigerkirche. "Wenn ich von oben komme und links zur Kirche abbiegen will", erzählt der 37-Jährige, "dann fangen die Autos hinter mir schon an zu drängeln und zu hupen." Als Radfahrer bleibe man immer der schwächste Verkehrsteilnehmer. Die Folge: Viele Autofahrer weichen nicht aus, so dass Radfahren in Rottweil – besonders in der Innenstadt – keinen Spaß macht.

Viele andere Städte, wie Freiburg, Münster und Bremen, seien da vorbildlicher, sagt Matthias Pahl. Da sei es viel schöner, Rad zu fahren. Ich selbst sehe das genauso. Auch der 78-Jährige stimmt dem zu. "Ich fahre leidenschaftlich gerne Fahrrad", sagt er. "In Rottweil ist das allerdings nicht so." Trotz allem wolle er sich die Leidenschaft dafür nicht nehmen lassen. So schwingt er sich auf sein Rad, verschließt seinen Helm und fährt wieder los, ins mittägliche Gewusel durch die Innenstadt Rottweils.