Laut, rotzig, vulgär – mit dieser Masche erhofft sich Kim alias Melanie einen reißenden Absatz ihrer Zeitschrift. Foto: Zimmertheater

Vorführung: Zimmertheater im DHG. Isabelle Groß de García spielt Klassenzimmerproduktion.

Rottweil - Arm sein in Deutschland – was bedeutet das eigentlich genau? Fragen wie diese macht das Zimmertheater in seiner Klassenzimmerproduktion "Arm aber sexy" zum Thema.

Kim "Hot" betritt das Klassenzimmer im knappen Minirock und mit blonder Haarverlängerung. Sie macht ein paar obszöne Bemerkungen, verlässt den Raum kurz und knallt die Türe zu. Erwartungsvolles Getuschel geht durch die Reihen, die Schülerinnen der 9a des Droste-Hülshoff-Gymnasiums (DHG) fragen sich gespannt, was es mit diesem Solotheaterstück des Zimmertheaters wohl auf sich hat.

Kim, die eigentlich Melanie heißt, ist 16 und hat die Schule geschmissen, ganz im Sinne eines Schlüsselsatzes der Produktion fürs Klassenzimmer – "Aber wozu die Welt verstehen, wenn man sie sich später sowieso nicht leisten kann?"

Leben zwischen Armut und häuslicher Gewalt

Stattdes sen will sie jetzt im Zeitungswesen Fuß fassen, eine selbst gestaltete Zeitschrift hat sie schon und diese versucht sie nun in der reinen Mädchenklasse für 60 Cent pro Stück an die Frau zu bringen. "Arm aber sexy" nennt sich das Blatt. "Dagegen ist die Bravo das reinste Poesiealbum", verspricht sie und liest den Mädchen aus den provokant unanständigen Texten vor, "Tabus sind tabu". Denn wenn Kim dank der Überpräsenz von Sexualität in den Medien eines verstanden hat, dann dass Sex sich – im Gegensatz zu Armut – verkauft. Und Geld ist schließlich das einzige, um das es ihr hier geht, davon hat sie nämlich nur wenig. So wenig, dass es an manchen Tagen nicht einmal reicht, um satt zu werden.

Isabelle Groß de García, die neben der Schauspielerei auch ausgebildete Theaterpädagogin ist, hat dieses Solostück von Jörg Menke-Peitzmeyer schon vor rund 60 Schulklassen gespielt. Ihre Figur, die sie jugendnah und dennoch glaubhaft unaufgesetzt verkörpert, schildert der Klasse Melanies Lebensgeschichte. Eine Geschichte geprägt von Geldnot und häuslicher Gewalt. Dabei greift das Stück zwar Vorurteile und Klischees auf, bricht aber auch gleichzeitig mit ihnen. Die Sprache ist vulgär und zynisch, nicht nur eine der vielen, bewusst platzierten Anzüglichkeiten und Anspielungen löst bei den Zuschauerinnen einen kollektiven, ungläubigen Japser aus. Gleichwohl ist das Skript außerordentlich humorvoll – selbst Ingrid Nübel, Klassenlehrerin der 9a, und ihre Kollegin Anne Seidel-Dongus, Initiatorin der Kooperation zwischen DHG und Zimmertheater, können sich vor Lachen kaum halten.

Zwischen Kims Versuchen zu schockieren, schleicht sich aber auch immer wieder ihre zerbrechliche Seite ein. Die ernsten Szenen, inmitten der anstößigen Sprüche umso kontrastreicher, fesseln mit ihrer bedrückenden Realitätsnähe. Denn die Probleme der Protagonistin sind keine wirklichkeitsfernen Konstrukte, sondern zeitgemäß und mitten unter uns.

Das Klassenzimmertheater "Arm aber sexy", das für Schulen noch das ganze restliche Schuljahr buchbar ist, soll also in nur einer knappen Stunde Spielzeit recht gehaltvolle Inhalte vermitteln. Um die Thematik weiter zu vertiefen zu können, haben die Schüler deswegen anschließend eine weitere Schulstunde Zeit, um in einer Nachbesprechung mit Groß de García und Bettina Schültke, Intendantin des Zimmertheaters, nachzufragen und zu diskutieren.

Für Groß de García, die von zahlreichen erfolgreichen Vorführungen berichten kann, ist der Auftritt vor einer Schulklasse "eine schöne Chance für das Theater." Beim Spielen bindet sie die Schüler mit ein, geht mit einer "Direktheit, der man sich in dieser Umgebung nicht einfach entziehen kann", auf sie zu. Und vielleicht entscheide sich der ein oder andere nach der Aufführung dazu, dem Theater mal wieder einen Besuch abzustatten.