Verdun: 16 Schüler aus Ergenzingen bei der monströsen Gedenkfeier / Auge in Auge mit Angela Merkel und Francois Hollande

Von Martin Dold

Dumpfe, grollende Trommeln. Der leibhaftige Tod schreitet als übergroße, schwarze Figur über das weitläufige Schlachtfeld von Verdun, zieht die Pistole – und Dutzende von Jugendliche sinken wie im Todeskampf dahin.

Rottenburg-Ergenzingen. Mittendrin befinden sich 16 Schüler der Gemeinschaftsschule im Gäu, die diese Momente wohl nie mehr vergessen werden. Sie waren Teil des monströsen Gedenkens an die Schlacht von Verdun, bei der im Ersten Weltkrieg 300 000 Gefallene zu beklagen waren.

Und doch: "Ich würde sofort wieder dahin", sagt Melisa Demir. Die Schüler aus Ergenzingen lebten mehrere Tage in einem Camp mit einer Vielzahl von französischen und deutschen Gleichaltrigen. Exakt 4000 Jugendliche – je zur Hälfte aus Frankreich und Deutschland – beteiligten sich an der Abschlussfeier inmitten von Soldatengräbern. Dabei waren auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Francois Hollande. Die beiden sahen die Gäste aus dem Gäu aber aus größerer Entfernung.

Schulleiterin Isabelle Vogt zögerte im Vorfeld nicht lange, als die Einladung zur Teilnahme an der Gedenkfeier auf dem Tisch lag. 16 Schüler aus den Klassen 7 und 8 meldeten sich schließlich an. "Es war von Anfang an ein toller Zusammenhalt in der Gruppe, obwohl die Schüler aus vier verschiedenen Klassen kommen", erzählt die Schulleiterin. Die Siebtklässler lernen in der Gemeinschaftsschule seit zwei Jahren Französisch, die Achtklässler verständigten sich auf Englisch mit den französischen Altersgenossen.

Einige Absagen wegen Angst vor Terror

Allerdings meldeten sich auch einige Schüler wieder ab. Der Grund: Angst vor Terroranschlägen. Mit dieser Angst waren sie nicht alleine, denn von französischer Seite wurden extreme Sicherheitsmaßnahmen getroffen. So wurde das Camp, in dem die Schüler wohnten, hermetisch abgeriegelt. Neben Schranken an den Eingängen waren in einem angrenzenden See sogar Kampftaucher stationiert. Wenn es in Bussen aus dem Camp heraus ging, fuhr man in Kolonne – zwischen den Bussen befand sich jeweils ein Polizeimotorrad.

Im Camp selbst waren ständig 100 Polizisten im Einsatz. Eines morgens wurden die Schüler gar von Spürhunden geweckt, die dort nach Sprengstoff suchten – aber natürlich nicht fündig wurden. Dafür fanden die Schüler etwas anderes in den Militärbetten: Ameisen.

Die Schüler ließen sich davon aber ebenso wenig beirren wie von den Sicherheitsvorkehrungen. Im Gegenteil: Durch die vielen Wartezeiten kam man sich schnell näher. "Anfangs waren wir etwas skeptisch gegenüber den Franzosen", erzählt Mailin Paetz. "Doch schon bald merkten wir: Die sind ja auch nicht anders als wir". Melisa Demir ergänzt: "Wir verstanden uns total gut und haben nun Freunde fürs Leben gefunden".

Vor der eigentlichen Gedenkfeier gab es viele gemeinsame Workshops. Mit einer Partnerklasse aus Besancon saßen die Ergenzinger an einem Tisch oder besuchten Museen. Die Chemie stimmte und möglicherweise gibt es gar ein Wiedersehen bei einem Schüleraustausch. "Bis dahin wird der Kontakt per Handy gehalten", sagte Pietro Scalera.

Imposant war auch eine Nachstellung der Schlacht mit Lichtprojektionen und Laiendarstellern. Das harte Leben der Soldaten des Ersten Weltkriegs in den Schützengräben konnte nachempfunden werden. Eine Nachstellung der Schlacht kam sehr realistisch rüber. So wurden Bombeneinschläge, abstürzende Flugzeuge und ein brennendes Haus simuliert.

Für die Aufführung an der großen zentralen Gedenkfeier in Douaumont wurde an den Tagen zuvor mit Regisseur Volker Schlöndorff mehrmals geprobt. Immer wieder mussten die Schüler dabei mit dem Schlamm kämpfen und durch den Morast waten, erinnert sich Lenny Schweikhart – wie eben auch die Soldaten 100 Jahre zuvor.

Bei der Aufführung selbst wurden die Regencapes weggeworfen, erzählt Tobias Huber. Die 4000 Jugendlichen rannten dabei von allen Seiten des Soldatenfriedhofs aufeinander zu. Die Schüler warfen sich vor der Politprominenz in den Matsch, als die schaurige Todesfigur durch die Reihen schritt und den Jugendlichen symbolisch das Leben aushauchte.

Das alles war in der Choreografie von Volker Schlöndorff vorgesehen. Nicht jedoch das, was dann folgte. Als sich Merkel und Hollande an den Händen hielten, taten es ihnen die Jugendlichen gleich – egal ob Deutscher oder Franzose.

Vor 100 Jahren habe man sich bekämpft, nun sei man beste Freunde, freuten sich Eric Piechulek und Jan Ukrainsky. Beeindruckend und berührend waren die Soldatenfriedhöfe. Die Gräber der deutschen Soldaten waren schwarz, die der Franzosen weiß. Zudem gab es unterschiedliche Gräber für Christen, Muslime und Juden.

Die fünf Tage gingen viel zu schnell vorbei. Melisa Demir sagte: "Ich hätte noch lange dort bleiben können. Es war schon ein bisschen so, als ob wir dort wohnen", meinte sie und erntete zustimmendes Nicken. Viele Tränen flossen beim Abschied von den französischen Freunden – doch die Erinnerungen werden nie vergehen.