Im Winter bekommen die Schwergewichte Heu, im Sommer finden sie ihr Futter selbst. Foto: Bernd / Zeyer

Auf dem Härtsfeld zwischen Neresheim und Nattheim leben jetzt vier Wisente. Davon sollen Flora und Fauna profitieren. Es ist eines der größten Artenschutzprojekte im Land.

Die Damen sind noch etwas schüchtern und trauen sich nicht so recht näher. Schließlich sind ihnen einige der Besucher fremd, und auch der strömende Regen und der starke Wind verleiten eigentlich nicht dazu, den schützenden Platz unter den Bäumen zu verlassen und sich aufs freie Feld zu wagen. Zum Glück weiß Michael Abele Rat. Er kennt Dalida, Donröschen (kein Schreibfehler), Sporona und Branita schon seit einiger Zeit und hat ein probates Lockmittel: Die Aussicht auf ein schmackhaftes Vesper führt schließlich dazu, dass sich die vier gewichtigen Ladys langsam in Bewegung setzen und in Richtung Futterstelle trotten. Noch sind die urigen Tiere in der Eingewöhnungsphase: Ende November wurden die vier Wisente auf dem Härtsfeld angesiedelt. Ihr neues Heim ist ein 35 Hektar großes Grundstück zwischen Neresheim (Ostalbkreis) und Nattheim (Landkreis Heidenheim). Es ist eines der größten Naturschutzprojekte in Baden-Württemberg.

Landschaft und Artenschutz stehen im Mittelpunkt

„Wir möchten mit dem Projekt etwas für die Landschaft und den Artenschutz tun“, sagt Thomas Häfele. Der Neresheimer Bürgermeister kann durchaus als Ideengeber des Vorhabens bezeichnet werden; tatkräftig unterstützt wurde und wird er dabei von Norbert Bereska, seinem Kollegen aus der Nachbargemeinde Nattheim. Nur durch Zusammenarbeit der beiden Kommunen konnte das passende Grundstück zur Verfügung gestellt werden. Fast drei Jahre hatte man gemeinsam für das Vorhaben gekämpft, nun ist es geschafft. Rund eine Million Euro betragen laut Häfele die Kosten, das Land trägt 90 Prozent davon. Laut der Umweltschutzorganisation Word Wildlife Fund (WWF) umfasst der Bestand heute wieder weltweit mehr als 7200 Tiere.

Die vier Wisentkühe müssen den Winter allein überstehen, im Sommer 2023 soll dann männliche Verstärkung zu ihnen stoßen. Ziel ist, im Laufe der Zeit eine Herde von 12 bis 14 Tieren zu bekommen. Zehn Jahre lang wird das Projekt wissenschaftlich von der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg begleitet. Für die tägliche Betreuung vor Ort ist Michael Abele zuständig. Der Biolandwirt lebt in direkter Nachbarschaft, betreibt zwei Höfe und ist Viehexperte. „Füttern werde ich sie nur im Winter. Wenn es wieder wärmer wird, finden sie ihr Futter selbst“, sagt er. Dazu zählen die Krautschicht von Bäumen, Baumrinde, Laub und junge Triebe.

Die Natur erlebbar machen

Ein wichtiges Ziel des Naturschutzprojektes ist, Flora und Fauna zu verändern und die biologische Vielfalt zu steigern. Dabei wirken die Schwergewichte mit dickem Fell als Landschaftsgärtner: So sorgen sie allein durch ihre Bewegung dafür, dass Platz für bestimmte Pflanzenarten geschaffen wird, in denen sich dann wiederum Insekten ansiedeln können. Abwechselnd mit den Wisenten werden auch Tiere wie Schafe oder Ziegen, die ein anderes Futterverhalten haben, auf die Weide gelassen. „Wir möchten die Natur erlebbar machen“, sagt Norbert Bereska.

Ein Erlebnis ist der Anblick der „europäischen Büffel“ auf jeden Fall: Weibliche Exemplare können bis zu 600 Kilogramm schwer werden, ausgewachsene Bullen erreichen eine Schulterhöhe von knapp zwei Metern und bringen fast eine Tonne auf die Waage. Als Artverwandte des amerikanisches Büffels sind Wisente die größten Landsäugetiere in Europa. Der Nattheimer Bürgermeister kann sich gut vorstellen, dass die seltenen Vierbeiner einige Touristen anlocken. Bislang jedenfalls ist Bereska, der fast drei Jahrzehnte im Amt ist, sehr zufrieden: „Das ist eines der ganz wenigen Projekte, für die es ausschließlich positive Rückmeldungen gibt.“

Die größten europäischen Landsäugetiere

Schon lange vor Dalida, Donröschen – der Name wird übrigens abgeleitet vom Herkunftsort Donaumoos – , Sporona und Branita gab es Wisente auf dem Härtsfeld, in Deutschland und in Europa. Ihre Wurzeln reichen Hunderte Jahre zurück. Doch die Population nahm stark ab, Ursachen waren unter anderem schrumpfende Lebensräume und die Jagd. Vor hundert Jahren schließlich war die Zahl europaweit auf ein gutes Dutzend geschrumpft. „Der größte natürliche Feind ist der Mensch“, meint Thomas Häfele.

Alle heute lebenden Wisente stammen von Tieren aus Zoos und Tiergehegen ab. Aus diesem Grund ist der Genpool sehr begrenzt. Mittlerweile gibt es laut WWF europaweit wieder rund 6500 Exemplare der schwergewichtigen Wildrinder.

In Deutschland startete 2013 das Projekt „Wisente im Rothaargebirge“ (Kreis Siegen-Wittgenstein in Nordrhein-Westfahlen). Damals wurden acht Tiere ausgewildert. Die Herde wuchs im Laufe der Zeit auf mehr als zwei Dutzend Exemplare. Doch die Zukunft dieses Artenschutzprojektes ist ungewiss. Es solle „jetzt abgewickelt werden“, hatte der Kreis Siegen-Wittgenstein überraschend im September mitgeteilt und dabei auf den Trägerverein Wisent-Welt-Wittgenstein verwiesen. Der Verein könne die erforderlichen Rahmenbedingungen für eine Weiterführung des Projekts nicht sicherstellen und habe die Kündigung der bisherigen Vereinbarung erklärt.

Partner des Artenschutzprojekts sind der Trägerverein, der Kreis Siegen-Wittgenstein und die Bezirksregierung Arnsberg als Vertreterin des Landes Nordrhein-Westfalen. Seit Jahren gibt es Streit wegen der Tiere. Die auf 25 Rinder angewachsene Herde blieb nicht nur im Rothaargebirge, sondern streifte auch durch das benachbarte Sauerland, wo sie an Bäumen erhebliche Schäden verursachte. Nach Klagen von zwei Waldbauern aus Schmallenberg hatte zuletzt das Oberlandesgericht Hamm dem Trägerverein die Auflage erteilt, er müsse dafür sorgen, dass Schäden an den Bäumen durch die Rinder verhindert würden.

In Bayern gibt es bereits seit 2003 das Wisentgelände Donaumoos, von dem nun zwei der Tiere aufs Härtsfeld gezogen sind. In Baden-Württemberg sind die vier Wisente auf dem Härtsfeld die einzigen Exemplare.