Stuttgart - Die Stuttgarter Objekt- und Bühnenkünstlerin Rosalie hat es eilig. Wie so oft. In Hamburg und Dresden warten große Musiktheaterprojekte. Doch der Stopp im Mineralbad Berg in Stuttgart muss sein. „Taucht man in dieses Wasser ein, bekommt man Leben geschenkt“, sagt Rosalie. Als „Berger Urquell“ firmiert der Schatz aus der Tiefe – und das Wort „Urquell“ trifft für Rosalie „genau das, was man in diesem Wasser spürt“.

Das Berg ist auch eine Künstlerbühne

Die Künstler und das Mineralbad Berg: Das ist bis heute, da Ulrich Bernhardt Stammgast ist und auch die international agierende Kuratorin Ute Meta Bauer Stuttgart-Besuche zur Berg-Sache macht, eine ganz besondere Beziehung. Spielt nicht der 2002 gestorbene Maler Georg Karl Pfahler, der in den 1960er Jahren in die Phalanx der US-amerikanischen Farbfeldmalerei eindringen konnte, in der Erinnerung noch immer mit, wenn auf dem Feld oberhalb des Außenbeckens zum Faustball gerufen wird? Wirbt nicht auch der 2009 gestorbene Galerist Hans-Jürgen Müller hier noch immer für sein Zukunftsprojekt Mariposa auf Teneriffa? Und natürlich sieht jeder, der ihn erlebt hat, unweit von den Faustballern Paul Uwe Dreyer, den 2008 gestorbenen früheren Rektor der Stuttgarter Kunstakademie, mit Zigarre beim Skat sitzen, unüberhörbar dort auf der „Gartenterrasse“ des „Café-Restaurants“, wie der legendäre Bad-Berg-Betreiber Paul Blankenhorn Stuttgarts schönste Freiluftgastronomie bezeichnete.

Paul Blankenhorns Verdienste

Paul Blankenhorn, das war der Mann im dunkelblauen Anzug, darunter das hellblaue Hemd mit stets geschlossenem oberstem Knopf und ein dünner Pullover mit V-Ausschnitt. Ein Herr auf Bad-Wache, leicht vornübergebeugt schreitend, die Hände hinter dem Körper. Blankenhorn aber war es auch, der Max Ackermann – neben dem 1955 gestorbenen Willi Baumeister führender Vertreter einer musikalisch geprägten Abstraktion – mit dem 1959 im Foyer eingebauten (und aktuell konservatorisch gesicherten) Glasfenster für sein Bad beauftragte. Blankenhorn hatte weit mehr Freude an den von ihm mit angelegten Rosenbeeten denn an der Rasenfläche, die durch die Verkleinerung des einst fast seegroßen Außenbeckens gewonnen werden konnte.

1856 gegründet – und bis 2006 in Privatbesitz

Der Hofgärtner Friedrich Neuner gründete das Mineralbad einst. 1856 war das, und vor der Übernahme durch die Stadt Stuttgart im Jahr 2006 war das Bad über fünf Generationen in privater Hand. Paul Blankenhorn vor allem ist das vom „Neuner“ zum „Berg“ mutierte Mineralbad in seiner heutigen Struktur zu verdanken. 1932 hat er von seinem Onkel die Verantwortung für das Bad übernommen. 1997 ist er gestorben, und doch reicht schon die Erinnerung an ihn, um im Erleben des Mineralbads Berg vor falschen Sepiafarben und beifallheischender Melancholie zu warnen.

Ernüchternde Gegenwart

Die Gegenwart des vormaligen Freibadeingangs zeigt ein anderes Bild: Rüde drängt ein monumentales Drehkreuz die so feinen Freibad-Kassenhäuschen zur Seite. Im rechten erwartete an warmen Sonntagen Paul Blankenhorns Frau die Gäste – aufrechter und stolzer noch als ihr Mann.

Für Joe Bauer, Kolumnist unserer Zeitung, sind die Verhältnisse klar: Das Mineralbad Berg, schreibt er in seinem Erfolgsbuch „Stuttgart – my Cleverly Hills“, „wurde erfunden, um uns zu trösten“. Es stimmt ja, viele belebte Orte lassen uns ungemein allein, während im Mineralbad Berg das einsame Eintauchen in den 21 Grad frischen Urquell wärmt. Dieses Wasser aber, aus 45 Meter Tiefe nach oben drängend, verträgt kein Gemütlichkeitsumfeld, kein Becken mit abgesoftetem Überlaufrand.

Dieses Wasser weiß auf eigene Art um die Realität. Zu dieser gehören Duschen, die Eleganz nicht durch eilends verwestes Design ausdrücken, sondern durch die gebotene Bewegungsfreiheit und den unmittelbaren Schock, heißes Wasser und Mineralwasserdusche einander direkt folgen zu lassen. Mancher belächelt deren einfache Zugvorrichtung. Es ist ein voreiliges Lächeln, das nicht darauf achtet, wie funktional gerade zurückhaltende Gestalt sein kann.

Und das Wasser weiß auch um die Bedeutung der Holzumkleidekabinen. Ein Seebad mitten in der Stadt, das ist es. Mit einem Wandelgang zur Quelle, der künftig – wie dann auch die nicht zuletzt durch den Aktionskünstler Edgar Harwardt in Erinnerung gebrachte „Elisenquelle“ selbst – offen zugänglich sein wird.

Das Wasser weiß um das Ganze, und so wäre das Wasser verloren, wenn es bequem sein müsste. Ja, wir werden getröstet im Bad der Rosen. Wie aber entsteht dieser Trost? Keine Röhren – acht Schirmlampen erhellen das Hallenbad. Sie wärmen die zum Außenbecken hin transparente Halle, deren Leichtigkeit eine Herausforderung für die Sanierer ist. Ein Wohnlicht ist es ja weit eher als ein Nutzungslicht eines Dienstleistungsorts. Der Blick von außen zeigt die Schirmlampen als Signale eines Orts der Begegnung.

Ernüchternde Gegenwart

Die Gegenwart des vormaligen Freibadeingangs zeigt ein anderes Bild: Rüde drängt ein monumentales Drehkreuz die so feinen Freibad-Kassenhäuschen zur Seite. Im rechten erwartete an warmen Sonntagen Paul Blankenhorns Frau die Gäste – aufrechter und stolzer noch als ihr Mann.

Doch dann ist schon der erste Eindruck überwältigend: Die wenigen Stufen hinab, das große Außenbecken vor sich, steht man in einer eigenen Welt. Das Schöne: Man kann sich ihr vorsichtig nähern, kann sie umkreisen. Zunächst an den Gartenschauhängen Richtung Park Berg vorbei, dann die Treppen hinauf auf die „Gartenterrasse“. Man betritt keine Außenfläche, man durchschreitet einen Park – mit den Figuren des württembergischen Hofbildhauers Johann Heinrich Dannecker (1758–1841) und mit Rosen, die gerade jetzt, von den Mitarbeitern des Gartenbauamtes liebevoll umsorgt, noch einmal die Blütenköpfe recken.

Von den Kastanien auf der Terrasse geht es weiter, an den Rosen vorbei und wieder hinunter, an das Wasser. Kastanien am Meer. Das Mineralbad Berg macht es möglich, und Danneckers Damen können sich ein mildes Lächeln nicht verkneifen. Tritt man hinaus aus „dem Berg“, hat man den Rosensteinpark vor sich, mit vielen weiteren Kastanienbäumen. So bleibt man Wandler zwischen den Zeiten.

Ein Kraftakt für die Stadt

Am 25. September schließt das Mineralbad Berg. Die Stadt saniert das 2006 für 8,5 Millionen Euro von Ludwig Blankenhorn in Gänze übernommene Bad. 30 Millionen Euro sind veranschlagt. Ein Kraftakt – mit Risiken durchaus. Mit noch mehr Chancen aber auch, dem gesetzten Anspruch gerecht zu werden, ein einmaliges Ganzes zukunftsfähig zu machen. Im Dezember 2018 sollen sich die Türen wieder öffnen. Überzeugt das Ergebnis, wird man der Baustelle Mineralbad Berg Verspätungen gerne nachsehen. Der letzte Sommer ist fast vorbei. Der erste Sommer kann kommen.