Vor leeren Regalen: Horst Steidle gibt sein Geschäft in Heinstetten auf: "Wenn ich nicht krank geworden wäre, hätte ich weiter gemacht. Die Bäckerei hätte weiter existieren können." Das Bäckerhandwerk ist ihm ans Herz gewachsen: "Ich bin damit aufgewachsen; seit ich laufen kann, bin ich in der Backstube gewesen." Foto: Holbein

 Konkurrenz, keine Fachkräfte und Krankheit. Familienbetrieb in Heinstetten macht zu.

Meßstetten-Heinstetten - Die Gründe haben sich summiert: die Konkurrenz durch Billiganbieter, der Mangel an Fachkräften und zuletzt vor allem die Krankheit. Horst Steidle gibt seine Heinstetter Bäckerei auf. Damit schließt ein alteingesessener Familienbetrieb seine Pforten.

Die Regale und Auslagen sind leer geräumt, die Stehtische stehen einsam im Raum, die Eingangstür ist verschlossen: Die Bäckerei Steidle in Heinstetten hat für immer dicht gemacht. Damit geht eine Ära zu Ende, die um 1930 begann, als der Opa von Horst Steidle, der in dritter Generation das Geschäft führt, die Dorfbäckerei übernahm, um als Gemeindebäcker zu arbeiten. Anfang der 1960er-Jahre stieg dann der Vater von Steidle ein und vor 13 Jahren, 2003, gingen die Geschicke des Ladens auf Horst Steidle über. "Ich habe modernisiert, um- und ausgebaut", erzählt der heute 48-jährige Bäckermeister. Zu Anfang hatte die Bäckerei mit Stehcafé denn auch floriert: "Es ist gut gegangen", betont der Ehemann und Vater von zwei erwachsenen Söhnen.

Doch dann sei die gesamte Infrastruktur in Heinstetten zusammengebrochen. "Schlecker" und Metzgerei machten zu und zu Steidle kamen weniger Kunden: "Ab dem Zeitpunkt haben wir alleine am Samstag 30 Kunden weniger gehabt, und das hat sich durch die Woche durchgezogen." Noch gelang es Horst Steidle, das zu kompensieren und seine Bäckerei am Laufen zu halten, und diese wirtschaftlichen Zahlen wären auch nicht ausschlaggebend gewesen, Insolvenz anzumelden. Aber dann ereilte den heute 48-Jährigen die Krankheit: Burn-out und Depression. Er musste für ein Vierteljahr in die Klinik. "Ich wollte eigentlich nur für ein paar Wochen in die Klinik und dann den Laden weitermachen." Es wurden drei Monate, die ihm aufzeigten, wie weit seine Krankheit fortgeschritten war: "Ich hätte das nicht mehr geschafft mit dem Geschäft, irgendwann wäre ich zusammengebrochen."

Schleichendes Verändern der Situation

So schleichend, wie seine Krankheit kam, so änderte sich auch die Lage für den Familienbetrieb in Heinstetten mit der Konkurrenz durch die Discounter. "Es gibt überall Brot, und der Brotkonsum ist zurückgegangen." Die Situation sei äußerst schwierig, erkennt auch Jürgen Gress, Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft und der Bäckerinnung im Zollernalbkreis: "Ein Problem ist die Konkurrenz durch die Discounter und die Bäckereifilialen als ›Vorkassenläden‹ in den Märkten. Das zieht Kunden weg vom Bäcker in der Ortsmitte, und für einen kleinen Bäcker ist es nicht möglich, sich in diesem Bereich der Einkaufsmärkte zu organisieren."

Zweite enorme Schwierigkeit sind die großen Filialisten: "Die Großen investieren massiv, bauen tolle Läden und machen den kleinen Bäckern Konkurrenz." Gress sieht deren Chance, sich zu behaupten, darin, sich zu spezialisieren, beispielsweise auf Dinkelprodukte. Für Horst Steidle kommen solche Ideen zu spät. Im vergangenen Jahr hörte ein Geselle auf – wegen Mehlstauballergie. "Auf die Schnelle findest Du keine Fachkräfte mehr, vor allem hier bei uns in der ländlichen Lage nicht", erzählt Steidle. So mussten die gleiche Arbeit in der Backstube statt vier Leute nun nur noch drei Kräfte machen. "Da sind Stunden zusammengekommen." Keine Erholung, kein Ausgleich: Dieser Stress beförderte Steidles Krankheit erst so richtig.

Das Thema Mitarbeiter erkennt auch Gress als "Riesenproblem": "Das Bäckerhandwerk braucht Fachkräfte, gelernte Leute. Da ist es schwer, Ungelernte zu integrieren." Doch für diese Handarbeit gelernte Bäcker zu finden, ist nicht leicht, "denn der Beruf scheint sehr unattraktiv zu sein wegen der Arbeitszeiten". Das schrecke viele Jugendliche ab: "Uns fehlen die Nachwuchsbäcker." Die Innung müsse sich deshalb um die jungen Leute kümmern, deutlich machen, dass man sich an die Arbeitszeiten gewöhne. "Momentan beginnen die Schüler immer später mit einer Ausbildung."

Bei Steidle kam derweil alles zusammen: "Ich hätte zusätzlich noch einen neuen Ofen gebraucht, den hat der Heizungsbauer nur noch hingeflickt." Dazu und für weitere notwendige Investitionen fehlten aber die Finanzen: "Geld aufzunehmen, machte keinen Sinn mehr bei immer weniger Kunden." Seit 30. Mai steht deshalb der Betrieb still. Die beiden verbliebenen Gesellen haben mittlerweile einen anderen Arbeitsplatz. Das Inventar wird versteigert, auch das Haus, das sich noch im Besitz der Steidles befindet, ist in der Insolvenzmasse und soll versteigert oder verkauft werden, um aus dem Erlös die Schulden zu tilgen.

Bis Ende des Jahres soll Sache abgewickelt sein

Horst Steidle ist weiterhin krank geschrieben. Er will deshalb nicht ganz aufhören, eventuell in irgendeiner Form seinen Betrieb weiterführen und sucht nach einer Möglichkeit, wieder zu backen: "Vielleicht backe ich im Nebenerwerb selbstständig." Derzeit ist er auf der Suche nach einem Vollzeitjob, nicht nur im Bäckerhandwerk: "Ein paar Bewerbungen laufen." Bis Ende des Jahres soll alles mit der Bäckerei abgewickelt sein, "dann kann ich noch besser auf die Suche gehen nach einem neuen Job". Sein Wunsch: "ein normales Leben führen".

(hol). "Das Verhalten der Konsumenten hat sich verändert, sie kaufen weniger Brot", sagt Bäckermeister Horst Steidle. Der 48-Jährige muss sein Geschäft in Heinstetten aufgeben – in erster Linie krankheitsbedingt, aber auch mit Blick auf sinkende Kundenzahlen. "Wir haben 90 Prozent Stammkunden und kaum Laufkundschaft, weil die Bäckerei eher abseits liegt." Dazu komme, dass Heinstetten ein kleines Dorf sei mit rund 1000 Einwohnern, das sei zu wenig zum Überleben. Gleichzeitig seien Arbeitsplätze im Ort weggefallen, somit gebe es weniger Arbeitskräfte und damit potenziell weniger Kunden.

Unterdessen registriert Jürgen Gress von der Bäckerinnung eine "ein bisschen verstärkte" Nachfrage nach Handwerksberufen: "Es will nicht jeder Akademiker werden oder ins Büro." Wer einen anständigen Handwerksberuf lerne, dem stehe die Welt offen, und Bäcker seien landauf, landab gesucht: "Das ist eine hochinteressante Ausbildung, und der Spartenberuf ist zukunftssicher", wirbt Gress.

Allerdings verhehlt er nicht ein Bäckereisterben in den vergangenen fünf Jahren: Im Zollernalbkreis hat die Innung in diesem Zeitraum zehn Bäckereien verloren, das ist ein Minus von insgesamt 25 Prozent: von 40 zu jetzt 30 Betrieben: "In den vergangenen fünf Jahren haben jedes Jahr Bäckereien aufgehört, in diesem Jahr 2016 sind es zwei bis drei Läden. Wir hoffen, dass das Sterben ein Ende hat."

Um dem zu begegnen, lässt sich die Innung einiges in Sachen Nachwuchswerbung einfallen und ist bei Messen vertreten: "Der Markt ist da, wir sehen einen Trend hin zum individuellen Essen, besonderes Brot kann wieder hipp werden, auf dieser Welle wollen wir mitschwimmen."

So sieht Gress hoffnungsvoller in die Zukunft als vor ein paar Jahren: "Aber es ist verdammt schwierig. Wir müssen junge Leute davon überzeugen, eine Lehre zu machen und die durchzuhalten. Dabei freuen wir uns auch über den einen oder anderen Flüchtling; da sind wir absolut offen und hoffen, dass die Bäckereien keine so großen Berührungsängste haben."

2017 wird es eventuell wieder die "Nacht des Backens" geben, in der die Geschäfte die Backstuben für die Öffentlichkeit öffnen. Um Nachwuchs zu werben, geht die Innung zudem an die Schulen.