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Das erste Jubiläum des Schwarzen Donnerstag naht, das Wetter ist gut.

Das erste Jubiläum des Schwarzen Donnerstag naht, das Wetter ist gut. Wir haben einen vortrefflichen Altweibersommer in der Stadt, und wenn er bis zum 30. September hält, wird sich an diesem Tag der Schlossgarten in seiner vollen Schönheit zeigen. Dass man in der Nacht nach dem 30. 9. 2010 Bäume abgesägt hat, ist eine schöne Erinnerung. Man hat dem Sänger Leonard Cohen damit zu einer musikalischen Verneigung vor Stuttgarts aufrechten Bürgern verholfen und einer angemalten, bierzeltgroßen Blechbude Platz im Kampfgebiet des Parks geschaffen.

Einige Leute haben nach dem 30. 9. Tipi-Zelte im Schlossgarten aufgestellt. Sie sind nicht so robust und fortschrittsbewusst gestylt wie besagter "Grundwassermanagement"-Palast - für das Leben in der Stadt aber umso gefährlicher. "Bild" hat neulich die schlimmsten Verbrechen der Zelt-Menschen benannt und abgebildet. Auf einem der Fotos sieht man einen Mann mit nacktem Oberkörper im Gebüsch, er scheint gerade damit beschäftigt, sein privates Grundwasserproblem zu managen. Körpereigene Zapfhähne auszufahren, das sage ich Ihnen als Kleinkaliber-Ästhet, ist entschieden ordinärer, als kilometerweit Metallrohre durch die Stadt zu verlegen.

Noch schlimmer als die Pinkel-Attacke auf den Park ist die Haltung von Kampfhunden. Tag und Nacht jagen diese Köter Menschen und Eichhörner. "Bild" hat eines der Viecher abgebildet und daneben geschrieben: "Ein großer Kampfhund sitzt vor einem der Zelte, blickt grimmig."

Diese Art Hundeblick, sonst betrogenen Männern angedichtet, kann verschiedene Motive haben. Womöglich hatte das Biest gerade vor, sich die Jogging-Waden eines S-21-Befürworters für den Fressnapf zu sichern. Oder es hat wie sein Herrchen ein Grundwassermanagement-Problem, weil eine Töle sich seit zwei Stunden auf dem Hundeklo die Nase pudert.

Die Stadt hat sich verändert

Seit dem 30. 9., als die Wasserwerfer einer Tausendschaft grimmiger Polizisten friedliche Stuttgart-21-Demonstranten angriffen, hat der Mittlere Schlossgarten eine andere Bedeutung als zuvor. Die Stadt hat sich verändert seit dem Schwarzen Donnerstag, viele haben ein neues Verhältnis zu ihrem Park.

Einige Leute, für Sauberkeit und Anstand im Gefecht, fordern die Räumung des Parks, eine IG Nochwas hat Anzeige gegen die Camper mit dem Hinweis gestellt, die Polizei dürfe "nicht länger zugucken".

Ich als alter Angsthase kann mich an Zeiten erinnern, wo es manchem guten Bürger recht gewesen wäre, die Polizei hätte im Park hie und da mal "zugeguckt". Das war vor dem S-21-Konflikt, als es noch keine bösen Parkschänder gab in der Stadt, sich brave Leute aber ständig beschwerten, sie müssten auf dem "Schwulenstrich" und in der "Drogenszene" des Mittleren Schlossgartens um ihr ehrenwertes Leben fürchten. Heute höre und lese ich regelmäßig die Klagen intimer Park-Kenner, sie könnten wegen der Zelt-Indianer "keine Besucher mehr durch den Schlossgarten führen". Das ist doppeltes Pech. Aus dieser Perspektive dürfen sie auch keinem Touristen mehr die restliche Stadt zeigen, weil das Camp lediglich soziale Wirklichkeiten fokussiert. Anders gesagt: So ist das Leben.

Tatsache ist, dass bei vielen Menschen der Mittlere Schlossgarten als wichtiger Ort der Stadt erst richtig im Bewusstsein ist, seit dort Demonstrationen gegen Stuttgart 21 stattfinden. Die Attacken auf die Demonstranten vom 30. 9., als Polizei und Politik jede Kontrolle über die Verhältnismäßigkeit der Mittel verloren, haben diesem Park die Aura des Epizentrums eines politischen Konflikts gegeben.

Heute fordert "der Park" die Frage heraus, wem die Stadt gehört, und die Forderung, den Park zu räumen, ist nicht besonders originell, wenn man weiß, dass er ohnehin umgepflügt wird, sobald das Immobiliengeschäft S 21 vorangetrieben wird. Ob Baumanagern und Politikern nach der frühzeitigen Zerstörung des Nordflügels und dem Polizeieinsatz vom 30. 9. eine weitere Machtdemonstration sinnvoll erscheint, wird man sehen.

Konservative Zukunftsbeschwörer verhöhnen Stadtgeschichte

In Stuttgart, vor allem in der Rathaus-Politik, herrscht seit jeher kein ausgeprägtes Bewusstsein für die historischen Orte und Plätze dieser Stadt. Konservative Zukunftsbeschwörer verhöhnen Stadtgeschichte oft genug als "Nostalgie".

Welch moderner Geist, welche Kultur die Protagonisten des "Fortschritts" beflügeln, erfährt man, wenn der Oberbürgermeister das Volksfest eröffnet. Dort hat er gerade den Sinn einer ohnehin scheindemokratischen Volksabstimmung entlarvt: Das Geld für die Volksabstimmung hätte man, hoho, besser in Bier und Gockel investiert. Solche feinsinnigen Witze kommen im lustigen Bierzelt-Klima gut an, zumal jeder weiß, dass es der OB und seine talentfreien Redenschreiber nicht besser können. Beim Gedanken aber, wie anderswo Leute diese Popel-Show zur besten Sendezeit in der ARD sehen, beginnt man die Turnhallen-Nummern dörflicher Faschingsvereine zu schätzen. Der OB hat vom 30. 9. nichts gelernt, sonst hätte er sich nach seinem peinlichen Fassanstich vom vergangenen Jahr nicht erneut mit dem Thema S 21 blamiert.

Die grünen Regierungspolitiker wiederum sind superdoof. Der Volksfesteröffnung demonstrativ fernzubleiben ist so läppisch wie unprofessionell. Parteigeistgerecht in Dirndl und Lederhose gekleidet, hätten sich Kretschmann und seine PRDilettanten einmal in Ruhe ansehen können, wo sie leben.

Es gibt Orte, da geht es irdischer zu als in Kretschmanns Promi-Sitzreihe bei päpstlichen Sakral-Shows. Im Bierzelt auf dem Wasen herrscht ein anderes Niveau als im Schmuddelzelt im Park. Stimmt der Laden erst mal "Zehn nackte Friseusen" an, vergeht sogar unserem grimmigen Kampfhund der Appetit auf Saubermänner.