Kopf in den Sand stecken bringt nichts: Mobbing-Opfer sollten mit Vertrauten reden und nicht passiv bleiben. Foto: dpa/Silvia Marks

Bei Mobbing im Internet können Opfer nicht einfach nach Hause fliehen - und sie wissen in der Regel nicht, wie viele Leute zugucken. Umso größere Sorgen bereiten Ergebnisse einer neuen Umfrage. Mobbing, Cybermobbing, Cyberbullying, Bassing, Staffing: Wir erklären, was mit diesen Begriffen gemeint, wer betroffen ist und wie sie zusammenhängen.

Jugendliche in Deutschland werden nach einer neuen Umfrage vermehrt Opfer von Cybermobbing. 2023 waren rund 16 Prozent der Heranwachsenden von Mobbing im Internet betroffen, wie eine Studie des Instituts Sinus im Auftrag der Krankenkasse Barmer zeigt. Im Jahr 2021 waren es erst 14 Prozent.

Mehr als jede und jeder zweite Jugendliche bekam demnach im direkten Umfeld mit, dass jemand persönlich Ziel von Cybermobbing war. Im Jahr 2021 lag dieser Wert noch bei 43 Prozent. Für die Sinus-Jugendstudie sind vergangenes Jahr rund 2000 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren befragt worden.

Wo findet Cybermobbing statt?

52 Prozent der betroffenen Heranwachsenden haben laut der Sinus-Umfrage zuletzt Cybermobbing über WhatsApp erfahren. Dahinter folgen Tiktok und Instagram mit 34 beziehungsweise 33 Prozent.

74 Prozent der Betroffenen waren dabei Mobbing in Form von Beleidigungen ausgesetzt, gefolgt vom Verbreiten von Gerüchten (52 Prozent) und dem Ausschluss aus Gruppen (33 Prozent). 32 Prozent beklagten das Posten von peinlichen Bildern und Videos.

Mobbing, Cybermobbing, Cyberbullying, Bassing, Staffing: All diese Phänomene gehen mit Verletzungen der Persönlichkeit einher. Wir erklären, was mit ihnen gemeint, wer betroffen ist und wie sie zusammenhängen:

Was ist Cybermobbing?

Niemand weiß genau, wie viele Personen ein entlarvendes Foto gesehen oder eine Lüge gehört haben. Foto: Imago/Revierfoto

Cybermobbing ist Mobbing, das im Internet ausgetragen wird. Jugendliche, die online gemobbt werden, können hier anders als beim Mobbing in der realen Welt nicht einfach ihre Zimmertür schließen oder versuchen, in einen geschützten Raum zu gehen.

Auch die Gruppe, die mitmacht oder zumindest zusieht, ist im Internet potenziell größer: Niemand weiß genau, wie viele Personen ein entlarvendes Foto gesehen oder eine Lüge gehört haben.

Woher kommt der Begriff Mobbing?

Es gibt unzählige Möglichkeiten, einen Menschen fertigzumachen. Wann die Grenze des Erträglichen erreicht ist, liegt am Belastungspotenzial des Einzelnen. Foto: Imago/Steinach

Der Begriff Mobbing ist relativ neu, das Phänomen dagegen ist sehr alt. Schon die antiken Römer wussten um die Tücken zwischenmenschlicher Beziehungen. Sie sprachen als Erste vom „mobile vulgus“, was so viel bedeutet wie wankelmütige Masse oder aufgewiegeltes Volk.

Der Begriff Mobbing tauchte erstmals in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf, entlehnt aus dem Englischen „to mob“ (anpöbeln, schikanieren, anfeinden). Das deutsche Wort „Mob“ meint eine Masse von Leuten, die sich zusammenrotten.

Was versteht man heute unter Mobbing?

Der erste Forscher, der den Terminus explizite verwendete, war der österreichische Zoologe und Verhaltensforscher Konrad Lorenz (1903 bis 1989). 1963 prägte er den Begriff Mobbing, worunter er Gruppenangriffe von Tieren auf einen Fressfeind oder einen überlegenen Gegner verstand.

Als Begründer der Mobbing-Forschung gilt der schwedische Arzt Peter-Paul Heinemann (1931 bis 2003). 1969 löste er mit einem Artikel über Apartheid-Phänomene und Mobbingverhalten eine breite gesellschaftliche Debatte aus. Heinemann versteht Mobbing als Verhalten von Gruppen, die eine sich von der Norm abweichend verhaltende Person attackieren.

Wie ist die Situation an den Schulen?

Statt auf Schulflur oder Pausenhof herumgeschubst, erpresst oder geschlagen zu werden, passiert das Mobbing heute vor allem im Netz. Foto: Imago/Funke Foto Service

Nach Einschätzung des Mobbing-Forschers Sebastian Wachs von der Universität Münster kommt Mobbing an jeder Schule vor. „Schätzungen zufolge sind etwa zehn Prozent der Schüler betroffen – als Opfer, Täter oder beides“, so der Wissenschaftler und Autor („Mobbing an Schulen“).

Eine Untersuchung im Rahmen der internationalen Pisa-Bildungsstudie, dass in Deutschland fast jeder sechste 15-Jährige (15,7 Prozent) regelmäßig Opfer teils massiver körperlicher oder seelischer Misshandlung durch Mitschüler wird.

In der StudieCyberlife II“ gaben ebenfalls ein Viertel der befragten Schüler an, schon einmal von Mobbingattacken betroffen gewesen zu sein. Gut die Hälfte davon (13 Prozent) fühlten sich als Opfer von Cybermobbing, einer digitalen Spielart: Statt auf Schulflur oder Pausenhof herumgeschubst, erpresst oder geschlagen zu werden, passiert das Mobbing im Netz. Über WhatsApp-Gruppen oder andere Kanäle werden Opfer übel beschimpft, Lügen und Gerüchte werden in die Welt gesetzt – gerne auch anonym.

Was meint Cybermobbing und Cyberbullying

Bullying ist Mobbing im Kontext von Schulen. Foto: Imago/Panthermedia

Wenn Schüler stänkern, spricht man von Bullying – einem besonders aggressiven Verhalten, das als eine spezifische Form schulischer Gewalt und sozialer Ausgrenzung auftritt. Während es sich in Deutschland eingebürgert hat, von Bullying zu sprechen, wenn das Phänomen im Kontext der Schule untersucht wird, und von Mobbing zu sprechen, wenn das Phänomen im Kontext der Arbeitswelt thematisch ist,

Immer mehr Jugendliche werden Opfer von Cybermobbing. Getuschel auf dem Schulhof, Hänseleien auf dem Heimweg – das war einmal. Die Pennäler von heute tragen ihren Zoff online aus. In sozialen Netzwerken wie Facebook, durch Internetvideos auf You Tube oder per Handy auf Whats App oder SMS wird gemobbt, beleidigt und genervt.

Wer der Angreifer aus dem virtuellen Hinterhalt ist, bleibt meistens im Dunkeln. Selbst wenn ein Mitschüler als Cybermobber entlarvt wird, hat sein schikanöses Treiben nur selten gravierende Folgen.

Seit wann wird Mobbing mit der Arbeitswelt in Verbindung gebracht?

Ende der 1970er Jahre begann der Arbeitswissenschaftler Heinz Leymann mit seinen Forschungen über Angriffe, Ausgrenzungen und Psychoterror im Berufsleben.

1993 veröffentlichte er den Ratgeber „Mobbing: Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann“. Leymann listet darin einen Katalog von 45 Handlungen auf, anhand dessen man das Mobbing nach objektivierbaren Kriterien diagnostizieren kann.

In welchen Variationen tritt Mobbing auf?

Es gibt unzählige Möglichkeiten, einen Menschen fertigzumachen: Man kann ihn ausgrenzen, hinter seinem Rücken tuscheln, ihn beschimpfen, bei Vorgesetzten anschwärzen oder bei Kollegen schlechtmachen. Wann die Grenze des Erträglichen erreicht ist, liegt am Belastungspotenzial des Einzelnen.

Mobbing beginnt in der Regel ganz harmlos mit einer schlüpfrigen Bemerkung oder einer kleinen Boshaftigkeit. Schnell kann es beim Gemobbten zu Frust, Zorn und Aggression führen, was zu chronischen Krankheiten, Burnout, Depression oder Suizid führen kann.

Was unterscheidet Mobbing von Tratsch?

Ein Jugendlicher hält ein Smartphone in den Händen. Beim Mobbing im Internet können Opfer nicht einfach nach Hause entfliehen- und sie wissen in der Regel nicht, wie viele Leute zugucken. Foto: dpa/Karl-Josef Hildenbrand

Wenn der Prozess der gesellschaftlichen Ausgrenzung regelmäßig und über einen längeren Zeitraum stattfindet und der Gemobbte zum dauerhaften Opfer der Verachtung wird, kann von Mobbing gesprochen werden.

Mobbing stellt keine einmalige Attacke und kurze Episode gegen Außenseiter und Schwächere dar. Was es so bedrohlich und zum massiven Angriff auf die Menschenwürde macht, ist die Summe des böswilligen Stänkerns und der üblen Nachrede.

Wie wird Mobbing definiert?

Heinz Leymann definiert Mobbing als „konfliktbelastete Kommunikation am Arbeitsplatz unter Kollegen oder zwischen Vorgesetzten und Untergebenen“, die für den Betroffenen schwerwiegende seelische und körperliche Folgen haben kann.

Die Hamburger Gender-Forscherin und Anwältin Silke Martini beschreibt Mobbing als „Prozess der systematischen Ausgrenzung und Erniedrigung eines Menschen, die von einer oder mehreren Personen betrieben wird“.

Wie urteilen die Gerichte über Mobbing?

Als erstes deutsches Gericht sprach das Bundesarbeitsgericht 1997 von Mobbing und verstand darunter das „systematische Anfeinden, Schikanieren oder Diskriminieren von Arbeitnehmern untereinander oder durch Vorgesetzte“.

Das Landesarbeitsgericht Thüringen 2001 formulierte es so: Mobbing ist die „fortgesetzte, aufeinander aufbauende und ineinander übergreifende Anfeindung, Schikane oder Diskriminierung“.

Wer sind die Täter und Opfer?

Gemobbt wird überall: in Dax-Konzernen und Krankenhäusern, in Kindergärten und Handwerksbetrieben, in Schulen und im Internet. Niemand ist vor den fiesen Übergriffen sicher.

Die Forscher haben einen ganzen Katalog an Mobbing-Unarten erstellt: Ist der Mobber ein Vorgesetzter, spricht man von Bossing. Beim Staffing quälen Mitarbeiter ihren Chef. Experten gehen davon aus, dass die Bossing-Quote bei bis zu 70 Prozent liegt.

Was sind die Ursachen von Mobbing?

Schlechte Organisation, Führungsschwäche und soziale Inkompetenz von Vorgesetzten, unsichere Arbeitsplätze, schlechtes Arbeitsklima, Stress, Arbeitsdruck sowie Langeweile erhöhen die Gefahr, dass Mitarbeiter aneinandergeraten.

Der Frankfurter Arbeitspsychologe Dieter Zapf sieht die Ursachen für Mobbing vor allem in strukturellen Defiziten: Je schlechter ein Unternehmen geführt wird, je unklarer die Zuständigkeiten in den einzelnen Abteilungen sind, umso eher wird Mobbing zum Problem.

Mobbing am Arbeitsplatz geschieht immer auf dem Rücken der Beschäftigten. Damit geht es immer auch zulasten der Produktivität, von Innovation und Effizienz.

Ist jeder Mobbing-Vorwurf berechtigt?

Nein. Bei der Bewertung sollte man sich vor Klischees hüten. Nicht jeder Mitarbeiter, der sich von seinem Vorgesetzten schlecht behandelt fühlt, wird gemobbt. Mitunter werden die Vorwürfe auch dazu benutzt, um Kollegen und Chefs zu denunzieren.

Frauen sind sehr viel häufiger von Mobbing-Angriffen betroffen als Männer. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass Männer mehr Führungspositionen innehaben und damit von vornherein in der Rolle des Stärkeren sind. Zum anderen sind Frauen eher als Männer bereit, über Ausgrenzung und die dadurch verursachten physischen und psychischen Probleme zu sprechen.

Welche Folgen kann Mobbing haben?

Bei den Betroffenen können die Auswirkungen verheerend sein. Sie reichen laut Mobbing-Report von Demotivation über Misstrauen und Nervosität über sozialen Rückzug, Ohnmachtsgefühle und innere Kündigung bis hin zu Leistungsblockaden, Selbstzweifeln und Angstzuständen. In fast einem Viertel aller Fälle sehen Gemobbte ihren einzigen Ausweg in der Kündigung. Die Unternehmen kann dies teuer zu stehen kommen: Kündigungsschutz-Prozesse verschlingen viel Geld und belasten das innerbetriebliche Klima.