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Gedenkveranstaltung zur Pogromnacht im jüdischen Betsaal

Ho rb. "(...) Ich bin aufgewacht vom Zersplittern von Glas. Durch alle Fenster flogen Steine ins Haus und machten alles kaputt. (...) Das Geschäft meines Vaters gegenüber war aufgebrochen, und die Stoffballen lagen auf der Straße herum. Früh am Morgen kamen sie und verhafteten meinen Vater." Margot Wilde, geborene Schwarz, berichtete in ihren Erinnerungen an die Pogromnacht in Horb. Die Familie Schwarz wohnte in der Schillerstraße, wo sie eine Textilhandlung hatte. 1939 floh die Familie in die Schweiz. Nachdem Gustav Schwarz dort an den Folgen der Haft in Dachau starb, emigrierte die Mutter Bella Schwarz mit ihren beiden Kindern Margot und Justin nach Palästina.

Dieser Zeitzeugenbericht war einer von mehreren, die am Mittwochabend im jüdischen Betsaal zum Gedenken an die Pogromnacht von Horber Schülern – Niklas Gunkel, Jan Köblin, Sarah Rigotti und Rebecca Tillery – vorgelesen wurden. "In der Vergangenheit fand diese Gedenkveranstaltung in der ehemaligen Synagoge in Rexingen statt, aber in diesem Jahr haben wir uns für das neue Museum im Betsaal entschieden", sagte Heinz Högerle vom Synagogenverein zur Begrüßung. Der Betsaal sowie die weiteren Synagogen im Rabbinat Horb in Rexingen, Mühringen und Baisingen, aber auch Geschäfte von Horber Juden wurden in der Nacht vom 9. zum 10. November 1938 und am nächsten Morgen verwüstet. "Aus diesen Orten wurden nach dem 9. November 34 Männer ins Konzentrationslager Dachau verschleppt", so Benedict von Bremen, Bildungsreferent des Synagogenvereins, der die Zwischenmoderationen übernahm.

Barbara Staudacher erinnerte an die Männer, Frauen und Kinder aus Horber Familien, die 1941 und 1942 in verschiedenen Konzentrationslagern deportiert wurden. "Darunter auch die früheren Besitzer dieses Hauses, Irma und Rudolf Schwarz, die 1935 nach Holland geflohen waren, die Familie Wälder aus der Neckarstraße mit drei Kindern, die schon 1933 in Frankreich Schutz gesucht hatten, und der Bezirksrabbiner Dr. Abraham Schweizer, der bis zu seiner Verhaftung am 10. November 1938 im Haus gegenüber gewohnt hatte. Niemand von Ihnen hat überlebt."

OB Peter Rosenberger hielt eine kleine Ansprache: "Ich danke ihnen, dass sie heute hierhergekommen sind. Denn das Gedenken ist wichtig, da wir immer mehr Zeitzeugen verlieren." Er spannte auch den Bogen zu den tagesaktuellen Geschehnissen. "Ich bin heute Morgen aufgewacht und war fassungslos über die Wahl von Donald Trump zum neuen US-Präsidenten. Es gibt eine bedenkliche Entwicklung in Deutschland und der ganzen Welt. Wir müssen alles dafür tun, um dem entgegenzusteuern." Die Besucher sangen mit Mitgliedern des Projektchors des Martin-Gerbert-Gymnasiums und der Orgelfreunde ein Lied, das Edith Stein geschrieben haben soll. Michael Grüber begleitete am Keyboard. Am Ende der Gedenkveranstaltung wurden Kerzen auf den Fensterbänken des Betsaals angezündet. Fenster, die 1938 eingeschlagen wurden.

  Zeitzeuge Franz-Joseph Winzenried hatte als Schüler an den Ausschreitungen teilgenommen. 1949 sagte er gegenüber der Kriminalpolizei Hambur aus: "Ich habe die Oberschule für Jungen in Horb von April 1934 bis zum April 1939 besucht. Der Leiter der Schule war damals Studienrat Pfeuffer. Mein damaliger Turn- und Zeichenlehrer war der Studien-Assessor Franz Grohnmayer. Soweit ich mich noch erinnern kann, hat sich der Vorgang damals wie folgt abgespielt:

Ich ging am 10. November 1938 morgens um 8 Uhr zur Schule. Die erste Schulstunde war damals eine Turnstunde bei Studien-Assessor Grohnmayer. Dieser ließ uns auf dem Sportplatzantreten, erzählte uns, dass in der vergangenen Nacht der deutsche Botschafter in Paris, vom Rath, von Juden ermordet wurde. Sinngemäß sagte er uns noch etwa folgendes, dass dies ein Racheakt der Juden gegen die Deutschen sei und wir uns dieses nicht gefallen lassen dürften. Er forderte uns auf, uns mit Steinen zu bewaffnen und mit ihm in die Stadt zu ziehen. Es wurde vor einigen Judenhäusern Aufstellung genommen und es ertönten von uns einige Schmährufe gegen die Juden. Nach einiger Zeit begegneten wir dem Studienrat Pfeuffer. Dieser fragte uns, warum wir nicht in der Turnstunden seien. Wir erzählten ihm den Vorgang, worauf er diese Sache tadelte und uns aufforderte, unverzüglich zur Schule zurückzukehren."

 Zeitzeugin Julie Liebmann, geborene Feigenheimer erinnerte sich: "In der Nacht vom 9. auf den 10. November ’38 wurden unsere sämtlichen Fenster im ersten Stock Ihlinger Straße 17 eingeworfen. Meist handgroße Steine lagen nicht nur in den Zimmern, sondern auch auf unseren Betten, Am 10. November, früh um halb 8 Uhr, wurde mein Mann (Simon Liebmann, damals 68 Jahre alt) von einem Landjäger in Begleitung des Horber Scutzmanns Stimmler, der sich übrigens weit anständiger als der herzlose, rohe Landjäger benahm, in "Schutzhaft" genommen. Nachdem mein Mann verhaftet und weggeführt war, wurden uns nochmals Steine ins Zimmer geworfen und zwar von Schuljungen, angeführt von einem Reallehrer. Dann kam Herr Ballmann und befahl meiner Tochter Erika, unser Geschäft zu schließen.

Als die Schutzhäftlinge vom Polizeiposten in der Neckarstraße geschlossen und in Begleitung von Polizisten in das hiesige Gefängnis geführt wurden, wurden sie auf diesem Gang von der Meute geschmäht, angespuckt und mit Steinen beworfen."